Der Thurgauer Milchverband feiert Jubiläum. Er wurde 1897 gegründet und wird heuer 125 Jahre alt. Aus diesem Anlass verlegten die Schweizer Milchproduzenten das alljährlich stattfindende Milchforum nach Weinfelden, wo zeitgleich auch die Thurgauer Herbstmesse Wega stattfand.

Gastgeber war demzufolge Daniel Vetterli, Präsident der Thurgauer Milchproduzenten und Biomilchproduzent aus Rheinklingen. Das Thema war gut gewählt – es ging um die Forschung zuhanden der Schweizer Milchwirtschaft. Vor Ort wa­ren Susanne Ulbrich, Professorin für Tierphysiologie am Institut für Agrarwissenschaften, ETH Zürich, Agroscope-Direktorin Dr. Eva Reinhard, HAFL-Professor Beat Reidy und Professor Matthias Schick, der das Podiumsgespräch leitete.

Seitens der Praxis vertrat Daniel Vetterli die Position der Milchproduzenten und Manuel Hauser, Geschäftsleitungsmitglied Emmi, stand für die verarbeitende Industrie ein.

Skepsis gegen Forschung

«Mein Vater vertrat die Meinung, eigentlich solle man das Geld für Agrarforschung lieber den Bauern direkt geben. Diese würden direkt im Feld und Stall forschen und dabei käme auch etwas Nützliches heraus», eröffnete Daniel Vetterli sein Referat. Die Skepsis der Praxis gegenüber der Wissenschaft ist nicht neu.

Daniel Vetterli sieht das einiges differenzierter. Als Vertreter der Milchproduzenten im Agroscope-Rat hat er Einblick in die Agroscope-Forschungsaktivitäten und gewinnt diesen Respekt ab. «Ich setze mich für eine starke Forschung ein», sagte er. Sein Ideal wäre, dass Wissenschaftler gemeinsam mit dem Landwirt auf dessen Betrieb Forschung betreiben – die sogenannte On-farm research. «Voraussetzung ist eine direkte Zusammenarbeit von Forschung und Bauernbetrieb auf Augenhöhe», ergänzte Vetterli. Wichtig sei, dass die Forschungsanliegen des Betriebs in das sogenannte Forschungsdesign aufgenommen und gemeinsam umgesetzt werden.

«Bisher hierzulande kaum existent. Am nächsten kommt die HAFL an dieses Ideal heran», so Vetterli, und die Zusammenarbeit mit FiBL-Berater Tobias Gelencsér, wo gemeinsam auf Vetterlis Betrieb biologische Bekämpfungsmöglichkeiten gegen die Kartoffelkrankheit Rizoctonia gesucht werde. Solche On-farm-Forschung setze einiges an Lernbereitschaft voraus: «Exakte Standardisierung von Prozessen muss von uns Landwirten erst erlernt werden», sagte Vetterli. Umgekehrt müsse die Forschung lernen, dass Versuche in Feld und Stall mehrdimensional sind, dass ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit Realität sind, die Forschung bereichern und nicht als Störmanöver anzusehen seien.

«Priorisieren tun wir»

Kurz gesagt, der gemeinsame Weg ist das Ziel für eine Forschung, die nicht nur Papers erzeugt, sondern einen gesellschaftlichen Nutzen bringt. Diesem Votum setzten die anwesenden Professorinnen und Professoren ihre Forschungsaktivitäten für die Landwirtschaft entgegen. «Wir wollen, dass Bäuerinnen und Bauern mitreden und uns ihre Wünsche und Bedürfnisse mitteilen. Aber priorisieren tun wir», sagte Agroscope-Direktorin Eva Reinhard.

«Grundsätzlich lasse ich mich nicht beeinflussen. Wünsche und Anregungen aus der Praxis sind für uns Inspiration. Aber wir brauchen kreativen Freiraum in der Grundlagenforschung, um abseits der Praxis zu forschen», sagte Professorin Susanne Ulbricht.

Eva Reinhard betonte ihren grossen Respekt gegenüber der Landwirtschaft, den Bäuerinnen und Bauern, fordert aber auch Respekt und Wertschätzung gegenüber der  Wissenschaft und Forschung von Agroscope.

Kritik von Praktikern

Aus dem Plenum meldete sich alt Nationalrat und Meisterlandwirt Markus Hausammann am Milchforum zu Wort. «Ich erwarte, dass wir Bauern, wenn wir uns an Forschungsaktivitäten mit unseren Betrieben beteiligen, über den Projektverlauf regelmässig informiert werden und den Schlussbericht mit den Ergebnissen zu lesen bekommen», sagte Hausammann. Das sei kaum je der Fall. Zudem solle man Doppelspurigkeiten mit ausländischen Forschungsinstitutionen vermeiden. Forschung aus dem Ausland müsse man hierzulande nicht nochmals unter sogenannt «schweizerischen Verhältnissen» neu aufgleisen.

«Man hat uns einfach nicht zugehört»

Enttäuscht was partizipative Forschungsansätze betrifft, ist die Thurgauer Kantonsrätin Eveline Bachmann aus Frauenfeld, die sich ebenfalls zu Wort meldete. Sie nahm in ihrer Rückmeldung Bezug auf das 3V-Projekt, welches das Bafu 2019 startete. Die drei V stehen für Vertrauen, Verantwortung und Vereinfachung.

Das Ziel laut damaligem Projektbeschrieb war, «auf Praxisbetrieben mit dem Betriebsleiter / der Betriebsleiterin den Betrieb gesamtheitlich zu analysieren und Lösungen vorzuschlagen, wie die Umweltgesetze auf Betriebsebene mit weniger Vorschriften und Administration erreicht und übertroffen werden können; dies bei gleichzeitiger Optimierung der wirtschaftlichen und sozialen Situation auf dem Betrieb».

Das tönt gut. Aber Eveline Bachmann hat die Projektzusammenarbeit desillusioniert. «Man hat uns einfach nicht zugehört», hielt sie fest.

Und dann noch Ernährung

Ach ja, beim Milchforum 2022 ging es ja nicht nur um die Bauern, sondern auch um die verarbeitende Industrie. «Wir müssen schauen, dass die Verarbeiter auch ein Auskommen haben», rief Manuel Hauser von der Emmi in Erinnerung. Aus seiner Sicht ist es wichtig, dass die Forschung sich mit der gesamten Wertschöpfungskette befasst und «die Anbauschlacht für eine nachhaltige Ernährung» unterstütze.