Wie weiter in der Agrarpolitik?Der Bundesrat peilt eine grüne, produktive und vermehrt pflanzliche Landwirtschaft anDonnerstag, 23. Juni 2022 Vor fast zwei Jahren hatte das Parlament die AP 22+ auf Eis gelegt und eine Langzeitperspektive verlangt, die auch Themen wie Ernährungssicherheit und Food Waste beinhalten sollte. Der Bundesrat legte diesen Bericht im Sommer vor und erntete im Ständerat Zustimmung.                                   

Umsetzung in Etappen

Die Regierung skizziert den Weg der Land- und Ernährungswirtschaft bis 2050. Einbezogen hat sie die gesamte Wertschöpfungskette, vom Bauernbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller. Die Landwirtschaft soll nachhaltig sein und mehr zur Ernährungssicherheit beitragen können als heute.

Gestützt auf den Bericht beantragte der Bundesrat, die Agrarpolitik gestaffelt umzusetzen, und er empfahl Streichungen aus der ursprünglichen Vorlage, denen der Ständerat folgte. Mit 42 zu 0 Stimmen hiess er Änderungen im Landwirtschaftsgesetz gut und mit 41 zu 0 Stimmen Anpassungen im Tierseuchengesetz.

Erste Etappe war der Absenkpfad

Diese Beschlüsse bilden die zweite Etappe der Umsetzung der AP 22+. Der erste Schritt waren die bereits bewilligten Massnahmen zur Verminderung der Risiken durch Pestizide. Die dritte Etappe soll eine weitergehende Reform ab 2030 sein. Im Fokus soll das gesamte Ernährungssystem stehen.

Die Mehrheit und der Bundesrat verfolgten eine «sehr minimalistische» Agrarpolitik, kritisierte Adèle Thorens Gouma  (Grüne/VD) in der Eintretensdebatte. Innovatives und auch Klima-Massnahmen fehlten in der Vorlage. Sie und ihre Fraktionskollegin Maya Graf (BL) forderten Tempo für den Klimaschutz.

Keine Klimaziele im Landwirtschaftsgesetz

Vorberatungen abgeschlossenDie Mini-AP 22+ ist bereit für die Wintersession – ohne KlimaschutzMittwoch, 12. Oktober 2022 Der Rat verzichtete aber auf die von Rot-Grün geforderte ausdrückliche Verankerung der Klimaziele im Landwirtschaftsgesetz – es ging um die Reduktion des Ausstosses von Treibhausgasen. Für die Mehrheit verwies Peter Hegglin (Mitte/ZG) auf übergeordnete Massnahmen. Die Ergänzung sei deshalb nicht nötig.

Keine neuen Tierwohl-Massnahmen

Rot-Grün hätte mit einem Ausbaupfad für das Tierwohl gar noch weiter gehen wollen. Darin war als Ziel eine Beteiligung an besonders tierfreundlichen Produktionsformen bis zum Jahr 2035 bei 95 Prozent vorgesehen, was aber keine Mehrheit fand. Man könne betriebswirtschaftlich denken oder das hohe Tierschutzniveau halten oder gar erhöhen, sagte Roberto Zanetti (SP/SO) dazu. Bauern, die investieren wollten, bräuchten einen Wegweiser. Die Teilnahme an Tierwohlprogrammen sei bereits hoch, hielt Hegglin namens der Mehrheit dagegen. Es gehe im Übrigen vor allem um das Konsumverhalten, das sich ändern müsse, fuhr Hegglin fort,

«Ich glaube, beim Konsumenten besteht heute mehr Handlungsbedarf als in der Agrargesetzgebung.»

Kein neuer Absenkpfad

Ebenso hätten SP und Grüne einen Absenkpfad für Treibhausgasemissionen festschreiben wollen, drangen aber nicht durch. Die Landwirtschaft sei vom Klimawandel existenziell betroffen und nehme das Thema ernst, begründete Hegglin den Verzichtantrag der Mehrheit.

Zanetti forderte einen gesetzlichen Auftrag an die Bauern, so wie es ihn beispielsweise für die Industrie gebe. Um die Absenkung stetig voranzubringen, müsse früh begonnen werden.

