Geht von Produkten des Genom-Editings eine Gefahr aus, welche Chancen bieten sie und wie könnten neue gentechnische Verfahren reguliert werden? Diese Fragen sind angesichts der Zustimmung des Ständerats zu einer Ausnahmeregelung für genom-editierte Pflanzen ohne artfremdes Gen-Material hoch aktuell. Die drei Referierenden an einem Webinar zum Thema Genom-Editierung von «Agrarpolitik – der Podcast» lieferten unter der Moderation von Andreas Wyss und seinem Team Antworten. Sie zeigten ausserdem auf, dass diese Antworten weder einfach ausfallen können, noch sollten.

Präzision bedeutet nicht automatisch Sicherheit

[IMG 2]«Genom-Editing ist längst nicht so präzise wie behauptet», meinte Angelika Hilbeck, Ökologin an der ETH Zürich. Seit über 25 Jahren forsche sie zu den Risiken der Gentechnik und erlebe derzeit eine Art Déjà-vu: Schon beim Aufkommen der ersten Methoden sei eine ähnliche Euphorie ausgebrochen wie heute in Bezug auf Crispr-Cas und Co. – aber kaum einer der damals in Aussicht gestellten Meilensteine habe man erreicht. «99 Prozent der eingesetzten GV-Pflanzen sind Soja, Baumwolle, Mais oder Raps und haben entweder eine Herbizid- oder eine Insektenresistenz durch Bt-Toxin», hielt sie fest.

Auf der anderen Seite haben sich laut Hilbeck verschiedene Warnungen bewahrheitet. Die Resistenzen gegen Bt-Toxin und Glyphosat seien weltweit «eskaliert», die Bauern teilweise am Anschlag. Sie kämpften mit Super-Unkräutern, die kaum mehr kleinzukriegen seien. «Die warnenden Umweltwissenschaftler und Ökologen wurden massiv von der Gentech- und Industrieseite angegangen. Nun müssen die Bauern es ausbaden und die Industrie verdient daran», schildert Hilbeck.

Zwar könne man Crispr-Cas vorgeben, wo es schneiden soll. Es gebe in der Folge aber nicht nur einen Schnitt im Erbgut der Zielpflanze, sondern viele und «DNA-Doppelbrüche sind für die Pflanze keine kleine Kleinigkeit», gab die Ökologin zu bedenken. Die Brüche müssten repariert werden, worauf Forschende keinen Einfluss haben. Fehler seien dabei vorprogrammiert und in der Literatur hinreichend belegt. Wegen der bekannten Probleme sei es der Industrie auch ein Anliegen, neue Methoden als Neustart darzustellen, «daher auch die irreführende Bezeichnung Genom-Editierung. Es wird nichts editiert – weil Organismen keine Computer sind».

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Zu wenig Wissen über Risiken

Angelika Hilbeck nannte weitere Nachteile des Genom-Editings:

  • Es könnten nur einfache Eigenschaften verändert werden, die nicht mehrere Gene involvieren.
  • Die Genschere erreiche auch Stellen im Erbgut, die natürlicherweise vor Mutationen eher geschützt wären.
  • Ungewollte «Off-Target»-Effekte könnten diverse, unvorhersehbare Folgen haben.

Ganz generell gebe es zu wenig Risikoforschung in diesem Bereich, womit auch jede Verantwortung abgelehnt werde. «Man hat einen sehr technischen Blick auf das Erbgut», bemängelt Hilbeck. Dabei gehe vergessen, dass einerseits verschiedene Gene komplex zusammenspielen und GV-Pflanzen ausserdem mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung treten. Im Übrigen verspreche man sich einen allzu raschen Zuchtfortschritt – «Gentechnik kann nur das Ausgangsmaterial für die weitere Zucht liefern. Keine Pflanze wandert von der Petrischale direkt aufs Feld». Angesichts der grossen Wirkmächtigkeit von Genom-Editing, dem unzureichenden Wissen um mögliche Risiken und der Tatsache, dass Protokolle für den Einsatz von Genscheren z. T. im Internet für jedermann zugänglich sind, fordert die Forscherin das genaue Gegenteil des Weges, den die Schweizer Politik gerade eingeschlagen hat: Eine strengere Regulierung der neuen gentechnischen Methoden.

