«Die Autofahrer sind zum Teil fast aus ihrer Charre geflogen», erinnert sich Esther Hürlimann mit einem breiten Grinsen an ihre erste Ausfahrt. Und die Arbeitskollegen – die Bauführerin ist in einer Männerdomäne tätig – sagten Dinge wie «der arme Steyr» oder «das kannst du doch nicht machen».

«Jungs, was regt ihr euch auf?»

Esther Hürlimanns gelassene Reaktion auf Sprüche ihrer Arbeitskollegen.

Und ob sie das konnte. Zufrieden tätschelt die 40-Jährige ihren pinken Steyr Kompakt 4105, den sie von einem Bekannten hat folieren lassen. «Ich habe gefragt, ‹Jungs, was regt ihr euch auf?›. Erstens ist das mein Traktor und ich kann damit machen, was ich will. Zweitens habe ich mein Ziel schon erreicht. Ihr redet darüber, auf welche Weise, ist mir eigentlich egal.»

Gelernte Maurerin

Auf den ersten Blick würde man der direkten und zielstrebigen Frau gar keine Vorliebe für Pink zutrauen. Doch sie liebt die Farbe, man findet sie im Kleiderschrank, auf den Nägeln und «wenn ich ausreite, ist die Ausrüstung meines Pferdes pink».

Esther Hürlimann stammt nicht aus einer Bauernfamilie. Nach der Schule lernte sie Maurerin, arbeitete als Vorarbeiterin und absolvierte schliesslich die Bauführerschule. Letzteres eher unfreiwillig, im Büro sah sie sich gar nicht, sie wollte Polierin werden, doch ein Knochentumor im Handgelenk machte ihr einen Strich durch die Rechnung.

Weltmeister im Lästern

Heute arbeitet Esther Hürlimann Vollzeit als Bauführerin bei der Kibag Bauleistungen AG in Langenthal BE. Derzeit beschäftigen sie vor allem Abbrüche und Aushub. Dass sie stets in männerlastigen Berufen gearbeitet hat, hat die Bernerin nie gestört. «Ich arbeite lieber mit Männern. Ich kann aber sagen, dass sie beim Thema Lästern gar nicht etwa besser sind als Frauen, sie sind richtige Weltmeister darin», entkräftet sie im Gespräch ein Klischee.

Kelle hinterhergeworfen

Nicht immer sei es einfach gewesen, in der Lehre habe sie erst untendurch gemusst, irgendwann lerne man, sich durchzusetzen. «Da musste ich halt auch mal einem eine Kelle hinterherwerfen», erinnert sich Esther Hürlimann an ihre Berufsanfänge zurück.

«Am zweiten Tag musste ich schon mit ihm schimpfen.»

Liebe auf den ersten Blick war es nicht, als sie ihren Partner Andreas Hirschi bei der Arbeit kennenlernte. 

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«So falsch wäre der ja gar nicht»

Bei der Arbeit hat sie auch ihren Partner Andreas Hirschi kennengelernt. Er begann als Disponent in der gleichen Firma. Es war keine Liebe auf den ersten Blick – im Gegenteil. «Am zweiten Tag musste ich schon mit ihm schimpfen, weil er die Lastwagen falsch disponiert hatte.» Bei einer heftigen Diskussion draussen, wo sie das Ganze beilegen wollten, habe sie dann gemerkt: «So falsch wäre der ja gar nicht.»

Und so landete die Mutter einer 19-jährigen Tochter namens Jeanne doch noch auf einem Bauernhof, etwas, was sie sich immer hätte vorstellen können, aber sich vorher nie ergeben hatte. Auch Andreas brachte zwei Kinder in die Patchwork-Familie, die heute 15 und 13 Jahre alt sind.

