«Das ist unsere Oase», sagt Heidi Hofer. Die Bäuerin ist aufgekratzt. Direkt vor ihrem Bauernhaus soll schon bald eine neue Herzschlaufe der Herzroute, dem nationalen Radwanderweg, durchgehen. Dieser führt aktuell mit 13 Etappen vom Genfer- bis zum Bodensee. Die Beweggründe, direkt vor dem Hof der Familie Hofer durchzufahren, liegen auf der Hand. Dürsrüti ist ein Idyll des Emmentaler Dorfes Langnau. Die notabene von Simon und Heidi Hofer gepflegten Wiesen mit Blick zu den Berner Alpen sind einzigartig für das Gebiet. Hier lässt es sich durchatmen.

Schlaflose Nächte für die Betroffenen

Simon und Heidi Hofer wollen die Herzschlaufe nicht. «Die Velofahrer finden uns auch sonst», sagt der Landwirt. Und das «Zusammenleben» mit ihnen sei zermürbend. Ohne Rücksicht auf Mensch, Tier oder Maschine werde am Hof vorbeigerast, nach Möglichkeit auch noch durchs Land. «Ins Land fahren sie ohnehin», erklärt der Landwirt. Denn eine Ausweichstelle gebe es keine. In der Tat ist die Zufahrt zum Hof vom Dorf aus eher schmal und vor allem unübersichtlich. «Was, wenn etwas passiert?», fragt Heidi Hofer und erzählt von schlaflosen Nächten, die sie derzeit plagen.

«Ohne Rücksicht wird am Hof vorbeigerast.»

Simon Hofer, Landwirt und Anstösser an die neue Herzschlaufe.

Was sie am allermeisten ärgert, ist der Umstand, dass nie mit ihnen über diese Pläne gesprochen wurde. Heute stehe man einfach vor vollendeten Tatsachen. «Wir sind fast immer zu Hause, warum kam nie jemand von der Gemeinde und hat mit uns darüber gesprochen», fragt sich Simon Hofer und schüttelt den Kopf. Er ist wütend. Auch auf Nachfrage habe man nie eine Antwort erhalten oder aber man erinnere sich heute nicht mehr daran, sagt der Bauer.

Ein Treffen am Küchentisch

AboAnalyse«Naturgeniesser» können Bauern auch verdriessenMontag, 23. Mai 2022 Vor einer Woche kam es dann zu einer Aussprache. Am Küchentisch der Familie Hofer sassen Martin Lehmann, Gemeinderat von Langnau i. E., Isabelle Hollenstein, Leiterin von Emmental Tourismus (siehe Nachgefragt unten), und Andreas Wyss, Präsident der Regionalkonferenz.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, das Gespräch mit der Familie Hofer nicht aktiv gesucht zu haben, erklärt Martin Lehmann, dass man das bislang nie gemacht habe. «Es handelt sich dabei um eine öffentliche Strasse, auf der schon heute verschiedenste Verkehrsteilnehmende unterwegs sind», sagt der Gemeinderat. In solchen Fällen habe man nie mit Anstössern das Gespräch gesucht. Nur, wenn es sich um Privatstrassen handle, denn dann sei der Sachverhalt ein anderer.

«Der Widerstand ist derart fundamental.»

Martin Lehmann, Gemeinderat von Langnau i. E.

AboTourismusNutzungskonflikte auf dem Land: «Während der Pandemie stand fast hinter jedem Baum ein Rentner»Samstag, 18. März 2023 Langnau i. E. ist, wie viele andere Gemeinden in der Schweiz auch, auf den Tourismus angewiesen. Eben diesen «sanften Tourismus» mit Fahrrädern und E-Bikes begrüsse man sehr im Dorf. «Das sind Genussfahrer, in ihrer Mehrheit höchst anständige und interessierte», sagt Martin Lehmann. Von ihnen könne die Landwirtschaft durch den Auf- oder Ausbau eines Angebots auf dem Hof profitieren, ist er sicher.

So ein Angebot ist beispielsweise in der freiburgischen Gemeinde Alterswil zu finden. Der Hof der Familie Ulrich liegt direkt an der Herzschlaufe Sense, im Sense-Oberland. Für die Familie, die seit rund 30 Jahren Agrotourismus anbietet, ist die Herzschlaufe eine willkommene Ergänzung. Denn die Gäste können sich im «Buurebeizli» verpflegen, sei es in Selbstbedienung oder auf Voranmeldung auch bedient. Sogar Übernachtungen und «Schlafen im Stroh» werden angeboten. «Wir sind im Pensionsalter», erklärt Annelies Ulrich, die das Angebot betreut. Sie geniesse den Kontakt zu den mehrheitlich älteren Velofahrerinnen und Velofahrern, die beim Hof eine Rast einlegen.

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Den Hof haben Ernst und Annelies Ulrich bereits an die nächste Generation übergeben. Wie es weitergehe mit dem touristischen Angebot, wenn sie und ihr Mann dieses dereinst nicht mehr machen wollen oder können, sei noch nicht klar. «Mir bereitet es aktuell jedenfalls noch grosse Freude.» Gefragt nach den Schwierigkeiten, beschreibt Annelies Ulrich die nicht selten fehlende Rücksicht der Fahrradfahrer gegenüber der Landwirtschaft. Oft werde zu schnell und zu wenig umsichtig durch die Höfe gefahren, moniert sie. «Das ist mit grossen Gefahren verbunden – für beide Seiten», sagt sie in der Hoffnung, dass gerade dort mehr informiert würde.

