«Was mich nicht umhaut, macht mich stark. Frauenpower in der Landwirtschaft», lautete der Titel des Tages der Bäuerin am 14. Oktober 2021. Damit wählten die Veranstalterinnen ein Thema, das gerade nach der krisenreichen jüngsten Vergangenheit viel Gesprächsstoff bot.

Verschiedene Schicksale

An der lockeren Gesprächsrunde nahmen mit Priska Wismer-Felder, Margrith Loretz, Carina Rohner und Andrea Joss vier Bäuerinnen teil. Sie alle erzählten von ihren individuellen Schicksalsschlägen, Stolpersteinen und besonderen Herausforderungen. Und davon, was sie aus den traumatischen Lebensereignissen oder sogar -phasen lernen und mitnehmen konnten.

Eine zusätzliche Perspektive brachte Peter Kopp ein, Leiter des Departements Soziales und Dienstleistungen des Schweizer Bauernverbands und Generalsekretär der Agrisano.

Wie eine Gipfelbesteigung

Was sind die Dinge, die uns ins Straucheln bringen? Und wo finden wir Halt, wenn wir den Boden unter den Füssen verlieren? «Ich musste mir eine Art Insel schaffen; etwas, wo ich meinen Kopf freikriegen konnte. Für mich war dies das Wandern in den Bergen», erinnert sich die Urner Bäuerin Margith Loretz.

Vor dreieinhalb Jahren wurde bei der dreifachen Mutter Enddarmkrebs festgestellt, eine Diagnose, die ihr ganzes Leben veränderte. «Es war sehr schwierig, diesen Befund anzunehmen und diese Grenze zu akzeptieren», erzählt Loretz rückblickend.

Ein festes Ziel hilft

Es sei ihr deshalb während ihres anderthalbjährigen Kampfes immer wichtig gewesen, ein festes Ziel vor Augen zu haben: «Ich habe meine Krankheit symbolisch wie eine Gipfelbesteigung gesehen; als etwas Kräftezehrendes, das enorm viel Ausdauer braucht.»

Ein Berggipfel in Sichtweite ihres Zuhauses habe deshalb besondere Bedeutung für sie erlangt, sagte Loretz. Nachdem sie den Krebs besiegt hatte, sei sie den Weg auf diesen Gipfel gemeinsam mit ihrer Tochter gegangen. «Das hat mir enorm viel Kraft und neue Energie gegeben», sagte die Urnerin.

Tiefpunkt als Chance

Eine persönliche Krise war für Carina Rohner aus dem st.-gallischen Kriessern ein wichtiger Schlüsselmoment. Nach anfänglichen Schwierigkeiten beim Generationenwechsel und einer enorm arbeitsreichen Zeit auf dem Betrieb war es ein Konflikt mit ihrer Schwester, der Rohner fast aus der Bahn warf.

Die beiden Ostschweizerinnen hatten gemeinsam einen gutlaufenden Hofladen aufgebaut und die erfolgreiche «Rohner’s Gmüasbox» lanciert. Doch allem Erfolg zum Trotz wollte sich die Schwester schliesslich zurückziehen und beruflich umorientieren. «Ihr Weggang hat ein riesiges Loch hinterlassen; das hat mich enorm irritiert und verunsichert», erklärt Carina Rohner.

Nach einer Zeit der Orientierungslosigkeit habe sie dann aber die Chance zur Veränderung gesehen und auf dem Betrieb eine längst überfällige Umstrukturierung vorgenommen. Das hat sich ausgezahlt: 2020 gewann Rohner mit ihrem wegweisenden Hofladenkonzept dieerste Krone des Trägervereins Culinarium.

Doppelt belastet

Einen etwas unüblichen «Zweitjob ausser Haus» hat Priska Wismer-Felder: Die ausgebildete Primarlehrerin arbeitet zum einen auf dem Betrieb im luzernischen Rickenbach und zum anderen in Bern im Bundeshaus. Wismer sitzt seit 2019 für «Die Mitte» im Nationalrat.

Dieser Spagat zwischen zwei komplett verschiedenen Welten sei nicht immer einfach zu bewältigen, berichtet sie. Beiden Jobs sei gemeinsam, dass an sie unterschiedlichste Erwartungen und Anforderungen herangetragen würden, denen sie gerecht werden müsse. «Das kann auch mal zu viel werden», räumt Wismer ein. Neue Kraft finde sie dann bei ihrer Familie, beim Jodeln im Chor oder beim Jassen.

Selber in die Hand nehmen

Andrea Joss’ Leben hat vieleFacetten, sie ist Bäuerin, Bäckerin, Mediatorin, Sachbearbeiterin Treuhand und dreifache Mutter. Ihre Geschichte ist von Rückschlägen geprägt: Nachdem sie mit ihrem Ex-Mann 15 Jahre lang auf einem Betrieb im Fricktal gearbeitet und dort eine erfolgreiche Hofbäckerei hatte, sei sie am Ende ihrer Kräfte gewesen, erzählt Joss.

Vor allem die Konflikte mit den Schwiegereltern und dem Ex-Mann schienen nicht zu bewältigen. Also kehrte Joss dem Hof schweren Herzens den Rücken.

Neuanfang - und noch ein Tiefschlag

Geplagt von einem Burnout und mit Geldsorgen liess sich Joss erst zur Treuhänderin und wenig später mit Erfolg zur Mediatorin ausbilden. Als ihr Leben endlich wieder geordnet schien, kam unvermittelt der nächste Tiefschlag: Ihr Ex-Mann lag im Sterben, der heimische Betrieb war am Boden.

Für Joss war klar, dass sie die Lücke, die ihrEx-Mann hinterliess, ausfüllen müsste, wenn sie ihren Kindern den Hof in gutem Zustand übergeben wollte. Also orientierte sie sich erneut um, bildete sich in der Landwirtschaft fort und arbeitete hart, um den Hof und die Bäckerei zu retten. Das gelang dank der Unterstützung ihrer Kinder und ihres neuen Partners.

Wer sucht, wird finden

Andrea Joss hat auf das Thema des Tages der Bäuerin eine doppelte Perspektive: eine persönliche und eine professionelle. So rät sie allen Anwesenden: «Reagiert, bevor es zu spät ist! Sucht frühzeitig das Gespräch mit euren Partnern, sprecht die Probleme an. Und sucht Hilfe in der Mediation, der professionellen Konfliktvermittlung. Ihr seid nicht alleine mit euren Problemen», sagte sie an das Publikum gewandt.

Wer Hilfe suche, erhalte diese auch. Dem  pflichteten ihre Gesprächspartnerinnen einstimmig bei.