Intensive Jahre

Der Umzug auf die Bisseggmatte in Madiswil BE war intensiv. Im August 2019 wurden Andreas Hirschi und Esther Hürlimann ein Paar, im Dezember starb sein Vater. Schwager Ueli hatte den Betrieb zwar bereits gepachtet, aber alle Beteiligten arbeiteten auswärts. Es gab viel zu diskutieren, zu regeln und umzustellen, aber seit 2022 gehört der Betrieb zu 50 Prozent Ueli und zu 50 Prozent Esther Hürlimann. Ihr Partner ist auf dem Betrieb angestellt.

Das Wagyu unter den Hausschweinen

Daneben führt Esther die «Stressfrei vom Hof GmbH» und bietet Hoftötungen von Schweinen, Rindern, Schafen und Ziegen und auch Notschlachtungen an. «Das Tierwohl steht für uns an oberster Stelle», sagt Esther Hürlimann.

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AboAndreas Hirschi, Esther Hürlimann und Johnny. Der 435 kg schwere, 4-jährige Eber ist nun auf dem Hof Biseggmatte, wo er als Deckeber bis zu seinem Lebensende verbleiben wird. WeihnachtsgeschichteSchwein gehabt – Die Geschichte von Olma-Eber JohnnyFreitag, 22. Dezember 2023 Der 7-Hektaren-Betrieb ist Demeter-zertifiziert. Auf dem Hof leben Mutterkühe mit Kälbern (drei Hinterwälder-Rinder, ein Wagyu, zwei Aubrac, vier Dahomey und ein Dahomey-Stier), zwei Wollschweine, zwei Moren aus dem FiBL-Projekt «Mein Hausschwein» und zwei Moren der Rasse Berkshire und ein Eber. Die älteste englische Schweinerasse gilt als das «Wagyu unter den Hausschweinen». 

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Zirka 30 Ferkel tummeln sich derzeit im Freiland. Das Fleisch vermarkten sie direkt, sie werden immer öfter auch für Caterings angefragt. Ziel ist es, später mal einen eigenen Verarbeitungsraum auf dem Hof einzurichten. Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, ist dem Paar wichtig, sie sind auch beim «Tag der offenen Hoftüren» dabei. Ihr Credo lautet: «Wir haben nichts zu verstecken.»

«Seelenpferd» mit Handicap

Die Schweine sind das Hoheitsgebiet von Andreas Hirschi, die Pferde die Domäne von Esther Hürlimann. Sie hat sechs eigene Pferde, darunter den Freiberger Fiola, «mein Seelenpferd». Die 15-jährige Freibergerstute mit Handicap, ihr Gesicht ist halbseitig gelähmt, fand sie einst über die Stiftung «Pferde in Not» total abgemagert auf einem Betrieb im Jura.

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«Sie kam einfach zu wenig zum Fressen, wegen ihrer Einschränkung war sie zuunterst in der Rangordnung.» Fiola braucht speziell viel und gutes Futter und bleibt trotzdem für ihre Rasse ein Leichtgewicht. Dazu kommen vier Shetlandponys und ein zweijähriger Burgdorfer-Wallach sowie vier Junghengste auf der Fohlenweide zur Aufzucht und zwei Pensionäre. Die Besitzer bekommen für ihr Geld den vollen Service, «die Bedingung ist einfach, dass es im Offenstall funktioniert».

Tractor Pullings faszinieren

Ihre rare Freizeit gehört den Pferden. Ausserdem besucht sie leidenschaftlich gerne Tractor Pullings. «Ich weiss, das steht etwas im Widerspruch zu unserer eigenen Philosophie, dass wir sogar im Flachen mit Doppelrädern fahren, um den Boden zu schonen. Aber bei den Pullings tut sich in diesem Bereich auch einiges.» Wäre das Leben ohne Widersprüche nicht langweilig? So mag man Esther Hürlimann auf den ersten Blick keinen pinken Traktor zutrauen und auf den zweiten passt das Gefährt mit der Aufschrift «Bisig-Queen» ganz wunderbar zu ihr.

Website des Hofs

Website «Stressfrei vom Hof»