Ein «Lehrblätz» für die Gemeinde Langnau

Informieren also. Genau das sei für Langnau auch der «Lehrblätz», sagt Martin Lehmann. «Wenn wir gewusst hätten, welcher Widerstand uns da erwartet, hätten wir früher das Gespräch gesucht», gesteht er ein. Wie viel dieses gebracht hätte, weiss er allerdings nicht, der Widerstand sei derart fundamental.

Die Herzschlaufe vorbei am Hof der Familie Hofer wird Anfang Mai offiziell eingeweiht. Die Beschilderungen werden derzeit angebracht – ändern lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nichts mehr.

Nachgefragt bei Isabelle Holenstein: «Grundsätzlich haben wir keine Kenntnis über schwerwiegende Problemfälle»

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit zwischen der Tourismusbranche und der Landwirtschaft?
Isabelle Hollenstein: Das gepflegte Landschaftsbild und die prächtigen Bauernhöfe sind für den Tourismus von hoher Bedeutung. Entsprechend auch die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft. Wir pflegen im Emmental einen sanften und nachhaltigen Tourismus, in erster Linie für Schweizer Gäste und Einheimische. Der Dialog mit dem Verein Landwirtschaft Emmental rund um die Zusammenarbeit der beiden Branchen wurde im vergangenen Jahr aufgenommen und soll in diesem Jahr weitergeführt werden. So entstanden spannende Partnerschaften mit Landwirtschaftsbetrieben und ein wertvoller Erfahrungsaustausch.

Wo sehen Sie dabei Chancen für die Bäuerinnen und Bauern?
Unsere Zielgruppe sind in erster Linie Genussmenschen, zu Fuss oder auf dem E-Bike unterwegs. Sie wollen unsere Hügellandschaft geniessen und dabei die Gastfreundschaft erleben können. Dazu gehört auch der Genuss von Regionalprodukten. Diverse Hofläden sind in den letzten Jahren entlang von Velo- und Wanderrouten entstanden sowie ein attraktives Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten auf Bauernhöfen. Die Nachfrage nach agrotouristischen Angeboten steigt jährlich. Das bestätigt auch der wachsende Verein Agrotourismus Emmental-Oberaargau, von Bund und Kanton unterstützt als «Projekt regionaler Entwicklung». Die steigenden Übernachtungszahlen und Restaurantverpflegung bieten ebenfalls zusätzliche Absatzkanäle für Landwirte.

In welchen Bereichen kommt es zu Herausforderungen oder gar Problemen?
Grundsätzlich haben wir keine Kenntnisse über schwerwiegende Problemfälle oder gar Unfälle von Gästen. Bei Velorouten gibt es einzelne Fälle, wo die Situation vor Ort gemeinsam mit der Gemeinde begutachtet wird, allenfalls auch weitere Beschilderungen montiert werden, wie beispielsweise «Achtung Hofdurchfahrt – bitte langsam fahren».

Dass Gäste zu schnell unterwegs sind, nebeneinander fahren, bei Wanderungen vom Weg abkommen, Abfall liegen lassen oder gar unhöflich zu Einheimischen sind – das kommt leider vor, auch wenn es sich um eine absolute Minderheit handelt. Dem können wir mit gezielter Kommunikation von gewissen Verhaltensregeln im ländlichen Raum versuchen entgegenzuwirken.

Die Bäuerinnen und Bauern fühlen sich teilweise vom Tourismus überrollt. Vor allem das Fahrradfahren hat zugenommen und führt teilweise zu Konflikten. Was tut der Tourismus, in Ihrem Fall Ihre Organisation, konkret in diesem Bereich?
Das Wohlbefinden der Anwohner entlang der Strecken und das Aufnehmen von deren Anliegen sind uns sehr wichtig. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Gespräche vor Ort geführt, um gemeinsame Lösungen anzugehen. Die Situation mit der Familie Hofer hat uns gezeigt, wie wichtig eine offene Kommunikation und der Austausch beidseitiger Anliegen sind. Wir werden in der Saison 2023 «Verhaltensregeln» aufstellen, die wir unseren Gästen auf den uns zur Verfügung stehenden Kanälen kommunizieren werden. Zudem findet zurzeit ein intensiver Dialog mit dem Berner Bauernverband und weiteren Akteuren und Akteurinnen aus der Landwirtschaft statt. Die Sensibilisierung zwischen dem Gast und dem Landwirt spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Was hätte im Fall der Familie Hofer anders laufen sollen und wie sollen sich Bauernfamilien verhalten, die in eine ähnliche Situation geraten?
Bei der Familie Hofer handelt es sich um eine öffentliche Gemeindestrasse. Für die Ausschilderung der Route haben wir die Erlaubnis der Gemeinde erhalten. Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung der jeweiligen Gemeinde, wie die Information der geplanten Strecke innerhalb des Gemeindegebiets kommuniziert wird. Wenn ein heikler Streckenabschnitt früh genug erkannt wird, kann das Gespräch mit den Anwohnerinnen und Anwohnern entsprechend frühzeitig aufgenommen werden. Rückblickend ist es auch für uns als Tourismusorganisation ein Lehrstück, dass wir gemeinsam mit den Gemeinden auch bei öffentlichen Strassen genauer hinschauen und sicherstellen, dass früher und klarer kommuniziert wird, damit solche Fälle vor Ort besprochen werden können.