Seit etwa drei Wochen verkaufen wir nun die durchschnittlich 60 Liter Milch pro Tag an Alvaro, einem Nachbar. Seit einem Autounfall als 20-jähriger ist er an den Rollstuhl gebunden. Alvaro ist ein Jugendfreund von Jaime, mit dem er immer guten Kontakt beibehalten hatte. Er lebt mit seinen Eltern in einem typischen nicaraguanischen Haus aus Backsteinen und mit einem Erdboden.

Die Küche, wo seine Mutter die Milch verarbeitet, ist wie üblich sehr dunkel, hat kein fliessendes Wasser und sie besitzen (noch) keinen Kühlschrank. Das Wasser holen sie aus einem Brunnen etwa 100 Meter unterhalb des Hauses und bewahren es zum Gebrauch in grossen Eimern in der Küche auf. Gekocht wird ausschliesslich mit Holz. Sie besitzen etwa eine Hektare Land, wo sie knapp ein Pferd halten können.

In Nicaragua gibt es weder IV noch AHV. Jeder muss selbst schauen, wie er zurechtkommt. Meist sind die Familienmitglieder stark miteinander verbunden und unterstützen sich gegenseitig. Alvaro – wie er mir selbst erzählte – wurde während der Genesung vor allem von Freunden stark finanziell unterstützt. Auch den Rollstuhl hat er einem Freund zu verdanken. Manchmal gibt es in Nicaragua auch Gemeinden oder Nichtregierungsorganisationen, welche Rollstühle verteilen.

Rollstuhlgerecht ist aber in Nicaragua meines Wissens nichts. Auf dem Land ist es sogar ein Ding der Unmöglichkeit. Die unebenen Schotterstrassen verunmöglichen eine Fortbewegung mit dem Rollstuhl. Nicht einmal sein Haus ist für ihn einfach zu befahren. Die Türschwelle ist etwa 20 cm hoch. Diese bewältigt er, wenn es sein muss, noch alleine, aber in die Küche kann er nicht selbst hinein. In der Stadt ist es kaum einfacher. Einen durchgehenden Gehsteig gibt es selten und von Rampen spricht niemand.

Die geteerten oder gepflasterten Strassen sind dermassen voller Schlaglöcher, dass jedermann auf der Hut sein muss, um nicht zu stolpern. Die Busse sind schon für gesunde Beine mühsam zu besteigen, und Platz für den Rollstuhl gibt nur auf dem Dach des Busses. Die Menschen sind aber sehr hilfsbereit, und ein Fahrgast mit Rollstuhl, wie auch seine Ware, dürfen gratis mitreisen.

Letzteres macht sich Alvaro zu nutzen und fährt dreimal die Woche nach Matagalpa, um verschiedene Milchprodukte zu verkaufen. Bis zur Bushaltestelle reitet er auf seinem Pferd. Wie er die Reise mit Hilfe der Familie bewältigt und seinen Lebensunterhalt selber bestreitet, beschreibe ich im nächsten Blog.

Mirka Lörtscher