«Der direkte biologische Pflanzenschutz hat eine grosse Zukunft, das zeigen die Diskussionen in der Schweiz und in den benachbarten europäischen Ländern», eröffnet Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) die Nationale Bio-Forschungstagung. Besonders heute sei das Thema biologischer Pflanzenschutz zentral, da chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel vermehrt unter starker politischer und gesellschaftlicher Kritik stehen. Die Forschung und Entwicklung sei daher von grosser Bedeutung.

Schwachpunkte sollen in 10 Jahren gelöst werden

Konventionelle Pflanzenschutzmittel können durch den biologischen Pflanzenschutz ersetzt werden. Das wäre heute zumindest im Ackerbau und Grünland möglich, wo mit dem Biolandbau eine fast 100-prozentige bzw. vollständige Reduktion von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln erzielt werden konnte, konstatierte der FiBL-Direktor. Im Obst-, Wein- und Gemüsebau müsse allerdings noch sehr viel Forschungsarbeit investiert werden. Hier konnte bisher nur eine Reduktion von etwa 10 Prozent mit biologischen Pflanzenschutzmitteln erbracht werden. Dazu beitragen würden Biocontrol Organismen, Pflanzenextrakte und Mineralische Stoffe (z. B. Kaolin und Schwefel). Ausbaubedarf hätten laut Urs Niggli noch die breitwirkenden natürlichen oder naturidentischen Insektizide (Spinosin, Pyrethrin), Mineralöle und Kupfer.  Das FiBL will diese Schwachpunkte in 10 Jahren lösen. 

«Konventionelle Landwirtschaft muss vom Biolandbau profitieren»

«Die Schlagzeilen der Initiativen haben den Pflanzenbau schlagartig verändert», spricht Eva Reinhard, die Direktorin der Agroscope, die aktuell angespannte Situation im konventionellen Pflanzenschutz an. 

Für sie ist klar: Die konventionelle Landwirtschaft darf und muss vom Biolandbau profitieren. Denn dieser beinhalte primär vorbeugende Anbaumassnahmen, um Populationen von Krankheiten und Schädlingen so tief zu halten, dass die Kulturpflanzen weder qualitativ noch quantitativ beeinträchtigt werden. Dazu gehöre unter anderem eine ausgewogene Fruchtfolge, die Wahl toleranter und robuster Sorten sowie eine standortgerechte Saat und Düngung. Reichen diese vorbeugenden Massnahmen nicht aus, werden im biologischen Pflanzenschutz die Schadorganismen direkt bekämpft. Als Beispiel nennt Eva Reinhard entomopathogene Pilze gegen Schadinsekten sowie pflanzenbasierte Naturstoffe oder pilzliche Antagonisten gegen Kartoffel- und Getreidekrankheiten im Ackerbau.

Wissen soll an Landwirte weitergegeben werden

Als Kompetenzzentrum steht Agroscope mit der Praxis in Kontakt. Ihr Anliegen ist es, Grundlagen mit anderen Partnern zu erforschen und das Wissen an Landwirte weiterzugeben, die davon profitieren sollen.

Ein Beweis einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren aus der Forschung, Beratung, Praxis und dem Handel sei die Task Force zur Kirschessigfliege (KEF), woraus verschiedene Anspruchsgruppen auch aus der Landwirtschaft profitieren konnten. Für Eva Reinhard sei es wichtig, dass alle Akteure am nachhaltigen Pflanzenschutz mitarbeiten, um neue Schädlinge in der Schweiz schnellstmöglich mit präventiven Massnahmen entgegenzutreten und Ertragsverluste damit zu verhindern.

Industrie gibt zu, ihr fehle die Transparenz

Syngenta, anwesend als Vertreter der chemischen Industrie, stimmte zu, dass die Nachhaltigkeit in den Entscheidungen des Unternehmens noch nicht wirklich etabliert ist. Syngenta sehe aber ein, dass der Industrie auch eine wichtige Aufgabe zukomme, nämlich die Transparenz und Zusammenarbeit mit anderen Akteuren für den aktiven Wissensaustausch, um die ökologische Landwirtschaft nachhaltig zu verändern. 

Der biologische Markt sei für die chemische Industrie heuer aber noch viel zu klein, um daraus Kapital schöpfen zu können und um darin intensiver zu investieren. 

Biomarkt wächst weltweit um 15 Prozent

Auch Martin Günter von Andermatt Biocontrol bestätigt den aktuellen Markt für biologische Produkte. Aber der Biomarkt wächst weltweit jährlich um mehr als 15 Prozent. Künftig würden die biologischen Wirkstoffe die chemischen Wirkstoffe überholen. Denn auch im konventionellen Landbau würden biologische Mittel bereits als Standardlösung eingesetzt, so Günter.  

