Demonstrativ legt Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz im SRF-«Kassensturz» (Video  siehe unten) tote Küken neben eine Eierschachtel. Die Sendung legt einmal mehr den Finger auf den wunden Punkt der Eierbranche. Doch diese ist nicht inaktiv, wie Gallosuisse-Präsident Daniel Würgler im Interview erläutert. Und er präzisiert gleich zu Beginn die Zahl der 3,5 Millionen männlicher Küken, die in der Schweiz pro Jahr mit Gas getötet werden: etwa 700'000 davon seien Futterküken für Zoos und Heimtiere. Diese Verwertung sehe man als sinnvoll an und wolle sie auch beibehalten, da diese Menge sonst importiert werden müssten, so Würgler. Gesucht sei somit eine Lösung für die restlichen 2.1 Millionen konventionellen Küken.

Vor gut einem Jahr hat die Eierbranche ohne konkreten Zeitplan den Ausstieg aus dem Kükentöten mit einer Branchenlösung beschlossen. Was ist seither in diesem Bereich gelaufen?

Daniel Würgler: Wir sehen eine Branchenlösung als einzigen gangbaren Weg. Das bedeutet, die ganze Wertschöpfungskette muss zustimmen. Dazu haben wir im Sommer alle beteiligten Akteure (Brütereien, Handel, Konsumenten) zu einem runden Tisch eingeladen, um vier Möglichkeiten zu diskutieren: Weiter wie bisher, Zweinutzungsrassen, Bruderhahnmast und In-Ovo-Geschlechtsbestimmung.

Gallosuisse hat sich bereits früher für die Geschlechtsbestimmung ausgesprochen.

In der aktuellen Situation müssen wir etwas tun, Zweinutzungsrassen und Bruderhähne haben aber gewichtige Nachteile. Letztere brauchen mehr Ressourcen und zusätzliche Infrastruktur für Mast, Schlachtung und Vermarktung. Für Nischen- oder Teilmärkte kann das eine Lösung sein. Auch Bio Suisse bestimmt ihren Weg selbst (das betrifft etwa 700'000 der rund 3,5 Millionen Legehennen in der Schweiz). Für den grossen Rest brauchen wir aber  auch Lösungen.

Gibt es zum aktuellen Zeitpunkt einen Plan, bis wann der Ausstieg geschafft sein soll?

Im Auftrag des runden Tisches wurde im Sommer geprüft, ob, bis wann und mit welcher Technologie die Geschlechtsbestimmung im Ei in der Schweiz implementiert werden könnte. Wir haben Firmen angefragt und alles durchgerechnet. Wenn alle Stufen zustimmen, die nötigen Bewilligungen erteilt und die Maschinen rasch geliefert werden, wäre ein rascher Ausstieg möglich. Wir haben heute noch zu viele Unsicherheiten und Hürden zu überwinden, um ein genaues Datum zu nennen – auch wegen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Deutschland hat den Ausstieg für 2022 beschlossen. Kommt die Schweiz damit in Zugzwang?

Der Entscheid in Deutschland ist ein rein politischer. Ich stelle stark in Frage, ob er sich auch umsetzen lässt. Einige deutsche Brütereien schliessen, andere haben in die Geschlechtsbestimmung investiert. Teilweise werden auch Bruderhähne als Eintagsküken nach Polen exportiert und dort gemästet oder man importiert Hennenküken aus Ländern, wo andere Regeln gelten. Es passiert nicht nichts, aber das Verbot zwingt schlechte Lösungen auf. 

Würden Sie sich in der Schweiz eine grössere politische Debatte zum Kükentöten wünschen?

Wir sind Produzenten und Praktiker, wir haben die Umsetzung eines Ausstiegs im Blick. Wir sind schon dran, da brauchen wir kein politisches Verbot. Damit wäre nichts erreicht, aber der Zeitdruck könnte gute Lösungen verunmöglichen.

Hätten Zweinutzungshühner für Produzenten auch Vorteile (z. B. weniger Tierarztkosten durch bessere Gesundheit, etwa in puncto Knochenbrüche oder Lungenprobleme)?

Zweinutzungsrassen haben Vorteile, aber auch gewichtige Nachteile, vor allem in der konventionellen Produktion. Bei Bio ist der Unterschied der Mastdauer klein, weil dort sowieso extensiv produziert wird. In der konventionellen Mast würden sich die Kosten verdoppeln, die Ressourceneffizienz pro Kilo Fleisch würde sinken. Ausserdem legen die Hennen dieser Rassen 15 bis 30 Prozent weniger Eier, die zudem kleiner sind. Für die gleiche Eiermenge müsste der Bestand demnach um einen Drittel wachsen, es bräuchte mehr Futter und mehr Ställe in der Landwirtschaftszone. Damit hätten wir das Problem verlagert, nicht gelöst. Falls der Konsument bereit ist, für weniger mehr zu bezahlen, wäre es aber durchaus eine Möglichkeit. 

Die Geschlechtsbestimmung im Ei ist aber auch nicht gratis.

Nein, es fallen Lizenzgebühren für die Technologie und Kosten für Anpassungen in den Brütereien an. Die heute schon verfügbaren Respeggt-Eier zeigen, dass mit fünf bis sieben Rappen pro Ei gerechnet werden kann.

Plant Gallosuisse Aufklärungskampagnen, wie es beim Suppenhuhn gemacht wird, um auf die Thematik aufmerksam zu machen?

