Stefanie Stalder ist eine ganz besondere Frau. Vor 49 Jahren kam die Bäuerin sichtbar als Bub in Grosswangen LU zur Welt. Man taufte sie Stefan, zwängte sie in Jungenkleider und erzog sie dementsprechend. "Stefan" mochte aber Mädchenkleider – Kinderspielerei dachte man sich damals. Doch mit zunehmendem Alter und der Ausbildung der männlichen Geschlechtsmerkmale verstärkte sich das Gefühl: "Etwas stimmt nicht mit mir!" Einordnen konnte sie es nicht, nachschlagen schon gar nicht – 30 Jahre vor dem Internet. Als Teenager lebte sie deshalb weiterhin die Rolle des Buben, doch heimlich zog sie Kleider an.

Besonders männlich sein

Als Bauernkind lag es nahe, den Beruf des Landwirts zu erlernen. "Mein Bruder verbrachte seine Kindheit hauptsächlich vor dem Fernseher. Daher stand ausser Frage, wer den landwirtschaftlichen Betrieb weiterführen muss", erzählt sie. Unfreiwillig und voller Ängste startete sie ins Lehrjahr. In dieser Zeit wurde ihr der Drang zur Weiblichkeit immer mehr bewusst, was sie aber zu unterdrücken versuchte. "Ich dachte, ich sei pervers und versuchte mich möglichst männlich zu geben." Sie begann im Jodelclub zu singen, an Oldtimern herumzuschrauben und eine Zweitausbildung zum Maurer. Alles, um von der innerlichen Unruhe abzulenken. Doch diese verstärkte sich nur weiter, je mehr sie dagegen ankämpfte.

Erst mit 20 Jahren kam der Wendepunkt: In der Landjugend lernt Stefanie Stalder ihre jetzige Frau kennen. "Bei ihr fand ich Geborgenheit und Stütze." Ihr erzählt sie schliesslich von ihrem Geheimnis. Sie wurden Freunde, doch wie das Leben so spielt, verlieren sich beide aus den Augen. Es dauerte zehn Jahre bis sie wieder zueinander finden und nochmals zehn Jahre bis die Heirat und zwei Kinder folgten. Nach aussen hin führte Stefanie Stalder ein ganz normales Leben als Vater und Ehemann. Ihr Bedürfnis verdrängt sie – ein Fehlentscheid, deren Auswirkung sie später hart zu spüren bekommt.

Freudloses Dahinleben

Mit ihrem damaligen Schwager führt Stefanie Stalder den Familienbetrieb weiter. Allerdings nicht nach ihren Vorstellungen. "Viele Jahre habe ich freudlos Landwirtschaft auf ÖLN-Basis betrieben. Ich habe mich unterstellt, weil ich nicht das nötige Selbstvertrauen hatte." Als ihr Schwager 2013 im Nachbardorf einen Betrieb übernimmt, ergreift sie die Chance. Ihren Betrieb stellt die Bäuerin komplett auf Bio um – ein Traum wie sie sagt, ging in Erfüllung. Sie beginnt mit Agroforst, hält gleichzeitig Masthühner und baut zusammen mit ihrer Frau Gemüse und Ackerfrüchte an.

Im gleichen Jahr vertraut sich die Bäuerin ihrer Familie an. "Meine Eltern haben es relativ gut aufgenommen. Meine Mutter hat es schon immer geahnt, für sie war es nun eine Erklärung zum damaligen Verhalten. Mein Bruder aber distanzierte sich von mir", bedauert sie. Doch die Bäuerin blieb für die Öffentlichkeit und Familie vorerst weiterhin in der Rolle des Mannes und verdrängte das Bedürfnis "Frau" zu sein. Ende 2014 dann der Schock. Stefanie Stalder bricht zusammen. Ihr Arzt diagnostiziert ein Burnout. 2015 dann der nächste Zusammenbruch. "In dieser Zeit hatte ich viele Suizidgedanken. Meine Frau überzeugte mich schliesslich meine Transsexualität endlich öffentlich zu machen."