Beiträge an Ernteversicherungen

Weiter strich der Ständerat Beiträge an Beratungskosten zu Gunsten der Biodiversität. Die Mehrheit hatte dazu geltend gemacht, dass vor allem Beratungsbüros von dieser Bestimmung profitieren würden. Im Sinn des Bundesrates verzichtete der Ständerat auch auf die Anpassung des ökologischen Leistungsnachweises für Direktzahlungen.

Hingegen soll nach dem Willen des Ständerates der Bund Beiträge an privatwirtschaftliche Ernteversicherungen leisten können. Bedingung ist, dass diese Versicherungen grossräumige Risiken wie Trockenheit oder Frost abdecken. Verbessert hat der Ständerat auch die soziale Absicherung für auf Bauernbetrieben mitarbeitende Familienmitglieder.

Der Ständerat will dem Bundesrat zudem Folgeaufträge erteilen:

Perspektiven: Zunächst soll er seinen skizzierten Konzeptvorschlag zur Zukunft der Agrarpolitik in eine Botschaft für die nächste Etappe der Agrarpolitik ummünzen und diese bis Ende 2027 vorlegen.

Bäuerliches Bodenrecht: Mit einer zweiten Motion gab der Ständerat dem Bundesrat den Auftrag, die ursprünglich mit der AP22+ geplante, aber aus der Neuauflage gestrichene Revision des Bodenrechts mit einer eigenen Vorlage neu aufzugleisen.

Analyse: Mit 25 zu 15 Stimmen überwies der Rat schliesslich ein Postulat, das vom Bundesrat eine Analyse der Wettbewerbssituation im Lebensmittelmarkt fordert. Hintergrund des Vorstosses ist die Konzentration im Agrar- und Lebensmittelmarkt.

Als nächstes wird die AP 22+ im Nationalrat debattiert werden.

 

Der Bauernverband ist zufrieden 
Man begrüsse die Entscheide der kleinen Kammer und ihrer vorberatenden Kommission, hält der Schweizer Bauernverband (SBV) in einer Mitteilung fest. Er zeigt sich auch damit zufrieden, die AP 22+ als Mini-Paket schlank zu halten. Wichtige Gesetzesanpassungen könnten so rasch umgesetzt werden, ohne dass lange Debatten sie unnötig verzögern. Die drei Aufträge der WAK-S an den Bundesrat finden ebenfalls die Zustimmung des SBV, der bei der AP 22+ darauf hofft, dass sich der Nationalrat der kleinen Kammer anschliessen wird.

«Schlecht für Tierschutz und Landwirtschaft»
Der Schweizer Tierschutz (STS) spricht in einer Mitteilung von einem schlechten Start für das Tierwohl in Sachen AP 22+. Bei der Entschlackung der Vorlage seien wesentliche Elemente im Bereich Tiergesundheit und -wohl gestrichen worden. Zusätzlich hat der Ständerat einen «Ausbaupfad Tierwohl» abgelehnt. Das ist aus Sicht des STS schlecht für das Tierwohl wie auch die Landwirtschaft, da man sich auch gegen eine Weiterentwicklung des Tierwohls basierend auf den erfolgreichen Tierwohlprogrammen gestellt habe. Für den STS ist immerhin der Bericht zur Wettbewerbssituation ein Lichtblick. Man erwarte, dass damit die negativen Auswirkungen der Konzentration im Lebensmittelmarkt beseitigt werden.

«Bäuer(innen) werden im Wandel nicht unterstützt»
Die meisten Umwelt- und Klimamwassnahmen wurden aus der AP 22+ gestrichen, kritisieren Pro Natura, WWF, BirdLife und Greenpeace in einer gemeinsamen Mitteilung. Angesichts dessen, dass sich die Dringlichkeit zu handeln in der Zwischenzeit nur verschärft habe, haben die Umweltorganisationen keinerlei Verständnis für die Entscheide. Die AP sei nach wie vor zu stark auf eine intensive Produktion und flächenbezogene statt zielorientierter Beiträge ausgerichtet. «Sie ist nicht in der Lage, Bauern und Konsument(innen) beim anstehenden Wandel zu unterstützen», so das Fazit. Die Umweltverbände rufen den Nationalrat dazu auf, korrigierend einzugreifen.