Ohne Perspektiven ist die Forschung blockiert

Dass Genom-Editierung andere rechtliche Rahmenbedingungen braucht als die «alte» Gentechnik, davon ist Roland Peter überzeugt. Der Leiter Pflanzenzüchtung bei Agroscope wünscht sich eine chancenorientierte Diskussion darüber. Es gelte, die Potentiale gen-editierter Pflanzen mit einer risikobasierten Prüfung zu nutzen. Potential sieht Peter etwa bei der Produktivität, Resistenzen, Qualität oder Stresstoleranz. Nicht zuletzt die über 400 bekannten Projekte in diesem Beriech zeigen für ihn, dass es viele Möglichkeiten gäbe. Dass, wie Angelika Hilbeck erklärt hatte, nur eine Handvoll Produkte heute auf dem Markt sind, begründet der Agroscope-Forscher primär mit den hohen Kosten für die Zulassung. «Nur die ökonomisch aussichtsreichsten Merkmale wie eben Herbizid- und Insektenresistent, schaffen es so auf den Markt.»[IMG 3]

Die Möglichkeiten der Gentechnik erstmals vor Augen geführt habe ihm das Beispiel des Golden Rice, der noch in den 90er Jahren gentechnisch mit Beta-Carotin angereichert wurde. Dies mit dem Ziel, Mangelernährung in armen Ländern zu bekämpfen. Erst 2021 sei dieser Reis nun zugelassen worden, da jährlich über 500'000 Kinder wegen Vitamin-A-Mangels erblinden, erzälte er.  

Das in der Schweiz seit 15 Jahren herrschende Moratorium wirkt nach Meinung von Roland Peter wie ein Hemmschuh auf die hiesige Forschung – es fehle schlicht die Perspektive. «Ohne Anwendungsforschung können wir Zielkonflikte wie z. B. Erhalt der Produktivität und Reduktion des chemischen Pflanzenschutzes nicht schneller in der Praxis angehen», erklärte er. Auch zugelassene Methoden wie die nicht-zielgerichtete Mutagenese würden nicht weiterentwickelt. Bis nach einer allfälligen Ausnahme vom geltenden Moratorium ein erstes, komplett neu entwickeltes genom-editiertes Schweizer Produkt auf dem Markt wäre, würde es laut dem Agroscope-Forscher je nach Kulturart bis 2030 dauern. «Bei Äpfeln ginge es noch länger. Hingegen wären wir schneller, wenn wir auf der Arbeit des Auslands aufbauen würden», führte Peter aus. Bei all dem ist für ihn klar, dass die traditionelle Methode über Kreuzungen die Basis für die Pflanzenzucht bleiben wird.

Es gelte, die Zeit des Moratoriums zu nutzen, und sich mit der Umsetzung einer differenzierten Gesetzgebung für Genom-Editing zu beschäftigen.

Heutige Zulassung als unüberwindbare Hürde

[IMG 4]Einen Ausblick darauf, wie eine angepasste Rechtlage für neue gentechnische Verfahren aussehen könnte, gab die Juristin Anna Züst. «Nach heutiger Definition sind genom-editierte Pflanzen GVO, weil man sich an der Unnatürlichkeit des Verfahrens orientiert», erklärte sie. Die Herstellungsart stehe im Vordergrund, nicht das Produkt selbst. Ausser Acht bleibe dabei, ob es sich um eingefügte Punktmutationen oder ganze Gene handle.

Weiter könnten gerade punktmutierte GV-Pflanzen die Anforderung der Zulassung nicht erfüllen, zumal dafür die Angabe eines Identifizierungs- und Nachweisverfahrens erforderlich ist. Besonders bei kleinen Änderungen im Erbgut ist Stand heute die Nachweisbarkeit des angewendeten Verfahrens jedoch nicht gegeben. «Das geltende Recht ist den neuen gentechnischen Verfahren nicht mehr gewachsen», schlussfolgerte Züst. Daher brauche es für die Zukunft eine Anpassung.

Mit einer neuen Regulierung könnte die Schweiz eine Vorbildrolle einnehmen, findet die Juristin. Interessant ist ihrer Meinung nach der Ansatz des Bundesrats, risikobasiert vorzugehen. «Damit wirft man nicht gleich das ganze System über den Haufen.» Vielmehr sollten Gentech-Pflanzen gemessen an Verfahrensrisiken (Zahl der Veränderungen, Präzision der Methode, Herkunft der eingefügten DNA und Erfahrungswerte) sowie der Produktrisiken (Eigenschaften, Zusatzstoffe und Umwelteinflüsse) in eine von vier Risikokategorien eingeteilt und entsprechend abgestuft reguliert werden.

Ein Werkzeug, das passen muss

Angelika Hilbeck betonte die Einbettung von GVO in ihre Umwelt, das Zusammenspiel verschiedener Arten und den Systemansatz um die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen. Auch Jürg Niklaus, Präsident des neu gegründeten Vereins «Sorten für morgen» sieht in den neuen molekularbiologischen Pflanzenzüchtungsverfahren eine «neue Möglichkeit im Werkzeugkasten». Die Technologie brauche aber gesellschaftliche Akzeptanz. «Die Frage ist: Können wir es uns leisten, die Debatte um Genom-Editing links liegen zu lassen?», gab er zu bedenken.

Man müsse sich überlegen, wo die neuen Technologien ihren Platz haben könnten, meinte auch Roland Peter. Deren praktische Anwendung müsse in die gewünschten Anbausysteme eingebettet werden.