„Appenzellerziegen-Milch“, steht auf der Flasche im Kühlregal einer Churer Coop-Filiale und: „Pro Specie Rara – alte Sorten neu entdeckt“. – „Bloss keine Ziegenmilch!” wehrt die Bündnerin Johanna Blumenthal ab. Sie erinnert sich an ihre Jugendzeit im Domleschg, als eine Nachbarin jeweils zum Kaffee einlud und diesen mit Ziegenmilch anreicherte. Das Gebräu habe so stark nach Geissbock gerochen, dass es untrinkbar gewesen sein.

Null Bock

Die Milch der neu entdeckten Appenzellerziegen wurde doch gekauft, und siehe da: Das Getränk unterscheidet sich zwar im Geschmack leicht von der Kuhmilch – besonders im „Abgang“, wie Weinkenner sagen würden – doch von „Bockgeschmack“ keine Spur. Das sei auch nicht verwunderlich, erklärt Landwirt Ronald Sommer, der im Jahr 1994 seinen Milchwirtschaftsbetrieb in Monible BE auf die Herstellung und den Verkauf von Produkten aus Ziegenmilch (später auch Schafmilch) umgestellt hat.

Früher seien Geissen oft in engen, muffigen Ställen gehalten und von Hand gemolken worden. Weil Ziegenmilch den Geruch der Umgebung schneller aufnehme als beispielsweise Kuhmilch, sei es möglich gewesen, dass dieses Produkt einen unangenehmen „Ziegenbock“-Geschmack aufgewiesen habe.

Heute aber würden die Tiere in gut belüfteten Ställen gehalten, Ziege und Ziegenbock getrennt; gemolken werde überwiegend mit der Maschine und anschliessend werde die Milch sofort in luftdichte Eimer abgefüllt. Hinzu komme, dass Ziegenmilch ein saisonales Produkt sei. Mit anderen Worten, dass die Milch möglichst kurz nach der „Gitzelung“ – also nach der Geburt eines Jungtieres – in den Verkauf gelange. Grund: Gegen Ende der Milchleistung einer Mutterziege kann sich ein von der Kundschaft unerwünschter Beigeschmack bemerkbar machen.

Steigende Nachfrage

Ziegenmilch ist nach den Erfahrungen von Ronald Sommer in den letzten 20 Jahren immer beliebter geworden. Gegenwärtig glaubt er zwar, eine leichte Stagnation zugunsten der Schafmilch festzustellen. Doch Sorgen machen muss sich der Landwirt nicht, denn die Abnahme seiner Produkte ist gesichert: Ein grosser Teil geht an Molkereien und kleinere Geschäfte in der Region, etwa 10 Prozent werden direkt an Private verkauft, aber auch Manor gehört zu Sommers Kunden.

Von den Grossverteilern sind inzwischen die meisten ins „alternative Milchgeschäft“ eingestiegen und stellen generell eine leicht steigende Nachfrage fest. Bei Coop stammen 47 Prozent der Ziegenmilch-Produkte aus der Schweiz, entweder von Grossbetrieben wie Emmi oder von regionalen Anbietern. Während die Migros bei verarbeiteten Ziegenmilch-Produkten – insbesondere Käse – eine stetig steigende Nachfrage feststellt, blieb die Nachfrage nach reiner Geissenmilch in letzter Zeit stabil. Produkte aus Ziegenmilch stammen bei der Migros in der Regel von regionalen Produzenten und werden der lokalen Nachfrage entsprechend in den Filialen angeboten.

Die Spezialität den Kunden nicht vorenthalten

Denner hat bei seinen Ziegenkäsesorten ebenfalls eine Steigerung der Nachfrage festgestellt. Der grösste Teil dieser Produkte stammt allerdings aus Frankreich, wo Ziegenkäse bekannter und beliebter ist als in der Schweiz. Hierzulande fristen diese Produkte laut Denner immer noch ein Nischen-Dasein. Für Lidl Schweiz ist „Ziegen- und Schafmilchkäse eine Spezialität, die wir unseren Kunden nicht vorenthalten wollen“. Ganzjährig werden fünf Käsesorten angeboten, hinzu kommen besondere Themenwochen oder Aktionen.

Einer der grossen Player im Milchgeschäft ist Emmi. Die Ziegenmilchprodukte werden in der Schweiz allerdings nicht unter der Marke Emmi verkauft, sondern grösstenteils unter dem Namen „Le Petit Chevrier“. Hergestellt werden diese Produkte in Kaltbach LU. Im Ausland sind heute fünf zur Emmi-Gruppe gehörende Unternehmen aktiv im Geschäft mit Ziegenmilchprodukten: drei in den Niederlanden und zwei in den USA. „Produkte aus Ziegenmilch zählen international zu den attraktivsten Nischen in der Milchbranche“, schreibt Emmi dazu. Der Trend zu Ziegenmilchprodukten gründe insbesondere auf den ernährungsphysiologischen Vorzügen, so die Milchverarbeiterin.

Verträglicher als Kuhmilch?

Ist Ziegenmilch gesünder oder zumindest bekömmlicher als Kuhmilch? Hier gehen die Meinungen teilweise auseinander: „Aus ernährungsphysiologischer Sicht hat Ziegenmilch keine nennenswerten Vor- oder Nachteile gegenüber Kuhmilch“, schreibt beispielsweise die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE). Das Allergiezentrum Schweiz (aha!) weist darauf hin, dass Ziegenmilch ungefähr gleich viel Laktose enthält wie Kuhmilch und deshalb für Betroffene mit einer Laktoseintoleranz keine geeignete Alternative darstellt. Dasselbe gelte für Personen mit einer Milcheiweissallergie; dabei handle es sich meistens um eine allergische Reaktion auf Kaseine. Da Ziegenmilch ebenfalls Kaseine enthalte, sei sie auch für diese Betroffenen nicht geeignet, so aha!

Andere Stimmen berufen sich auf die Volksheilkunde oder auf den berühmtesten Arzt der Antike, Hippokrates, der die Ziegenmilch schon vor weit über 2000 Jahren als „Lebenselixier“ beschrieben hatte. Viele seiner Kundinnen, und Kunden, so der Landwirt Ronald Sommer, hätten sich für Ziegenmilch entschieden, weil sie Kuhmilch nicht vertrügen; dass Ziegenmilch leichter verträglich sei, sei keine Glaubensfrage, sondern medizinisch erwiesen. Die Schweizer Milchproduzenten (SMP) präzisieren: Wer gegen die hitzestabilen Kaseine allergisch sei, für den könne Ziegen- oder Schafmilch keine Alternative darstellen. Anders sei es bei den hitzeempfindlichen Molkenproteinen, die in Ziegenmilch stärker anzutreffen seien. Selbst bei einer Allergie oder Unverträglichkeit auf Molkenproteine könnten kleine Mengen erhitzter Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch sowie der daraus hergestellten Produkten durchaus verträglich sein. Grundsätzlich gilt: Beim Vorhandensein eines Verdachts auf eine Allergie oder eine Unverträglichkeit muss jeder Fall individuell abgeklärt werden.

Hauptsache gesund

Einmütigkeit besteht allerdings darin, dass Ziegenmilch ein gesundes Produkt ist und viele wertvolle Bestandteile enthält. Dazu gehören die Spurenelemente Kupfer, Zink, Phosphor, Kalzium Kalium, Natrium, Eisen und Magnesium, ausserdem die Vitamine A, B1, B6, B9, B12, C, D sowie E. Und das Schöne am Ganzen: Wer keine Produkte aus Ziegenmilch essen oder trinken will, kann von der positiven Wirkung dieses Naturprodukts durch eine äusserlich Anwendung profitieren: Ihr Balsam für Rücken, Muskeln und Gelenke preist das bekannte Bergeller Unternehmen Soglio an mit dem Hinweis: „Mit dem kostbaren, reinen Ziegenbutteröl aus den Alpen des Valsertals.“

Martin Leutenegger, lid