Barbara Schmid, warum ist Sexualität in unserem Leben wichtig?

Barbara Schmid: Sexualität ist eine Grundlebenskraft. Durch sie kommen wir auf diese Welt. Gleichzeitig ist diese Energie mehr als nur Fortpflanzung und Triebbefriedigung. Sie verankert uns im Körper, schenkt Lebendigkeit und Verbindung und kann uns auch eine spirituelle Dimension spürbar machen.

Was meinen Sie mit spiritueller Dimension?

Von unserer christlichen Prägung ist Körperlichkeit und Sinnlichkeit als nieder oder sündig abgewertet. Was wäre, wenn bewusste Sexualität uns ermöglicht, den Himmel auf Erden zu erleben?

Was braucht es, damit man diese sexuelle Grundenergie positiv wahrnimmt?

Dass man sich in seinem Körper wohlfühlt und sich entspannen kann. Das tönt simpel, ist aber oft gar nicht so einfach.

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Was für Menschen kommen zu Ihnen in die Beratungen und Seminare?

Frauen, Männer und Paare jeden Alters und jeder Herkunft. Vor allem kommen sie, weil es in der Beziehung einen Leidensdruck gibt. Es kommen Frauen, die keinen Zugang mehr haben zum Körper und zur Lust. Solche, die ein Trauma erlebt haben, etwa während einer Geburt oder durch einen Missbrauch. Oder Menschen, die einen anderen Zugang zu Sexualität entdecken möchten. Etwa Männer, die Pornos konsumieren und merken, dass sie das weder befriedigt noch erfüllt.

Mit welchen Anliegen kommen Paare?

Vielfach will der eine mehr Sexualität, der andere zieht sich immer mehr zurück und verschliesst sich. Es geht um unterschiedliche Bedürfnisse, um die Kommunikation darüber und darum, gegenseitiges Verständnis und neue Wege zu finden.

Welche Ansätze helfen den Paaren weiter?

Ein grosses Thema ist die Balance zwischen Verbindung und Autonomie in der Beziehung. Oft spielen unbewusst frühere Erfahrungen mit hinein. Will jemand mehr Sexualität als der andere, geht es darum, Wege zu finden, wie er oder sie selbst die sexuelle Energie im Fluss halten kann, ohne das Beziehungsband zu bedrohen. Verschliesst sich der eine, geht es darum, zu verstehen, warum und was unterstützt, damit er oder sie sich wieder öffnen kann. Oft geht es dabei gar nicht nur um Sexualität, sondern um Lebens- und Paarthemen.

Was beeinflusst die Paarsexualität sonst noch?

Was Tradition und Religion erlauben und wie einen die Eltern geprägt haben. Viele wuchsen in einem Milieu auf, in dem Sexualität ein Tabu war, aber unter der Oberfläche doch wirkt. Gerade Menschen aus dem bäuerlichen Umfeld sind zudem nicht selten in einem eher genussfeindlichen Milieu aufgewachsen. «Arbeiten und Funktionieren» hatten oder haben einen hohen Stellenwert. Ich höre gelegentlich von Klienten: «Du bist doch auch Bauerntochter, auch so aufgewachsen, du weisst, wie das ist.» Auch Menschen, die selbst nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind, wurden durch die Eltern geprägt.

Wie können Paare etwas verändern?

Dazu braucht es grundsätzlich ein «Wollen» und ein Bewusstsein dafür, dass es anders sein könnte. Viele Bauernpaare sind im Alltag ein gutes Team, aber der Genuss und die Sinnlichkeit kommen oft zu kurz. Bei vielen ist es ein grosses Thema, sich überhaupt gemeinsame Zeit zu verschaffen. Doch es braucht Paar-Zeiten für Gemeinsamkeit, Entspannung und Körperlichkeit. Vor allem die Entspannung ist zentral, damit neue Wege möglich werden.

Wollen Frauen und Männer in der Sexualität das Gleiche?

Ja, aber sie gehen oftmals unterschiedliche Wege. Männer kommen oft über die Lust in eine Herzensverbindung, während viele Frauen zuerst spürbaren Kontakt brauchen, um sich für die Lust zu öffnen. Viele sind es sich zudem nicht gewohnt, einfach auch mal nur lustvoll zu «sein» ohne fixes Ziel. Sexualität hat auch mit Gesundheit zu tun.

Wie meinen Sie das?

Sexualität kann auch ganz feine Nuancen haben, die uns nähren und stärken. Sie machen uns zufrieden und verbundener, unabhängig von einem Orgasmus. Wie schon erwähnt, die Fortpflanzung und Entladung sind nur ein Teil der Sexualität. Ein anderer ist die Verbindung zu uns selbst und zu einem anderen Menschen. Sex muss nicht nur zielgerichtet sein, um Frauen und auch Männer zu erfüllen.

Wie erlebten Sie als Bauerntochter den Umgang mit Sexualität?

Was Sexualität angeht, bin ich unter einer Käseglocke aufgewachsen. Ich wusste vieles nicht, es hat mich aber auch nicht gekümmert. Meine Eltern haben viel gearbeitet, ich war im Leistungssport aktiv. Sexualität war eher ein Tabu, aber trotzdem omnipräsent. Ich hatte als junge Frau ein Aha-Erlebnis: Sexualität kann ganz natürlich als Lebenskraft erlebt werden, auch ohne Penetration. Sie unterstützte mich dabei, mich in meinem Körper wohlzufühlen, selbstbewusster und präsent zu sein.

Vom Spitzensport zur Sexualberatung

Barbara Schmid (50) wuchs mit vier Geschwistern in einer grossen Bauernfamilie in Schüpfheim LU im Entlebuch auf. Mit 10 Jahren entdeckte sie den Langlaufsport und betrieb ihn in den Teenager-Jahren bis kurz vor 20 auf Spitzensportniveau.

Um Berufsausbildung, Training und Wettkämpfe unter einen Hut zu bringen, entschied sie sich für eine kaufmännische Ausbildung. Später absolvierte sie die Höhere Fachschule für Sozialpädagogik in Zürich, die Ausbildung für integrative Beratung am IBP-Institut in Winterthur sowie Weiterbildungen im Bereich Sexualberatung und tantrische Massage.

«Bei dieser Form der Massage geht es nicht um sexuelle Dienstleistungen im Sinne reiner Lustbefriedigung», betont die Fachfrau. Sie kombiniert je nach individuellem Thema oder Anliegen die Beratung mit Massagen.

Seit 2018 bietet Barbara Schmid mit ihrem eigenen Unternehmen «Wege zur Lebendigkeit» verschiedene Seminare und Beratungen zur «bewussten Sexualität» an.

Weitere Informationen: www.lebendigkeit.ch

Kolumne zu Sexualität

Im kommenden Jahr wird Fachfrau Barbara Schmid in einer lockeren, dreiteiligen Kolumnenserie in der BauernZeitung über Sexualität schreiben.

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