Chloé, Hans und Alvaro sind zukünftige Agronom:innen, die später an der Schnittstelle von Natur, Gesellschaft und Wirtschaft arbeiten werden. Eine komplexe Aufgabe, die dank neuen Technologien erleichtert werden könnte. «Genau da wollen wir mit unserem Minorprogramm ansetzen», sagt Roger Robyr, Professor für Mathematik und Statistik und Leiter des Minors «Neue Technologien». «Wir bilden keine IT-Fachleute aus, aber wir wollen unseren Studierenden einen Einblick in verschiedene Technologien geben. Denn wer nicht weiss, was es für Möglichkeiten gibt, kann sie auch nicht ausschöpfen.»

Mit technischen Änderungen Schritt halten

Vor ein paar Jahren waren Melkroboter oder Solarpanels die einzigen technologischen Elemente auf einem Hof, sagt Robyr. Heute seien diese Technologien überall: Roboter, die bei der Feldarbeit unterstützen; Drohnen, die vor dem Mähen Rehkitze retten; Blockchain, um die Wertschöpfungskette sichtbar zu machen; und schliesslich Twint oder ein Verkaufsautomat, um die hofeigenen Produkte zu verkaufen.

«Ich sage immer provokativ zu meinen Studierenden: In 10 Jahren können viele Landwirt sein, da muss man ja nur noch Maschinen bedienen können und einen Hof wie ein Entrepreneur leiten», so Robyr. «Die Arbeit auf einem Hof geht mehr und mehr in Richtung Planung, Entrepeneurship und Technologie-Management. Ich finde es daher super, wenn sich junge Leute aus der Branche auch für die Technologie interessieren und sich Wissen in beiden Disziplinen aneignen.»

Nicht nur Kühe im Kopf

Alvaro Forni will nach seinem Abschluss im Herbst auf dem elterlichen Hof im Tessiner Villa Bedretto einsteigen. «Die Digitalisierung in der Landwirtschaft wird sicher zunehmen. Wenn ich ein wenig Ahnung davon habe, ist es für mich einfacher, meinen Hof optimal führen zu können», sagt der junge Tessiner.

Auch Hans Fässler aus dem Appenzell hat ein grosses Interesse an Technologie und sich daher für diesen Minor entschieden. «Ich wollte schon als kleines Kind verstehen, was in einem Laptop drinsteckt oder wie ein Handy funktioniert», so der gelernte Zimmermann und Landwirt, der auch auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen ist.

Am Anfang: Durchbeissen

Zu Beginn des Minors lernen die Studierenden Grundlagen der Programmiersprachen Python und R. «Das war nicht immer einfach», erinnert sich Fässler. «Aber danach ist vieles projektorientiert, beispielsweise bekamen wir 1.5 Stunden Fach-Inputs, und nachher konnten wir mit Unterstützung an einer Meteostation bauen.»

Bei Fachinputs von ExpertInnen und bei Exkursionen können sich die Studierenden ein Bild von praktischen Anwendungsbeispielen machen. Ihr gesammeltes Wissen aus den Bereichen Robotik (beispielsweise Bildaufnahmen von Drohnen, Feldroboter, oder 3-D-Druck) oder IT-Algorithmik (beispielsweise Bildverarbeitung, Steuern von Bewässerung, Lüfter, oder Analyse von Daten) können sie dann in ihrer Minorarbeit anwenden.

«Zuerst haben wir zwei Mikrokontroller verbraten, bis der Spannungsteiler korrekt dimensioniert war»

Alvaro Forni, angehender Agronom, über die Herausforderungen

Eigener Hof als Inspiration

Alvaro Forni kam die Idee für seine schriftliche Arbeit auf dem elterlichen Hof: «Die Rinder auf der Alp sind etwa eine halbe Stunde Autofahrt vom Hof entfernt. Wenn wir oben merkten, dass das Weidezaungerät leer war, liessen wir die Tiere entweder in der Nacht ohne Strom oder gingen nach Hause und holten eine neue Batterie. So hatte man dann ein ungutes Gefühl oder mehr als eine Stunde Zeit versäumt.». Auch Hans Fässler kennt das Problem: «Letzten Sommer sind unsere Rinder ausgebrochen, da ein heruntergefallener Ast den elektrischen Zaun beschädigte», so der Appenzeller.

Bisher gibt es Geräte, die die Zaunspannung manuell, über Mobilgeräte mit SIM-Karte oder mit einem teuren Funk-Messgerät (maximale Reichweite 30 km) prüfen. Das reichte den beiden Studenten nicht. Sie wollten sich und ihren Familien «peace of mind» gewähren, wie sie es selbst nennen, und haben begonnen zu experimentieren. Mit dem Ziel ein günstiges, einfach zu bedienendes Spannungsmessgerät für Elektrozäune herzustellen, dessen Messwerte sie von überall mit ihrem Smartphone abrufen können.

