Wie es in der Schweiz vor vier Generationen ausgesehen hat, daran kann sich kein heute Lebender noch erinnern. Um die Entwicklung der hiesigen Vogelwelt während der letzten 100 Jahre nachzuvollziehen, griff BirdLife daher auf hunderte alte Karteikarten, antike Bücher und weitere Quellen alten Wissens zurück. Man stelle einen ungeheuren Schwund naturnaher Lebensräume fest, heisst es in einer Mitteilung.

Die Anbauschlacht veränderte tiefgreifend

Insbesondere die Landwirtschaftspolitik hat sich nach Angaben der Naturschutzorganisation verheerend auf die Vogelvielfalt hierzulande ausgewirkt. So wurde im Zuge der Anbauschlacht während des Zweiten Weltkriegs massiv in die Landschaft eingegriffen:

  • 60'000 ha Land wurden entwässert
  • 11'000 ha Wald wurden gerodet
  • 80'000 ha Land wurden melioriert

AboVor dem «Baummord»: Eine Thurgauer Grossfamilie posiert bei der zeit- und materialaufwendigen Obsternte vor einem ihrer Hochstammbäume Buchtipp: «Baummord»11 Millionen Bäume in 25 Jahren: Wie der Schweizer Hochstamm-Agroforst abgeholzt wurdeDonnerstag, 24. Februar 2022 Es folgte ab 1955 die nationale Fällaktion. Um gegen den damals grassierenden Alkoholismus vorzugehen, liess der Bundesrat Millionen von Hochstamm-Obstbäumen fällen. Damit wurde vielleicht der Herstellung von Obstbränden ein Riegel vorgeschoben, es verschwanden aber auch unzählige wertvolle Lebensräume.

Überall wurde «aufgeräumt»

In späteren Jahren setzte sich der Trend zum intensiveren Anbau fort und Strukturen wie (übrige) Einzelbäume oder Hecken wurden beseitigt. Diese Haltung fand auch abseits von Äckern ihre Ausprägung, denn schon früher kanalisierte man Flüsse und drainierte Feuchtgebiete. «Über 90 Prozent der Feuchtgebiete sind bis dato verschwunden», so BirdLife.

Anspruchsvolle haben es schwer

[IMG 2]Heute stehen 60 Prozent der Vögel auf der Schweizer Roten Liste oder aber auf der Vorwarnliste. Zu den wenigen gefiederten Profiteuren zählen Mäusejäger wie der Rotmilan oder die anpassungsfähigen Krähen. Arten wie Grauammer oder Baumpieper finden nur noch wenig Platz, da sie höhere Ansprüche stellen:

  • naturnahe, artenreiche Feld- und Wiesenflur
  • teils mit blütenreichen Wiesen
  • und kleinparzellierten Äckern
  •  teils mit Hecken
  • und ungenutzten Bereichen
  • oder breitem gestuftem Waldrand

Vor 100 Jahren hingegen seien sie im Mittelland – sogar im Umfeld der Stadt Zürich – noch häufig anzutreffen gewesen.

Wertvolle Ökosysteme wiederherstellen

Was man nicht kennt, vermisst niemand. So ist es vielleicht auch in diesem Fall, obwohl immer wieder auf den Rückgang der Biodiversität aufmerksam gemacht wird.

Trotzdem gibt es nach den historischen Tiefpunkten auch erfreuliche Erfolgsgeschichten aus neuerer Zeit und BirdLife blickt auf einige Erfolge zurück. So seien in der schweizweiten Heckenaktion in den 1980er zehntausende Sträucher gepflanzt worden. Weiter laufen heute zahlreiche verschiedene Projekte zur Förderung diverser Vogelarten. «Zusätzlich braucht es endlich eine Agrarpolitik, die eine nachhaltige Bewirtschaftung inklusive qualitätsvollen Massnahmen für die Biodiversität ermöglicht», fordert der Umweltverband. Es seien etwa 30 Prozent der Flächen für die Artenvielfalt zu sichern und der Schutz bestehender Gebiete reiche nicht mehr aus: «Wertvolle Ökosysteme müssen in den Gebieten mit hohem Potenzial wiederhergestellt werden.»