Wenn Kühe mit dem Helikopter transportiert werden, sind die Tiere mit enormen Reizen konfrontiert. Das Rotoren-Geräusch ist laut, die Temperatur und der Luftdruck können während des Fluges stark schwanken, die Tragegurte engen das Tier ein. Hinzu kommt, dass Kühe meist dann per Helikopter transportiert werden, wenn sie stark verletzt sind. Die Belastung der Verletzung oder der Krankheit kommt also ebenfalls noch hinzu.

Kuh Jil stürzte auf der Alp ab

So erging es auch der Kuh Jil, die in der letzten Woche auf der Alp Foo im Weisstannental bei Mels SG abgestürzt ist. Äusserlich zeugten einige Schnittwunden von ihrem Sturz. Innere Verletzungen sind nicht unwahrscheinlich, denn das Tier überschlug sich beim Absturz zweimal. Nach der Erstversorgung ihrer Verletzungen auf der Alp musste Jil per Helikopter ins Tal transportiert werden. Diese Aufgabe übernahm ein Einsatz-Team von Swiss Helicopter. Das Team besteht aus dem Piloten Jürg Forrer, sowie den beiden Flughelfern Gian Marco Caviezel und Philemon Bommeli.

Contadino-Einsätze am Berg

Wenn Menschen in den Bergen verunglücken, ist die Rega für die Rettung im Einsatz. Stürzt ein Nutztier im Berggebiet ab, werden solche sogenannten Contadino-Einsätze an externe Helikopterunternehmen, wie zum Beispiel Swiss Helicopter, ausgelagert. Jürg Forrer landet vor der Alphütte und schaltet den Motor aus. Der Lärm würde es der verletzten Kuh erschweren, aus dem Stall herauszukommen.

Landwirtschaftliche Lehre vor der Pilotenausbildung

Er ist selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb ­aufgewachsen und hat eine landwirtschaftliche Lehre absolviert, bevor er seine fliegerische Ausbildung begann. «Deshalb kann ich bei Contadino-Einsätzen gut mit den Hirten und den Landwirten mitfühlen. Man hat einfach das Verständnis für das Tier und probiert, es möglichst schonend zu transportieren», erzählt der Pilot. Flughelfer Philemon Bommeli legt dem Tier das Transport-Netz an und ein paar Minuten später verlassen Jils Klauen den Boden. Kühe zu fliegen, gehört zur Unterlast-Ausbildung des Piloten. Vor allem im Berggebiet, erzählt Jürg Forrer.

Ein schonender Transport

Wenn ein lebendes Tier transportiert wird, fliegt der Pilot im Vergleich zum Materialtransport noch vorsichtiger. Der Pilot ist darauf bedacht, die lebenden Tiere so schonend wie nur möglich zu transportieren, um das Tierwohl unter den gegebenen Umständen so hoch wie möglich zu halten.Die Notwendigkeit, ein verletztes Tier innerhalb kurzer Zeit in tierärztliche Behandlung zu bringen, rechtfertigt den zusätzlichen Stress des Fluges. Kann ein verletztes Tier nicht mehr gehen oder aufstehen, muss ein Tierarzt den Einsatz begleiten und die Kuh vor Ort beim Start und bei der Landung betreuen.

Sind Stress-Signale erkennbar?

Kann das verletzte Tier selbstständig gehen, gilt es als transportfähig und die tierärztliche Begleitung ist nicht notwendig. Es wird dann vom Einsatz-Team zum nächstgelegenen Punkt geflogen, welcher für den Besitzer mit dem Anhänger erreichbar ist. Während des Fluges sind die Kühe recht ruhig und zappeln selten, erzählt Jürg Forrer. Allerdings kann es sein, dass Stressindikatoren wie Zappeln eventuell nicht gezeigt werden, weil die Bewegungsfreiheit durch die Gurte zu sehr eingeschränkt wird.

Kühe schauen im Flug umher

Der Pilot kann durch die am Helikopter angebrachten Spiegel beobachten, dass die Kühe oft den Kopf hin und her bewegen und sich umschauen. So macht das auch Jil (siehe Video). Ob sie während des Fluges Laute von sich gibt, ist schwer zu sagen, dafür ist der Lärm des Helikopters zu laut. Dennoch sind andere Stress-Signale, wie zum Beispiel Kot ab-setzen, bei ihr deutlich zu beobachten. Höheneinschätzung oder Angst vor einem Absturz seien bei der Kuh wahrscheinlich weniger vorhanden als beim Menschen, weiss Beat Wechsler, Verhaltensforscher und Leiter der Gruppe tiergerechte Haltung bei Agroscope. Eine Kuh verlasse sich eher auf die Trittsicherheit ihres Untergrundes und beurteile situativ, wie gut diese gegeben sei. Der Stress eines Fluges entstehe vermehrt dadurch, dass die Situation, die Verbindung zum Boden zu verlieren, für das Tier gänzlich ungewohnt sei, so Wechsler.