Beispiele wären: Einsatz von Nützlingen in Gewächshäusern oder im Maisanbau oder die Verwirrungstechnik im Weinbau, womit schon heute chemische Insektizide eingespart würden.

Der Biomarkt biete viele Lösungen an, wo ein Landwirt mit konventionellen Pflanzenschutzmitteln nicht mehr weit käme, stellt Martin Günter fest. Zudem fallen immer mehr Lösungen für den konventionellen Anbau weg, aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Kritik an gewissen Pflanzenschutzmitteln. Dabei würden vor allem im konventionellen Anbau Lücken entstehen, die oft mit biologischen Lösungen gefüllt werden könnten und müssen. Der Ausbau der Entwicklung und Forschung auf mehreren Ebenen sei daher weiterhin notwendig.

Martin Günter sieht auch in der Beratung der Bauern einen grossen weiter auszubauenden Bedarf. Denn der Wissenstand sei auf diesem Gebiet noch zu wenig umfassend. Allerdings fehlen hier oft die Ressourcen, die aber von staatlichen und öffentlichen Institutionen gedeckt werden sollten, sagt er.

Biolandbau bedeutet auch Aufwertung der Landwirtschaft 

«Der biologische Pflanzenschutz bedeutet nicht nur Ersatz von synthetisch-chemischen Pflanzenschutzmitteln.» Claudia Daniel, Forscherin an der FiBL, verweist damit auf die gezielte Aufwertung der Landschaft, die auch eine Rolle im Biolandbau spiele. Probleme würden damit reduziert und nützliche Rückzugsmöglichkeiten für Insekten geschaffen werden. Als Beispiel nennt sie hier das Anpflanzen von massgeschneiderten Blühstreifen oder Begleitpflanzen, die Antagonisten von Schädlingen wie z. B. Rapsglanzkäfern fördern und folglich Schädlinge reduzieren.

Zudem spielen die morphologischen Merkmale der Kulturen ebenso eine wichtige Rolle. Ein Beispiel hierfür wäre die Schalenhärte bei Trauben, die das Anstechen von Kirschessigfliegen verhindere – dafür müsse aber die Züchtung weiter ausgebaut werden.

Es kann zudem zu Kollateralschäden auch nach dem Einsatz von biologischen Pflanzenschutzmitteln kommen, wodurch andere Schadorganismen oder -krankheiten als Folgeproblem auftreten könnten, wenn der Antagonist entfernt wurde – z. B. tötet der Einsatz von Spinosad gegen Apfelwickler Gegenspieler der Blutlaus. Mittel gegen die Blutlaus sind im Bioanbau nicht zugelassen. Der Spinosad-Einsatz hätte sich demnach als teurere Variante im Vergleich zu Verwirrungstechnik herausgestellt. 

Kulturen haben grössere Anforderungen

Im Biolandbau sei auch die Züchtung ein wesentlicher Faktor, sagt Monika Messmer, Forscherin am FiBL. Denn Kulturen im Biolandbau hätten grössere Anforderungen als im konventionellen Anbau, da hier der chemische Pflanzenschutz wegfalle. Daher ist die Forschung an resistenten Sorten sehr essentiell.

Dabei ginge es nicht nur um krankheits- und schädlingsresistente Sorten, sondern auch um unkrautresistente Sorten. Denn die Kulturen müssten auch mechanische Unkrautbekämpfungsstrategien wie das Striegeln und Hacken besser aushalten können.

Ziel der Züchtung sei aber auch, die genetische Vielfalt zu erhöhen und Mischkulturen zu züchten, die widerstandsfähiger sind und sich besser an Umweltereignisse anpassen sowie Nährstoffe besser aufnehmen können. Doch müsse hier erst die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, damit auch heterogenes Material angebaut werden darf. 

Transparenz und Querdenken erforderlich

Abschliessende Worte findet Daniel Bärtschi, ehemaliger Geschäftsführer von Bio Suisse. Er appelliert an alle Akteure, mit einer gemeinsamen Vision anzufangen. Denn oft herrsche eine Diskrepanz zwischen den Akteuren wie Syngenta und anderen Institutionen. Zudem sei von allen Akteuren Transparenz notwendig, um in der Entwicklung und Forschung voran zu kommen.

«Wir müssen die Komfortzone verlassen. Das kann unangenehm sein, aber es lohnt sich manchmal etwas weiter zu denken und Ideen zu entwickeln, die anfänglich nicht so konform sind», so Bärtschi. Denn die Investition in der Bioforschung sei entscheidend für die Zukunft der gesamten Land- und Ernährungswirtschaft. Wenn konstruktiv und zielorientiert zusammengearbeitet werde, würden auch nachhaltige Lösungen für die aktuellen und kommenden Herausforderungen gefunden werden, schliesst Daniel Bärtschi ab.

Katrin Erfurt