Manche haben sich die Präsentation der Resultate des Bürger(innen)rats für Ernährungspolitik anders vorgestellt. Insgesamt 126 Empfehlungen haben die rund 80 Teilnehmenden gemeinsam verabschiedet, sie standen aber an der Medienkonferenz nicht im Zentrum. Vielmehr kamen Bürger(innen) zu Wort, die ihre Erlebnisse während der letzten fünf Monate schilderten. «Es wäre nicht seriös, eines oder ein paar wenige Themen herauszugreifen», meinte eine der Teilnehmenden. Das Plenum habe sich bewusst gegen eine Zusammenfassung entschieden.

Selbst vom Resultat überrascht

Erster nationaler Bürger(innen)ratJetzt sagt die Schweizer Bevölkerung, wie die Ernährungspolitik aussehen sollDienstag, 17. Mai 2022 Die dreisprachige Liste mit Empfehlungen umfasst 160 Seiten und enthält Ansätze auf allen Stufen der Wertschöpfungskette. «Wir wussten nicht, was bei diesem Projekt herauskommen wird und waren selbst vom Umfang überrascht», erklärt Daniel Langmeier, Projektverantwortlicher bei Biovision. Am späten Nachmittag des Vortages standen die Resultate fest und man habe bisher schlicht nicht die Zeit gehabt, sie aufzubereiten.

Besseres Einkommen für Landwirt(innen)

Vieles auf der Liste sind keine neuen Ideen, doch dass sich dieses für die Schweizer Bevölkerung repräsentative Gremium nach monatelanger Information aus Fachwelt und Praxis darauf geeinigt hat, soll den Vorschlägen ein gewisses neues Gewicht verleihen. «Die Empfehlungen zeigen, was die Bevölkerung denkt und sind ungefiltert», versichert Daniel Langmeier. Deutlich geworden sei in den Beratungen die grosse Anerkennung für Menschen in der Landwirtschaft, so gehören mehr Wertschätzung und ein besseres Einkommen für Landwirt(innen) zu den erklärten Zielen der Forderungen.

Zurückfahren bei Schweinen und Geflügel

Projekt mit ausgelosten TeilnehmendenReaktionen zum Bürger(innen)rat von «unnötig» bis «Chance»Donnerstag, 19. Mai 2022 Sie habe sich zuvor wenig mit dem Thema Ernährungssystem auseinandergesetzt, sagt Tamara Inauen. Die Fachangestellte Gesundheit mit einem Bachelorabschluss in sozialer Arbeit war Teil einer von zwei Gruppen mit dem Fokus «Produktion» im Bürger(innen)rat. Ihr Schwerpunkt lag somit auf der Landwirtschaft. «Vieles habe ich schon vorher gehört, etwa die Empfehlung, weniger Fleisch zu essen, auf Regionalität oder Saisonalität zu achten», erklärt Inauen. Im Alltag beschäftige aber oft anderes. Heute sei ihr klar, dass Verbesserungen im eigenen Konsum möglich und gar nicht so schwierig seien. «Mir ist vieles bewusster geworden. Auch, dass Fleischproduktion und -konsum im heutigen Ausmass zu hoch sind». Eine Empfehlung des Bürger(innen)rats, die mit 86,4 Prozent angenommen worden ist, ist das Zurückfahren der Produktion bei Geflügel und Schweinen. Das Grasland hingegen sei standortgerecht für die Haltung von Rindern, Ziegen und Schafen zu nutzen, insbesondere in den Bergen, während auf ackerbaufähigen Flächen keine Viehwirtschaft betrieben werden soll. «Die Konsumenten sollen durch einen reduzierten Konsum dazu beitragen und dafür sensibilisiert werden», heisst es in den Empfehlungen.

Knackpunkt Geld bleibt

Die Meinung der Landwirtschaft sei im Bürger(innen)rat gut vertreten gewesen, meint Nadia Catelli Matasci. Die Tessiner Bergbäuerin stellte fest, dass die Zustimmung im Rat jeweils hoch war, wenn es um die Unterstützung der Landwirt(innen) ging. «Aber wenn es ums Geld ging, wurde es schwierig.» So sprachen sich knapp 56 Prozent der Teilnehmenden gegen eine Lebensmittelstiftung aus, die ein Grundpaket mit gesunden Lebensmitteln zu günstigen Preisen zur Verfügung stellen sollte.

Dieselben Ziele, aber oft machtlos

Auch eine sukzessive Reduktion des Futterbaus um 30 Prozent bis 2030 empfiehlt der Bürger(innen)rat. Der Bund solle definieren, welche pflanzlichen Lebensmittel anstelle dessen angebaut werden, «da Veränderungen durch freiwillige Massnahmen nicht umgesetzt werden». An der Medienkonferenz wurde die Frage gestellt, wie sich diese Pläne denn mit dem bäuerlichen Einkommen vertragen würden. «Die Not der Bauern hatte Platz», versicherte Bürgerin Yvonne Willi. Sie beobachte die Tendenz, dass Produzenten am einen Ende der Wurst und Konsumenten am anderen gegeneinander ausgespielt würden. «Aber es geht um die Wurst», illustrierte sie ihren Standpunkt. Man habe dieselben Ziele, sei gegenüber Handel und Verarbeitern aber oft machtlos. Eine Empfehlung sieht vor, die Verhandlungsposition von Produzent(innen) gegenüber anderen Marktakteuren zu stärken. «Wir haben versucht, die Wurst in Scheiben zu schneiden» fuhr die Bürgerin fort, «und wir kochen sie immer noch». Fleisch gehöre jedenfalls auch in Zukunft zur Ernährung, schloss Willi.

Die Liste mit allen Empfehlungen des Bürger(innen)rats finden Sie hier.

Bauernverband will primär beim Konsum ansetzen

Einerseits begrüsst der Schweizer Bauernverband (SBV) in einer Stellungnahme, dass die Empfehlungen des Bürger(innen)rats von Konsum über Handel, Produktion, Umwelt und Wirtschaft alle Themenbereiche abdecken. Man nehme die ganze Wertschöpfungskette in die Pflicht, lobt der SBV. Ausserdem sei erfreulich, dass der Rat gegen zu tiefe Produzentenpreise vorgehen möchte.

Der Verband ist aber nicht glücklich mit den 40 Massnahmen betreffend die Landwirtschaft. Sie seien erstens nicht neu und zweitens müsste nach Ansicht des SBV primär das Konsumverhalten verändert werden. Ansonsten drohe eine Problemverlagerung mit mehr Importen von Lebensmitteln aus dem Ausland. «Einmal mehr werden die stetig positive Entwicklung und der im Vergleich zum Ausland viel vorbildlichere Stand der einheimischen Landwirtschaft nicht anerkannt», bedauert der SBV. Das sei demotivierende und nicht zielführend.

 

Als nächstes in die Politik
Die Trägerorganisationen des Bürger(innen)rats wollen als nächstes den Katalog mit Empfehlungen grafisch aufbereiten. Für den 29. November 2022 ist ein Austausch des Rates mit Parlament und Wissenschaft geplant. Am 2. Februar 2023 folgt die offizielle Übergabe der Empfehlungen des Bürger(innen)rats an Politik, Verwaltung und Praxis im Rahmen des nationalen Ernährungssystemgipfels.