«Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind von weither angereist. Diese Tagung ist daher nicht nur eine gute Gelegenheit, das Wissen zu erweitern, sondern auch, um sich untereinander auszutauschen.» Mit diesen Worten eröffnete Stefan Geissmann am vergangenen Dienstag auf dem Plantahof in Landquart den 6. Fachtag Schafe und Ziegen. Da zum Thema «Wiederkäuer» generell eher wenig geforscht wird, zeigte sich Geissmann erfreut darüber, dass im Rahmen dieser Veranstaltung auch wissenschaftliche Arbeiten zur Sprache kommen würden.

Erbfehlern auf der Spur

Das erste Referat hielt Heidi Signer-Hasler, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Zollikofen BE, zur Inzucht bei Schafen und Ziegen. Von Inzucht spricht man gemäss Signer-Hasler, wenn verwandte Tiere angepaart werden und sich somit in ihrer Abstammung mindestens ein gemeinsamer Ahne findet.

Inzucht birgt Risiken: Es treten vermehrt Erbfehler und Missbildungen auf, zudem nehmen Fitness und Leistungsfähigkeit der Tiere ab. Auch kommt es zu einem Verlust der genetischen Vielfalt. «Allerdings sind Erbfehler nicht die Ursache von Inzucht», betonte Signer-Hasler «Sie kommen aber durch Inzucht vermehrt zum Vorschein.» Erbfehler bleiben in einer Population oft lange versteckt, so die Wissenschaftlerin.

Eine veränderte Genvariante mit rezessivem Erbgang wird erst nachteilig, wenn sie von beiden Elternteilen vererbt wird, also sogenannt reinerbig vorliegt. Vor ein paar Jahren ergab eine Umfrage der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern unter Tierhaltern, dass bei Ziegen allgemein wenig Erbfehler vorkommen. Über alle Rassen hinweg wurde am häufigsten das Phänomen des Zwitters genannt, was vor allem bei reinerbig hornlosen Ziegen vorkommt. Bei Schafen taucht am häufigsten das eingerollte Augenlid (Entropium) auf, besonders beim Weissen Alpenschaf und beim Braunköpfigen Fleischschaf.

Geschlossenes Zuchtbuch

Traditionell wird die Inzucht basierend auf Abstammungsinformationen geschätzt. Eine Ziege beispielsweise, deren Grossvater mütterlicherseits auch der Urgrossvater väterlicherseits ist, hat einen Inzuchtkoeffizient von 6,25%, was einer Cousine-Cousin-Verpaarung entspricht.

«In den letzten Jahren hat die Inzucht bei Ziegen und Schafen grundsätzlich zugenommen», stellte Heidi Signer-Hasler fest. Gerade bei gefährdeten Rassen ist dies ein Knackpunkt: Bei einer kleinen Population, besonders bei einem geschlossenen Zuchtbuch, ist das Risiko von Inzucht und dementsprechend auch von Erbfehlern grösser.

Unbekannte Abstammung

In einer grossen Population ist Inzucht weniger ein Thema, da mehr Tiere zur Verfügung stehen. Aber auch dort sollte man genau hinschauen: «Es kommt immer wieder vor, dass der Abstammungsnachweis unvollständig ist, etwa bei importierten Tieren, was eine exakte Berechnung des Inzuchtkoeffizienten basierend auf der Abstammung verunmöglicht», so Heidi Signer-Hasler. Bei der Schafrasse Saaser Mutte beispielsweise liegt gar kein Herdbuch vor, Abstammungen sind keine bekannt.

In solchen Fällen kann die Inzucht auf Basis genomischer Informationen mittels moderner Technologien ermittelt werden. Dafür wird das Erbgut aus Blut oder Haarwurzeln isoliert, woraus mittels Genotypisierung die Bausteine des Erbgutes für ein einzelnes Tier herausgelesen werden können. Das gesamte Erbgut auf diese Weise abzulesen ist allerdings eine Kostenfrage.

Träger für Erbkrankheiten

Bei einer genomischen Untersuchung wies die Appenzeller Ziege die höchste genomische Inzucht auf, während diese bei der Pfauenziege und der Capra Grigia am tiefsten war. Unter den Schafen wies das Engadinerschaf eine besonders tiefe genomische Inzucht auf, beim Ouessantschaf mit einer kleinen Population lag diese hingegen besonders hoch.

«Um das Auftreten von Erbfehlern möglichst zu minimieren, sind gezielte Anpaarungen wichtig», empfahl Heidi Signer-Hasler. Bei Paarungen sei darauf zu achten, dass nur ein Paarungspartner Träger ist. Das bedinge jedoch, dass man Kenntnis darüber hat, welche Tiere Träger für Erbkrankheiten sind.

Vorteile von Mischrationen

Ein weiteres Thema widmete sich der ad-libitum-Winterfütterung von Kleinwiederkäuern, die auf immer mehr Betrieben zur Anwendung kommt. In zwei Bachelorarbeiten an der HAFL wurde nun diese Verfütterung von Mischrationen genauer unter die Lupe genommen. Dazu wurden Schafe und Ziegen von insgesamt 24 Schweizer Milchschaf- und Milchziegenbetrieben beobachtet.

Maxime Braillard untersuchte, wie die Tiere auf die Mischrationen reagierten. Dabei zeigte sich, dass vor allem Ziegen, in geringerem Masse auch Schafe, das Futter weiterhin selektionierten, dabei aber besser verzehrten. «Zudem stellte sich heraus, dass die Milchleistung zunahm und die Tiere ruhiger wurden», konstatierte Braillard. Auch ergab sich für den Betrieb eine Arbeitserleichterung. Als nachteilig erwiesen sich jedoch die höheren Kosten und allfällige Gesundheitsrisiken durch Futter, welches länger in der Krippe liegen bleibt.

Lara Röthlisberger untersuchte die Schafe und Ziegen derselben Betriebe hinsichtlich ihres Fress- und Sozialverhaltens, wenn ihnen homogene Mischrationen angeboten werden. Sie fand heraus, dass Schafe in der Herde synchroner ­fressen als Ziegen. Weiter beobachtete sie, dass beide Tierarten ihr Futter gerne selektionieren. Sowohl bei Schafen wie auch bei Ziegen fanden Auseinandersetzungen am Fressplatz statt, wobei Artgenossen verdrängt werden. Röthlisberger: «Wie sich gezeigt hat, spielen sich mehr Reibereien ab, wo die Fressplatzverhältnisse knapper sind».

Zucht von Spiegelschafen

Einen praktischen Einblick in einen Schafbetrieb bot Jakob Bantli, der zusammen mit seinem Bruder Eugen in Maienfeld und St. Luzisteig eine Betriebsgemeinschaft führt. Nebst ei-nem Milchviehbetrieb mit rund 290 000 kg Milch jährlich sowie 74 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche hat die Familie einen Schafbetrieb mit etwa 320 Zuchtschafen. Die Auen werfen jährlich insgesamt etwa 800 Lämmer, dabei gibt es auch zahlreiche Mehrlingsgeburten. Der Fokus liegt in der Zucht von Spiegelschafen.

Diese alte Bündner Rasse mit der auffälligen Gesichtszeichnung galt einst beinahe als ausgestorben. Bis Bantlis Vater 1985 bei Pro Specie Rara meldete, dass er noch solche Tiere habe. Daraufhin konnte sich die Rasse erholen und ist heute wieder vielerorts zu finden, auch ausserhalb der Region. An der Tagung sagte Jakob Bantli: «Wichtig sind mir gesunde, robuste Tiere mit guten Fundamenten und ausreichender Milchleistung.»