«Wer ständig glücklich sein will, der muss sich oft verändern.» Mit diesem Zitat von Konfuzius eröffnet Martin Freund, Standortleiter Inforama Seeland, Ins, vergangene Woche das vierte Seeländer Forum. Das Thema ist: Gross macht glücklich – wo liegt die Grenze in der Landwirtschaft. Die Veränderungen der Landwirtschaft und auch Unterschiede zu anderen Branchen macht Mathias Binswanger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz mit ­eindrücklichen Zahlen sichtbar. So liege die Wertschöpfung in der Landwirtschaft um die 30 000 Franken pro beschäftigte Person und Jahr. Bei den Pharma- und Bankwesen liegt dieser Betrag bei 300 000 Franken. Da nützt es auch nichts, «dass die Bauern immer schneller rennen», wie es Binswanger ausdrückt. Sie kämen durch verschiedene Faktoren dennoch nicht auf einen grünen Zweig. Im Gegenteil.

In der Tretmühle gefangen

Die Bauern sind damit immer mehr in der landwirtschaftlichen Tretmühle gefangen. «Sie versuchen immer produktiver zu werden und kommen dennoch nicht vom Fleck», erklärt der Professor. Kleinere Betriebe geben auf und werden von grösseren übernommen. Die Tretmühle drehe sich immer weiter. Trotz aller ­Bemühungen der Landwirte, ­kostengünstiger zu produzieren, liegt am Ende nicht mehr Geld in der Tasche. Hingegen sind die Handels- und Verarbeitungsmargen markant gestiegen. Ein ­immer kleinerer Teil der, aus Konsumentensicht, hohen Lebensmittelpreise geht an die Bauern, zeigte Mathias Binswanger auf. Er präsentierte Zahlen von Bruttomargen im Lebensmittehandel im Vergleich hiesiger Firmen mit ausländischen, die einiges Kopfschütteln auslösen. Ein Raunen ging durch den Saal. So lagen die Bruttomargen im Jahr 2015 der Migros bei 40,2 Prozent bei Coop bei 29,8 Prozent. Die deutsche Edeka hingegen erzielte eine Bruttomarge von 11,5 Prozent. Bei Tesco aus Grossbritannien waren es sogar nur 5,2 Prozent. Das Wachstum in der landwirtschaftlichen Tretmühle bedeute zunehmend auch Zielkonflikte, weiss Binswanger. So werde es für die Bauern immer schwieriger dem Verfassungsauftrag gerecht zu werden. Denn eine möglichst ökologische Produktion und hohes Tierwohl mit der notwendigen Wirtschaftlichkeit zu vereinbaren sei schwierig. Dass der Grenzschutz zunehmend unter Druck gerate, wirke sich zusätzlich ungünstig aus. Zwar würde der Bundesrat mit Chancen für die Bauern argumentieren. «Ja, es gibt Chancen zum Export», räumte auch Mathias Binswanger ein. Doch davon würden schlussendlich nicht die Bauern profitieren, machte er deutlich. Für ihn ist klar, dass die Bauern mehr Wertschöpfung generieren müssten. Er weiss aber, dass das nicht einfach ist. Dennoch ist er überzeugt: «In die Richtung zu mehr Direktverkauf muss man sicher denken.»

Ideale Grösse nicht anhand Kühen messbar

In der anschliessenden Diskussionsrunde, bei der weniger eine Diskussion aufkam, sondern eher eine Frage- Antwortrunde war, kamen neben Mathias Binswanger unterschiedliche Akteure der Landwirtschaft zu Wort. Bio-Landwirt Stefan Brunner aus Spins bei Aarberg hat sich, nachdem er mit ständigem Wachsenwollen, «ein paar Mal auf die Schnurre gefallen» sei, zur Direktvermarktung zurückbesonnen. Seinen Betrieb mit zahlreichen Spezialkulturen, zu dem auch eine Lohnjäterei gehört, ist mittlerweile auf rund 70 Mitarbeitende gewachsen. Damit sei der Zenit erreicht. «Mehr wollen wir nicht mehr wachsen», erklärte er. Ganz anders aufgestellt ist der Betrieb von Gemüseproduzent Beat Bösiger, Niederbipp. Zwar gibt es auch bei ihm einen Hofladen, doch der Grossteil der Produkte gelangt in den Handel. Für die Frau in der Runde, Geschäftsführerin der Kleinbauernvereinigung, Barbara Küttel, lässt sich ein idealer Betrieb nicht anhand der Anzahl Paloxen, Hektaren oder Kühe festlegen. Vielmehr gehe es um die Einstellung des Betriebsleiters. Ob nun gross wirklich glücklicher macht, und wo genau die Grenzen liegen, bleibt auch weiterhin unklar. Klar ist hingegen, ob gross oder klein, alle haben sie auf ihren Betrieben Herausforderungen zu meistern, wenn auch unterschiedlicher Art.

 

Nachgefragt bei Daniel Weber

Daniel Weber, wie haben Sie persönlich das vierte Seeländer Forum zum Thema «Gross macht glücklich – wo liegt die Grenze in der Landwirtschaft» erlebt?
Daniel Weber: Es hat mich sehr gefreut, dass wir über 100 Gäste begrüssen konnten. Das Referat von Herrn Binswanger war spannend und enthielt doch einige spannende Aussagen, die zurzeit nicht in die gängige Meinung passt.

Wurden Ihre Erwartungen an den Anlass erfüllt?
Unsere Erwartung war, dass sich die Anwesenden gemeinsam mit dem Referenten zum Thema unvoreingenommen auseinandersetzen. Die Erwartung wurde erfüllt. Dies zeigte sich in der Fragerunde und den anschliessenden Diskussionen.

Gibt es eine Erkenntnis, die Sie für Ihren eigenen Berufsalltag mitgenommen haben?
Meine Erkenntnis aus dieser Veranstaltung war, dass es neben gängigen wirtschaftsliberalen Meinungen auch Wissenschaftler gibt, die ihre Bedenken äussern. Bedenken, dass Freihandel nicht nur Gewinner hervorbringt. Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Wörter «gross» und «glücklich» für jeden etwas anderes bedeuten.

Mathias Binswanger hat in Zusammenhang mit dem Wachstum die landwirtschaftliche Tretmühle angesprochen – weniger Land­wirte, dafür immer grössere Betriebe. Wo liegt Ihrer Meinung nach die Grenze des Wachstums in der hiesigen Landwirtschaft?
Die Grenzen der hiesigen Landwirtschaft lassen sich nicht klar definieren. Es ist vielmehr so, wie Herr Binswanger gesagt hat, dass es gewisse Entwicklungen in der Landwirtschaft gibt, die nur noch schwer mit dem Verfassungsauftrag in Verbindung gebracht werden können. Somit sind einige Grenzen erreicht.

Daniel Weber ist Landwirt aus Gerolfingen und Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland.