Rosmarie Gerber aus Biembach im Emmental BE kann es immer noch nicht glauben. Eine ihrer schönsten Kühe gebar «anscheinend» ein gesundes Kuhkalb. Später bemerkte sie, es konnte seine Milch nicht trinken, geschweige den schlucken. Diagnose: Selenmangel. «Obwohl ich sofort den Tierarzt beigezogen habe, starb das Kalb einige Stunden später», sagt Gerber.
Diese Situation wiederholte sich eine Woche später bei einer anderen Geburt. Auch dieses Kalb hatte Schluckbeschwerden, konnte erst nach dem dritten Tag ohne Mithilfe seine Milch trinken. «Es schmerzt, wenn man sieht, dass die Kälbchen keinen Saugreflex haben und wir sie quasi «zwangsernähren» müssen. Aber zum Glück hat das Kalb, nach ärztlicher Behandlung, überlebt», freut sich die Landwirtin.
Grundstein in der Trächtigkeit
«Selenmangel entsteht generell durch selenarmes Grundfutter», sagt der Fütterungsberater Peter Bringold von Meliofeed. «Bei ungenügender Versorgung mit Spurenelementen (u. a. auch Selen) und Vitaminen sind die Körperfunktionen und der Stoffwechsel der Milchkuh sowie die Entwicklung des Kalbes beeinträchtigt», so der Berater. Für Peter Bringold ist klar, dass eine optimale Versorgung mit essenziellen Spurenelementen und Vitaminen für gesunde und widerstandsfähige Kälber sorgt. Der Grundstein werde während der Trächtigkeit gelegt.
Aber Vorsicht: «Die Dosis machts. Überdosierungen können zu Vergiftungserscheinungen führen. Dies gilt besonders für die Vitamine A und D sowie für Selen, Kupfer und Kochsalz», sagt der Fütterungsprofi. «Dies kann aber nicht der Grund auf meinem Betrieb sein», glaubt Rosmarie Gerber. Denn: «In der Galtzeit füttere ich aus diesem Grund extra ein selenhaltiges Mineralstoff dazu», sagt sie.
Aber jetzt ist die Betriebsleiterin gewarnt: «Diesen Sommer gebe ich vorsorglich allen Kühen, Anfang Galtzeit zwei Bolusen.» Diese Langzeit-Bolusen haben einen hohen Gehalt an essenziellen Spurenelementen wie Kobalt, Kupfer und Selen. Sie spielen als Bestandteile von Enzymen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel. «Ich hoffe, dass ich mit diesem Problem nur dieses Jahr konfrontiert bin und dieses wieder geht, genauso wie es gekommen ist», wünscht sich die Landwirtin sehnlichst.
Status überprüfen
Rosmarie Gerber ist nicht die Einzige, welche bei ihren Tieren mit Selenmangel zu kämpfen hat. Auch Beat Lerch aus dem Bener Jura, in Tramelan, verlor deswegen letztes Jahr zwei und dieses Jahr schon drei Kälber. «Die meisten Kälber sind bei mir schon tot auf die Welt gekommen», bedauert der Landwirt. Auch Lerch hat jetzt vorgesorgt und verabreicht seinen Galtkühen Boluse.
«Es ist schwierig zu sagen, dass ein neugeborenes Kalb, welches nicht recht zwäg ist, immer an Selenmangel leidet», sagt die Tierärztin Vroni Jeker aus Rapperswil BE. «Meistens gibt man generell zur Vorsorge eine Selenspritze. Aber die Tierärztin warnt: «Bei geringerem Mangel kommt es schon zu Saugunlust, die Kälber können schlecht stehen oder sind schwach und atmen schwer. Sie bekommen auch vermehrt eine Lungenentzündung und erkranken an Durchfall, weil die Abwehr geschwächt ist», sagt Jeker.» Aber nicht nur Kälber können von Selenmangel betroffen sein, auch Ziegen und vor allem bei Schafen trete dieses Phänomen häufiger auf.
Unterschiedliche Standorte
Laut Peter Bringold gebe es in der ganzen Schweiz einige Selenmangel-Standorte. «Bei wiederholten Problemen lohnt es sich, den Selenstatus über Blutproben festzustellen», empfiehlt der Fütterungsberater. Bei den Kälbern sollte dann oft noch mit Eisen für die Blutbildung vorgebeugt werden.
Den Selenstatus bei seinen Kühen zu überprüfen fasste auch Ueli Burgdorfer aus Vinelz BE ins Auge. «Bei sieben hintereinander folgenden Geburten veloren wir sage und schreibe sechs Kälber», sagt Burgdorfer. «Alle Kälber kamen tot auf die Welt, und die Nachgeburt folgte gleich hinterher.» Ob Selenmangel der Grund des Übels war, hat der Landwirt nie abgeklärt. «Die letzten drei Geburten verliefen wieder problemlos», sagt ein erleichterter Burgdorfer.
Eine gute Futterqualität
Um dem Problem entgegenzuwirken, heisst es für die Landwirte, neben einer ausgeglichenen Fütterung auch eine Top-Futterqualität zu produzieren. «Trotz enormen Fortschritten in der Züchtung im Futterbau sind den Mineralstoffzugaben weiterhin grosse Beachtung zu schenken», sagt Peter Bringold. Nicht zuletzt auch wegen der steigenden Milchleistungen aller Rassen, die in den letzten 25 Jahren um über 2000 kg pro Kuh und Laktation oder fünf bis sieben Kilo pro Tag zugenommen haben. Denn: «Kraftfutter enthält meistens nur so viel Mineralfutter, wie für die Mehrleistung möglich ist», sagt der Füttrungsprofil.
Peter Fankhauser
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