Dabei machten sie sich das «Long Range Wide Area Network», kurz LoRa WAN zunutze. Das ist vergleichbar mit einem WLAN, jedoch ohne Zugriffscode, frei für alle verfügbar. Weitere Meilensteine ihrer Arbeit waren korrekte Spannungsmessung, Programmierung und Datenübertragung, und schliesslich das Erstellen eines Gehäuses für das Gerät. «Zuerst haben wir zwei Mikrokontroller verbraten, bis der Spannungsteiler korrekt dimensioniert war», sagt Alvaro Forni. Zudem sei es eine Herausforderung gewesen, die sehr kurzen, Millisekunden dauernden Impulse des Zaungerätes korrekt zu erfassen.

Von der HAFL aus den Zaun Zuhause überwachen

Mittlerweile ist das Gerät auf dem Hof von Alvaro Forni im Einsatz. «Ich kann nun von der HAFL aus mit dem Smartphone die Spannung auf dem Zaun zuhause überprüfen und meine Familie benachrichtigen, wenn ich sehe, dass etwas nicht stimmt», schmunzelt der Student, dessen Löt-Fähigkeiten bei dieser Arbeit zum Einsatz kamen. Gerne würden beide das Projekt weitertreiben und ihren «LoRa-Fence» auf den Markt bringen. «Falls es zeitlich möglich ist, werden wir an unserem Projekt weiterarbeiten», sagt Hans Fässler. Bevor das Produkt aber vermarktet werden könnte, müssten noch mehr Prototypen entworfen und Geräte in Umlauf gebracht werden, damit andere sie testen können. Die beiden haben hohe Ansprüche an ihr Produkt, es soll «verhebe».

«Auch wenn wir kein Start-up gründen werden. Gelernt haben wir extrem viel - und der Spass kam auch nicht zu kurz.»

Chloé Fellay, angehende Agronomin

Weniger Stress beim Abferkeln

[IMG 2]Auch aus einer eigenen Notwendigkeit heraus entstand die Idee zur Minorarbeit von Chloé Fellay und Alexandre Meyer. Meyer hat sich während seiner Mitarbeit auf einem Schweinebetrieb gewünscht, dass er nicht stündlich aufstehen und das Abferkeln im Stall kontrollieren müsste. Gemeinsam mit seiner Kollegin Chloé Fellay hat er dann eine Kamera entwickelt, die auf einer Schiene durch den Stall fahren und per Smartphone, vom Bett aus, bedient werden kann.

Auch dieses Zweierteam hatte ein paar Schwierigkeiten zu überbrücken, wie zum Beispiel das schwache WIFI im Schweinestall. Doch davon liessen sie sich nicht beirren und halten nun einen Prototypen in den Händen, den «Piglet’Spy». Im nächsten Jahr soll ein anderer Studierender die Chance erhalten, eine App dazu aufzubauen, um die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen und das Produkt allenfalls für andere LandwirtInnen attraktiv zu machen.

Schritt für Schritt herantasten

Im Gespräch erzählt Chloé Fellay von «Arduino» und «Raspberry», Begriffe, mit denen sie bis vor dem Minor nicht vertraut war. «Wir haben uns Schritt für Schritt gesteigert im Minor, es wurde ja nicht plötzlich das Programmieren eines Gerätes verlangt», sagt Chloé Fellay, ehemalige Lehrerin und angehende Agronomin, bescheiden. Weder Meyer noch Fellay haben die zeitliche Kapazität, das Projekt weiterzuziehen. Die junge Agronomin sagt: «Auch wenn wir kein Start-up gründen werden. Gelernt haben wir beide extrem viel, und der Spass kam auch nicht zu kurz.»[IMG 3]

Entwickeln oder Testen

Roger Robyr und Philippe Aebischer, die beiden Verantwortlichen für den Minor «Neue Technologien», haben das Programm für das kommende Herbstsemester überarbeitet. Sie haben gemerkt, dass einige Studierende grossen Respekt hatten vor dem Entwickeln eines Produktes. Nun haben sie nebst dem Entwickeln auch die Option zum Testen explizit ins Programm aufgenommen. Schliesslich zeigt ihre Erfahrung, dass sie den meisten Studierenden ihren vorherigen Respekt vor technologischen Prozessen nehmen konnten, wenn sie einmal mit dem Minor angefangen haben. «Einige haben uns als Feedback gegeben, dass sie auf ihrem Hof oder bei der Arbeit besser einschätzen können, welche technischen Hilfsmittel sie brauchen, weil sie die Funktionsweisen der Geräte besser kennengelernt haben.» Damit haben sie ihr Ziel erreicht.