Die Transformation zur Frau

Ende 2016 entschloss sich die Bäuerin endlich zur Geschlechtsanpassung. Sie beginnt mit einer Hormontherapie, die ihr eine deutsche Bloggerin empfiehlt. Dann ging alles plötzlich ganz schnell, wie sie erzählt: "Die Brüste wuchsen schnell, die Barthaare habe ich mir weglasern und den mir damals auferlegten Namen 'Stefan' in Stefanie umschreiben lassen." Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Krankenversicherung, bekam sie Ende 2018 dann endlich auch das Ok für die Leistungsübernahme der Geschlechtsanpassung. In Thailand sollte diese erfolgen, wo Transsexualität – auch Kathoey genannt – aufgrund der buddhistischen Kultur seit weitaus länger Zeit toleriert wird. "Die operativen Erfahrungen sind dementsprechend sehr fortgeschritten", erzählt die Bäuerin.

Seit der Operation sind acht Monate vergangen. Stefanie Stalder spürt nun endlich ein stimmiges Gefühl, "als wäre alles dort wo es auch sein sollte". Mit bürokratischen Hürden hatte die Transbäuerin weniger zu kämpfen. "Ich hatte Glück. Denn einige Jahre zuvor galt Transsexualität noch als Krankheit", sagt sie empört.

Es gibt auch Schattenseiten

Die Transbäuerin lebt nun ihre feminine Seite aus. Sie kleidet sich weiblich, schminkt sich und trägt langes braunes Haar – "Eine Perücke", sagt sie. Darunter verbirgt sich eine Glatze. Doch die Transformation hat auch ihre Schattenseiten. "Je mehr sich mein Körper meinem wahren Geschlecht annähert und ich meine Identität leben kann, desto mehr geht meiner Frau das Bild des Ehemanns verloren. Für die Kinder bleibe ich ‹Papi›, oder jetzt auch die zweite Mami."

Nicht nur die Familie, sondern auch ihr Umfeld mussten sich an die neue Situation gewöhnen. Sie polarisiert, dass weiss die Bäuerin. Viele aus ihrem Bekanntenkreis haben sich aus Scham von ihr abgewendet. So auch der Jodelclub. "Die Musik hat mir immer Kraft gegeben. Doch man wollte mich nicht mehr nach meinem Outing und so musste ich den Club verlassen", sagt die Bäuerin bedrückt. Doch glücklicherweise habe sich durch diesen Verlust eine neue Tür geöffnet: "Ich erfüllte mir einen Kindheitstraum und begann mit dem Geige spielen."

Noch immer ein gesellschaftliches Problem

Im Dorf toleriere man Stefanie Stalder als Transbäuerin nun. Dennoch spürt sie Zurückhaltung, auch im Landwirtschaftlichen Kreise. "Doch so ist das wohl, wenn man anders ist." Ein soziales Problem, glaubt sie. "Besonders Männer scheinen mit meiner Erscheinung nicht klar zu kommen. Ich habe männliche Züge, kleide und schminke mich aber wie eine Frau. Ich passe nicht in eine Rolle, in der man von klein auf hineingedrängt wird", versucht die Bäuerin zu verstehen. Vielleicht wird sich das mit der geplanten Gesichtsfeminisierung und einer weiblichen Stimme ändern, hofft sie. Bald möchte sie Logopädie-Kurse besuchen. Doch für die Gesichtsfeminisierung müsse sie erst einmal sparen. Denn von der Krankenversicherung werden solche kosmetischen Eingriffe nicht unterstützt.

Doch Stefanie Stalder fühlt sich endlich angekommen. "Es ist jetzt zwar alles etwas komplizierter geworden. Aber die Transition war meine Rettung. Ich bin mir sicher – wäre ich nicht diesen Weg gegangen, wäre ich nicht mehr hier."

 

Transsexualität – Begriffserklärung

Transsexuelle Menschen haben das Empfinden, dass sie dem anderen Geschlecht und nicht ihrem Geburtsgeschlecht angehören. Betroffene können das schon im frühen Kindesalter merken – Jungs ziehen im Spiel z. B. lieber Kleider an und schminken sich; Mädchen schneiden sich die Haare kurz und verhalten sich «männlicher» als die Jungs. In der Pubertät verstärkt sich dieses Gefühl durch die Ausbildung der Geschlechtsorgane und den Erwartungen der Gesellschaft an die Geschlechterrollen. Eine Geschlechtsanpassung erfolgt häufig später.

Es gibt verschiedene Theorien zur Ursache der Transsexualität. Manche gehen davon aus, dass schon im Mutterleib eine gegengeschlechtliche Hormonzufuhr die Transsexualität auslöst.