Martha Weber (79) und ihr Mann Felix führten in 13. Generation ihren Landwirtschaftsbetrieb auf dem Zollikerberg ZH bis Anfang der 90er-Jahre. Dann übergaben sie den Hof ihrem jüngeren Sohn. Felix Weber, damals gesund und rüstig, suchte sich eine neue Herausforderung. «Die Betriebsarbeit liess diesen Schritt zu und unser Sohn, zusammen mit seiner Frau, sollte sein eigener Meister sein. ‹Abstand schafft Nähe›, war unsere Devise», erzählt die Bäuerin.

«Mein Bild von Heimat»

Martha Webers Mann war wegen der neuen Arbeit viel auswärts und sie alleine zu Hause. Zweifel befielen sie: «Ich war mit Leib und Seele Bäuerin. Schaffe ich dieses neue Leben ohne Bauernbetrieb?» Sie dachte über ein Engagement in der Altenpflege nach, liess dies aber wieder fallen, weil sie als Grossmutter gebraucht wurde. Der Traum von etwas Neuem, nur für sich selbst, blieb jedoch.

Die rüstige Frau ist mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof im Tösstal im Kanton Zürich aufgewachsen. «Wir hatten einen Nachbar, der manchmal am Abend auf dem Bänkli vor dem Haus Schwyzerörgeli spielte. Das ist mein Bild von Heimat», erinnert sie sich. Als Kind und Jugendliche besuchte sie beim Dorfschullehrer Geigenunterricht, «und eine Zeit lang habe ich sogar im Tösstaler Kammerorchester mitgespielt», erzählt sie stolz. In der Zeit der Unsicherheit und Neuorientierung, in einer Art Heimatlosigkeit in der Anonymität der Vorstadtgemeinde, tauchte das Bild vom Örgelispieler wieder auf.

Mit Üben und Fleiss

Martha Weber, damals 55-jährig, liess Taten folgen. Die ersten Örgelistunden nahm sie bei einem Bekannten, der ohne Noten spielte. Später besuchte sie den Unterricht bei einer Weiterbildungsorganisation. Manchmal spielte und übte sie intensiv. Ab und zu machte sie Pausen, wie damals, als sie sich einen Finger gebrochen hatte oder wenn sie bei der Betreuung der zehn Enkel gebraucht wurde. Alle paar Jahre besucht sie irgendwo in der Schweiz eine Örgeliwoche. «Diese Treffen sind sehr wertvoll und nachhaltig,» erzählt sie. «Man lernt andere Musikanten kennen, vernetzt sich, trifft alte Bekannte wieder.» Dort kann sie ihr Zusammenspiel verbessern und bekommt ein paar Einzellektionen, in welchen ihr ein erfahrener Musiker individuelle Optimierungsmöglichkeiten aufzeigt. «Und ausserdem komme ich in Regionen und Gegenden, die ich überhaupt nicht kenne. Ferien lagen früher nicht drin.».

Einige Jahre hat Martha Weber in einer Grossformation mitgespielt. Heute spielt sie eher in kleinen Gruppen, die spontan zusammenfinden. Dank fleissigem Üben und ihrem starken Durchhaltewillen hat sie sich ein breites Repertoire an Stücken angeeignet und überzeugt auch als Einzelspielerin.

Mit Örgeli nach Kanada

Martha Weber und ihr Mann leisteten zahlreiche Arbeitseinsätze auf der Farm ihres älteren Sohns in Kanada. Dieser motivierte seine Mutter jeweils, das Örgeli mitzubringen. Ein Film, aufgenommen vom Enkel, zeigt sie in der Wohnstube des Sohnes in Kanada, zusammen mit anderen Örgelern und einem Bassgeiger. «Er hat ausgewanderte Schweizer zusammengetrommelt und wir haben drauf losgespielt. Alles hat gepasst!» Heute arbeitet sie als Freiwillige im Besuchsdienst im Altersheim. «Die Betagten, oft auch Demente, geniessen das Örgelispiel sehr, mit glänzende Augen summen sie mit und übernehmen den Rhythmus», erzählt sie.

Tradition ist wichtig

«All das wäre nicht möglich gewesen, ohne die Unterstützung durch meinen Mann. Grosse Freude habe ich an unserer 12-jährige Enkelin, die Klavier spielt und mich bei einzelnen Stücken begleiten kann,» erzählt sie begeistert. «Meine Mutter war Appenzellerin und liebte die Volksmusik aus ihrer Heimat. Offenbar habe ich davon etwas mitbekommen.» Durch das Örgelispiel habe sie realisiert, wie wichtig ihr Traditionen und Volkskultur seien. Durch die Musik habe sie persönlich mehr Selbstvertrauen und Eigenständigkeit gewonnen. Das Spielen auf dem Schwyzerörgeli sei etwas fürs Gmüet, daneben erfordere es Fingerfertigkeit und Konzentration: «Etwas für Herz, Hand und Kopf,» fasst sie es treffend zusammen.