Kühe geraten selten in Panik

«Die meisten sind eigentlich relativ ruhig und es ist höchst selten, dass die Tiere Panik bekommen. Ich habe nicht das Gefühl, das es ihnen wahnsinnig viel ausmacht, geflogen zu werden», erzählt der Helikopterpilot. Pferde seien im Vergleich dazu sehr viel ängstlicher und könnten ohne Sedierung durch den Tierarzt überhaupt nicht geflogen werden.

So sensibel wie Pferde

Nur weil Kühe keine so deutliche Angstreaktion zeigen wie Pferde, heisst das nicht, dass sie nicht genauso viel Angst und Panik haben. Kühe werden oft als robuster wahrgenommen, einfach weil ihr Verhalten stoischer ist. Das bedeutet aber nicht, dass ihre emotionale Beschaffenheit nicht gleich sensibel ist, wie die eines Pferdes. Auch körperlich gelten Kühe als unempfindlicher. Nichtsdestotrotz sorgen auch bei Kühen schon minimale Reize für Verhaltensänderungen. Landet beispielsweise eine Fliege auf dem Körper der Kuh, kann gut beobachtet werden, dass dies von der Kuh bereits bewusst verspürt wird. Sie ist ebenfalls ein sehr sensibles Tier, auch wenn sie ihrem Ruf nach eher als widerstandsfähig gilt.

Flughelfer hilft am Boden

Jürg Forrer landet die Kuh mithilfe des Flughelfers Gian Marco Caviezel, der sie am Boden im Empfang nimmt, sanft und mit einer erstaunlichen Präzision auf der Rampe des offenen Anhängers. Pilot und Flughelfer sind stets per Funk miteinander verbunden und die Meterangabe bis zum Bodenkontakt wird zwischen den beiden ständig kommuniziert. Nach der Landung steht Jil nicht auf ihren Beinen, sondern legt sich direkt ab. Dies sei ganz normal bei verletzten oder schwachen Tieren, erzählt Jürg Forrer. «Wenn die Tiere den Boden berühren gehen sie ein bisschen in die Knie bis sie merken, dass sie stehen können. Dann, wenn man sie sanft absetzt, kriegt man es manchmal hin, dass sie gleich stehen und gar nicht abliegen», erzählt der Pilot.

Fluchtreaktionen sind selten

Fluchtreaktionen nach der Landung zeigen die Kühe nur selten. «Dann muss man sie noch mal in die Luft nehmen. Es passiert zum Teil bei Mutterkühen, die etwas wilder sind und die Flucht ergreifen wollen. Der Flughelfer und der Landwirt sind ja am Boden und können das Tier dann am Strick oder am Halfter nehmen und festhalten», so Forrer weiter. Jil ist hingegen von ihrem Sturz und dem Flug bereits sehr geschwächt und wird von ihrem Besitzer und dem Flughelfer so in den Anhänger positioniert, dass dieser geschlossen werden kann und fahrbereit ist. «Wir achten darauf, dass die Tiere gut positioniert liegen können», erzählt Gian Marco Caviezel, der Jil noch einmal auf die andere Seite hievt, um ihr Hinterbein im Anhänger so zu positionieren, dass die Kuh komfortabler liegt.

Woher kommt der Stress?

Jil zeigt nach der Landung deutliche Stress-Signale. So ist zum Beispiel der weisse Anteil ihrer Augen sehr gut sichtbar. Ist eine Kuh entspannt, ist das Augenweiss nicht zu erkennen. Je mehr man davon sieht, desto mehr Angst verspürt die Kuh. Auch ein Zittern kann man bei Jil beobachten. Es bleibt offen, ob der Stress nun primär von den Auswirkungen ihrer Verletzungen, oder von der Belastung des Fluges ausgeht. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Dank Jürg Forrer und seinem Einsatz-Team ist sie nun in ihrem Heimatstall und kann sich von den Strapazen erholen. Jil ist bei ihrem Sturz noch einmal glimpflich davon gekommen und inzwischen wieder wohlauf. 

Weitere Bilder finden Sie hier