Ohne Kükentöten ist kein Mehrwert, sondern eine Verantwortung, die wir wahrnehmen. Es ist nichts Positives, das man hervorheben will. Daher streben wir eine Branchenlösung an: Niemand soll am Markt gegeneinander ausgespielt werden, es geht nicht um Marketing. 

Was passiert, wenn der runde Tisch den Vorschlag von Gallosuisse, dem Aviforum und den Brütereien ablehnt?

Dann liegt der Ball ganz klar nicht mehr bei den Produzenten. Wir haben den Lead in dieser Sache übernommen und einen Vorschlag erarbeitet. Wenn der abgelehnt wird, müssen andere eine Lösung bringen.

Ist es überhaupt realistisch, dass die ganze Wertschöpfungskette zustimmt?

Ich glaube, man ist mittlerweile so weit, dass der Ausstieg von Politik und Gesellschaft gefordert ist. In jedem Fall ist die Branchenlösung am günstigsten, weil so die Mehrkosten auf eine möglichst grosse Anzahl Eier aufgeteilt werden. Vielleicht werden wir vom Handel und den Konsumenten  aufgefordert, noch zu warten, bis die Technologie besser geworden ist.

Die Mehrkosten sollen die Konsumenten tragen?

Wir Produzenten haben bereits am meisten Arbeit und tragen viel Risiko. Die zusätzlichen Kosten können wir nicht selber tragen. Zudem werden wir vielleicht in fünf Jahren die Technologie zur Geschlechtsbestimmung anpassen müssen. Gerade für die Brütereien bedeutet der Ausstieg auch ein grosses Risiko.

Die Migros hat kürzlich als «Weltneuheit» das erste «vegane hartgekochte Ei» präsentiert. Löst sich die Tierschutz-Debatte in der Eierbranche vielleicht bald auf andere Weise?

Ich habe grossen Respekt vor jenen, die sich mit pflanzlichen Proteinen ernähren wollen. Solche Produkte sollten aber nicht wie tierische ausgelobt werden. Das hat nichts mit Eiern zu tun und ist auch keines, sondern pflanzliches Protein in gelber und weisser Farbe. Da will man vom guten Image eines tierischen Produkts profitieren.

Um den Eierkonsum der Zukunft machen Sie sich also keine Sorgen?

Nein. Mich besorgt eher, dass die Menschen Nahrungsmitteln einen zu kleinen Stellenwert in ihrem Leben einräumen. Der Bezug dazu und das Verständnis für deren Herstellung gehen verloren. Produzenten und Konsumenten müssen wieder mehr miteinander reden.

Hätte es die ganze Kükentöten-Diskussion gar nicht gegeben, wenn es nicht zu dieser Entfremdung gekommen wäre?

Der Tod ist ein heikles und emotionales Thema und das Kükentöten schwer zu verstehen sowie komplex zu erklären. Wir Produzenten arbeiten im Spannungsfeld zwischen Tierwohl, Umwelt und Klima. In Zukunft müssen wir noch mehr Sorge zu unseren Ressourcen tragen. Wenn wir viel davon für Bruderhähne verschwenden wollen, ist das eine gesellschaftliche Entscheidung. Dann stellen wir das Tierwohl über das Klima.

Man könnte auch sagen, die Diskussion ist scheinheilig: Am Ende töten man die Tiere sowieso.

Unsere Aufgabe ist es, das Tierwohl vom ersten bis zum letzten Lebenstag der Tiere zu gewährleisten. Am Ende stellt sich die Frage, wovon wir uns noch ernähren wollen. Der Konsument hat die Wahl.

Auch für Produzenten ist das Kükentöten nicht einfach. Treiben Sie den Ausstieg auch ein Stück weit für sich selbst voran?

Es ist uns wichtig, was an den vor- und nachgelagerten Stellen passiert. Das zeigen auch unsere Bemühungen zur Vermarktung von Suppenhühnern. Wir sehen beim Kükentöten Handlungsbedarf und orientieren uns nicht am Minimum, wie die Schweiz auch führend ist mit ausschliesslich Besonders Tierfreunlicher Stallhaltung (BTS) und über 80 Prozent Freilandhaltung. Wenn es eine einfache Lösung für das Kükentöten gäbe, hätten wir sie bereits umgesetzt.

Was ist der nächste Schritt?

Im Dezember präsentieren wir unseren Vorschlag, dann haben die Marktakteure über den Winter Zeit für Evaluationen. Anfang 2022 soll entschieden werden. Für die Branchenlösung brauchen wir eine 100-prozentige Zustimmung von allen. Ich muss aber betonen, dass dieser Vorschlag nur ein erster Schritt hin zu einer Lösung ist. Die Technologie ist schliesslich noch in Entwicklung begriffen und die Fehlerquote bewegt sich aktuell im Prozentbereich, man entsorgt also auch Hennen. Die heutige Methode hat eine Fehlerquote von 0,1 Prozent.

Wie sähe denn für Sie eine definitive Lösung aus?

Für mich wäre das die Geschlechtsbestimmung im Ei am Tag 0 – das wäre ressourceneffizient und ethisch korrekt. Heute ist man beim 7. bis 13. Bruttag und es ist noch unklar, ab wann genau das Schmerzempfinden des Embryos einsetzt. Da brauchen wir auch Unterstützung aus der Forschung.

SRF-«Kassenstrurz» zum Thema:

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