Die Zahlen sind eindrücklich: 1'100 Zuchtsauen, 5'500 Jungsauen, 5'500 Ferkel. Das ist der Tierbestand auf dem Betrieb von Mark und Mariëlle van Dijk in Odiliapeel in der holländischen Provinz Nordbrabant. Mit seinem halben Dutzend Ställen, jeder in der Grösse von ansehnlichen Mehrzweckhallen gehört der Zuchtbetrieb zu den grösseren in der Region, aber van Dijks sind in bester Gesellschaft. Entlang der von idyllischen Alleen gesäumten Landsträsschen in Brabant steht alle paar Hundert Meter einer dieser Grossbetriebe. Die gut 12 Millionen niederländischen Schweine werden in etwas mehr als 6'000 Ställen gehalten, der Durchschnittsbestand liegt also bei rund 2'000 Tieren.

Von 18 auf 6'600 Sauen in 44 Jahren

Die Eltern von Mariëlle haben 1970 mit lediglich 18 Sauen angefangen. Die mehrhundertfache Vervielfachung der Tierzahl ist typisch für den Sektor. Die Intensivierung hat zu einer Spezialisierung und gleichzeitig einem Strukturwandel geführt, der seinesgleichen sucht: allein seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Schweinehalter in den Niederlanden um 57 Prozent zurückgegangen.

Wachstumswille ungebrochen

Ein Ende des Wachstums ist keineswegs beabsichtigt, wie sich beim Besuch einer Gruppe von europäischen Agrarjournalisten in Odiliapeel und weiteren Hochburgen der holländischen Schweinebranche zeigte.


"Wir streben eine höhere Ferkelzahl pro Sau, eine bessere Futterverwertung und eine bessere Uniformität der Genetik an", sagte Hans Olijslagers auf dem Betrieb der van Dijks. Er ist technischer Direktor von Topigs, dem grössten Schweinezuchtunternehmen der Niederlande und der Nummer zwei weltweit.

Da hat er Ambitiöses vor. Schon heute gebären Topigs-Sauen 30 Ferkel pro Jahr, die in der Ausmastphase einen Tageszuwachs von einem Kilo aufweisen. Um diese Zahlen weiter zu steigern, braucht es nicht nur höhere Ferkelzahlen pro Wurf – Topigs strebt ein Wachstum von 0,3 Ferkeln pro Jahr an –, sondern auch zusätzliche Zitzen und eine bessere Futterverwertung.

Kampf um jeden Cent


Der ungebrochene Wachstumswille von Topigs ist symptomatisch für den niederländischen Agrarsektor und die Schweinebranche im Besonderen.

Wichtigste Maximen, so zeigt sich im Lauf der nächsten Tage bei allen weiteren Besichtigungen, sind hohe Effizienz, hohe Intensität und der Kampf um Cents auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette. Die Konsequenz, mit der diese Ziele angestrebt werden, ist einigermassen eindrücklich und gleichzeitig auch etwas erschreckend für den an etwas behäbigeres Tempo gewohnten Schweizer Berichterstatter.

Ein System stösst an Grenzen

Allerdings stösst dieses System zunehmend an Grenzen. Der Ausbau des Schweinesektors hat zu Problemen auf verschiedenen Ebenen geführt. Der Gesundheitsstandard hat unter der hohen Intensität gelitten, der Antibiotikaeinsatz deshalb massiv zugenommen, der Nährstoffüberschuss ist massiv und die Tierhaltung so industriell, dass selbst die etwas robusteren holländischen Gemüter teilweise in Wallungen geraten sind.

Doch zum Selbstverständnis der Agrarunternehmer in dieser Hochburg der Effizienz gehört auch, dass es für jedes Problem eine technische Lösung gibt:

  •  Der Geruchsbelästigung in den Hauptproduktionsgebieten Brabant, Limburg und Gelderland begegnet man mit der Pflicht zum Einbau von Luftwaschanlagen, die dazu führen, dass man trotz Zehntausenden von Schweinen auf engstem Raum kaum etwas riecht.
  • Die Nährstoffüberschüsse werden zum Preis von gegenwärtig rund 20 Euro pro Kubik Gülle in die nördliche Landeshälfte und nach Deutschland exportiert.
  • Der Antibiotikaeinsatz wurde innerhalb der letzten fünf Jahre mit einer freiwilligen Branchenvereinbarung um 50 Prozent gesenkt.
  • Die Verfütterung von Antimikrobiellen Leistungsförderern ist seit 2006 verboten.
  •  Ab 2015 wird für den niederländischen Markt auf Kastration verzichtet und voll auf Ebermast gesetzt.
  • Die Erstellung neuer Ställe zur Ausweitung der Kapazität ist nicht mehr möglich. Wem dies alles zu viel wird, der wandert aus. Heerscharen holländischer Schweinehalter haben ihre Betriebe in der Heimat aufgegeben und sich vorzugsweise in Ostdeutschland niedergelassen, wo es die Verhältnisse erlauben, genügend Land zu erwerben, um grosse Bestände zu halten.


Wenig Platz für Tierwohl

Wenig Spielraum bleibt in dieser hochspezialisierten Produktionsmaschinerie für tierfreundliche Haltungssysteme. Trotzdem hat man auch hier einen einigermassen gangbaren Weg à l’hollandaise gefunden, wie sich beim Besuch bei Besitzern von zwei sogenannten Sichtställen zeigte.

Die Branche hatte sich durch das intensive Wachstum einen derart schlechten Ruf erworben, dass die Konsumenten heute hocherfreut sind, wenn sie einen für schweizerische Verhältnisse sehr konventionellen Stall mit 1'800 Schweinen besichtigen dürfen, der nur einstöckig gebaut ist und über etwas Tageslicht verfügt, wie Elly Michiels aus Melderslo in der Region Limburg erklärt.

Durch Fensterscheiben – der Zutritt in die Ställe ist aus Hygienegründen nicht vorgesehen – sieht man unstrukturierte Buchten in denen sich schmutzige Schweine den Tag um die Ohren schlagen. An den Wänden hängen zwei Ketten, die als einzige Unterhaltung dienen müssen.

Michiels ist überzeugt, dass sie den Tieren mit ihrem System eine tierfreundliche Umgebung bietet und stösst damit bei den interessierten Konsumenten laut eigenen Angaben auf weitgehende Zustimmung.

"Extensiv ist nicht nachhaltig"

Nachhaltigkeit wird hier in erster Linie ökonomisch definiert. Das zeigt sich auch beim Besuch der auf intensive Tierhaltung spezialisierten Messe VIV in Utrecht, die zum Abschluss der Journalistenreise auf dem Programm steht.

Dort erklärte der Präsident des holländischen Landwirtschafts- und Ernährungsdachverbands, Aalt Dijkhuizen anlässlich der Eröffnung, dass der Sektor weiter wachsen und die Intensität erhöht werden müsse, um die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu sichern.

Extensive oder gar biologische Tierhaltungssysteme sind aus seiner Sicht nicht nachhaltig, da sie pro Kilo produzierten Fleisches mehr Landfläche benötigten und deshalb einen breiteren CO2-Fussabdruck aufwiesen. "Die 25 Prozent Landwirte mit der tiefsten Produktivität verursachen 50 Prozent der weltweiten Emissionen", so Dijkhuizen.

Adrian Krebs, lid