Ein Plätschern durchbricht die abendliche Stille. Ein Kampf um Leben und Tod spielt sich gerade am Uferrand des Biotops ab. Wer kommt mit dem Leben davon? Es ist die Ringelnatter, die ans Ufer schlängelt und den eben erlegten Molch mit wenigen Bissen verspeist. Nach dem Festmahl verschwindet sie wieder in ihr Versteck im Gebüsch, wo sie sich auf ihre nächste Jagd vorbereitet.

So kann es sich an wärmeren Tagen am kleinen Biotop bei ­Familie Gysel in Wilchingen, Schaffhausen, abspielen. Wenn möglich nimmt sich Regula Gysel ab und an die Zeit, setzt sich in die Nähe des Tümpels und schaut solchen Naturschauspielen zu.

Einige Jahre Umstellung

Regula Gysel und ihre Familie betreiben einen 55 ha grossen Ackerbaubetrieb. Seit 2018 hat sie ihren Garten sowie den Hof auf den neuesten IP-Suisse-Standard «Hof +» umgestellt. Das Modul «Hof+» hat IP-Suisse zusammen mit der Vogelwarte Sempach erarbeitet. Es ermöglicht den Bauernfamilien auf freiwilliger Basis, die Biodiversität auf dem Hofgelände aufzuwerten, vor allem durch die Förderung wild lebender Tiere und Pflanzen.

Die Umstellung dauerte einige Jahre und war mit viel Arbeit verbunden. Regula Gysel war für das Projekt Feuer und Flamme. Ihr Ziel war zudem mit einer Goldmedaille von IP-Suisse für die Förderung der Artenvielfalt auf dem Bauernhof ausgezeichnet zu werden. Denn es geht um mehr als den Verzicht auf Pestizide. Dazu gehört unter anderem auch, mehr Nistkästen für Vögel und Fledermäuse aufzuhängen oder das bereits vorhandene Biotop an die neuesten Standards anzupassen.

Die Vergrösserung des Biotops war einer der intensiveren Arbeitsaufwände, um das Ziel zu erreichen. Alle Tiere, die bereits im Biotop lebten, wurden eingefangen und danach wieder ins neue Biotop eingesetzt. Dazu gehörten über 100 Molche, Libellenlarven und weitere Kleinlebewesen.

Etwas zurückgeben

Schon vor der Umstellung zum «Hof +» begann die Landfrau mit dem Anlegen eines Kräutergartens. Der Umweltgedanke, vor allem der Erhalt von Lebensräumen, war schon früh ein Thema in der Familie. «Jeder Mensch hinterlässt seinen Fussabdruck auf dieser Erde», sagt Regula Gysel. «Dort wo möglich, möchten wir der Natur ein bisschen Biodiversität zurückzugeben.»

Vieles hat sie sich selbst beigebracht. Bereits als Kind war sie mit ihrer Mutter immer im Garten anzutreffen. Kurse von Pro Natura, Exkursionen und Sachbücher waren und sind ihre Helfer. «Vieles erlernte ich durch learning by doing.»

Ein Schlagwort, das einen hohen Stellenwert in einem pestizidfreien Garten haben sollte, ist Achtsamkeit. Denn kleine Erfolge stellen sich schnell ein. Plötzlich ist da ein Schmetterling, der bis dahin noch nie seinen Weg in ihren Garten gefunden hatte. Oder ein unbekannter Vogel zwitschert seit Neuestem auf dem Ast der Tanne. Eines Morgens fand sie einen toten Windenschwärmer, einen Nachtfalter. Hätte sie die eher unbeliebten Winden in dieser Gartenecke nicht stehen lassen, hätte der Windenschwärmer den Weg nie in ihren Garten gefunden.

Wenn Schädlinge in einem Garten überhand nehmen, fehlt es meist an Nützlingen, die diese verspeisen. Daher ist es wichtig, den Lebensraum der Nützlinge zu erhalten oder zu vergrössern.

Zum Überwintern

Schneidet man zum Beispiel Stauden, Sträucher und Bäume schon im Herbst zurück, können viel weniger Insekten und Tiere den Winter überleben. Etwa die Wespenspinne, sie spinnt ihre runden Kokons in strukturreichen Gärten, mag Lavendel oder niedrige Stauden. Werden solche Pflanzen radikal abgeschnitten und entsorgt, gilt dies ebenfalls für die Kokons mit der Brut der Spinnen.

Weniger Arbeit hat man in einem Garten, der ohne Pflanzenschutzmittel auskommt, ganz ­sicher nicht. «Die grösste Herausforderung war und ist der Verzicht auf Herbizid. Denn die ‹Unkräuter› auf den Kieswegen in Schach zu halten, ist sehr aufwendig, aber machbar.» Doch die kleinen Freuden, die  Natur­erlebnisse und die vielen Tierarten im Garten machen für sie die ganze Arbeit lohnend.

Regula Gysel arbeitet Hand in Hand mit dem Naturpark Schaffhausen und der Organisation «Genussregion Wilchingen, Osterfingen, Trasnadingen». Zudem bietet sie auf ihrem Betrieb Exkursionen zur Förderung der Biodiversität im eigenen Garten an.  So kann sie ihr Wissen weitergeben, Zusammenhänge erklären und einfache Massnahmen vorstellen, die in jedem Garten möglich sind.

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Konkrete Tipps für einen Garten ohne Pestizide

Fünf einfache Massnahmen für einen möglichst pestizidfreien Garten:

  • Unter jedem Obstbaum Knoblauch, Lavendel oder Ringelblumen setzen. Das hilft gegen Schädlingen.

  • Die Gartenwege mit einem Gasbrenner von Unkraut befreien.

  • Statt Schneckenkörner streuen, die Salatbeete morgens statt abends giessen. Und/oder die Tiere von Hand ablesen.

  • Brennnesselbrühe stärkt die Pflanzen. Dazu 1 kg frische Brennnesseln in zwei Litern Wasser auf-kochen, vier bis fünf Tage gären lassen. Im Verhältnis 1:10 verdünnt auf die Pflanzen spritzen.

  • Homöopathie statt Pestizide, das braucht aber etwas Zeit und eine gute Beobachtungsgabe.  Bei Blattlausbefall von Rosen und Obstbäumen hilft Cimicifuga C30, bei Mehltau Cuprum metallicum C30. Sechs Globuli für zehn Liter Wasser direkt in der Giesskanne auflösen und verrühren. Die ganze Pflanze begies­sen.