Bei Ueli Ramseier und Bettina Clavadetscher raschelt es in der umfunktionierten Garage in Hinterkappelen im Kanton Bern. Es ist nicht etwa ein Motor, der ungewohnte Geräusche von sich gibt, sondern 15 000 Seidenraupen, die sich an frischen Maulbeerblättern vergnügen. Die auf dem Bild 15 Tage alten gräulichen Raupen ernähren sich ausschliesslich von den Blättern der weissen Maulbeere (Morus alba) und verzehntausendfachen ihr Gewicht in nur 21 Tagen. Im aktuellen Stadium wird ihnen ihr einseitiges Menu drei bis viermal täglich serviert.

[IMG 4]

Haben die Seidenraupen ungefähr die Grösse eines Zeigefingers erreicht, spinnen sie sich ein, verpuppen sich innerhalb von drei bis vier Tagen und befestigen sich mit Flockseide an vorhandenen Einspinnhilfen. Auf dem Bergfeld Hof in Hinterkappelen nehmen die Betriebsleiter dafür Plastikigel oder Kartongestelle zur Hilfe, damit sich die Raupen besser einspinnen können. Der weisse Kokon besteht aus Seidenleim und dem Seidenfaden, welcher nach der Trocknung des Kokons in einem Spezialofen aus dem Kokon gewonnen wird.

[IMG 5]

Der Seidenfaden von den Kokons wird in der Abhasplerei in Beitenwil abgewickelt und anschliessend gezwirnt, entbastet und veredelt. «An einem Tag können wir in der Werkstatt maximal 750 Gramm Rohseide herstellen», so Ramseier.

Maulbeerspinner-Eier aus Venedig

Der Bergfeld Hof besorgt die Eier des Maulbeerspinners (Bombyx mori l.) von der Seidenraupenzuchtstation in Venedig (Italien) und zieht die Raupen dann in der umfunktionierten Garage des Wohnhauses in Hinterkappelen auf. Die Eier werden im selbst gebauten Inkubator angebrütet. Nach sieben Tagen schlüpfen 2 mm kleine, samtige Raupen. Ueli Ramseier und Bettina Clavadetscher verkaufen einen Teil der Maulbeerspinner-Raupen ab dem dritten Larvenstadium (nach ungefähr zehn Tagen) an Seidenraupenproduzenten und -produzentinnen aus der Region weiter. 

 

Betriebsspiegel Bergfeld Hof

Name: Ueli Ramseier und Bettina Clavadetscher

Ort: Hinterkappelen (Bern)

Betriebsfläche: 115 Aren; 30 a Seidenraupenhaltung, 60 a Haselnussbäume, 10 a Maulbeerbäume für Beeren, 15 a Dauerwiese, Ökoelemente, Rebgarten.

Betriebszweige:Seidenraupenaufzucht- und Weiterverkauf an Seidenraupenproduzent(innen), Haselnüsse, Maulbeeren, Hofladen, Führungen

 

Lukrativer Nebenerwerb

«Die Italiener haben eine Leidenschaft für die Seidenproduktion und -verarbeitung – das gefällt mir», beobachtet der unternehmerische Landwirt und Textilingenieur Ueli Ramseier. Dieses Feuer scheint auf den aufgestellten Swiss Silk Präsidenten übergeschwappt zu sein, worauf er und seine Frau Bettina Clavadetscher im Jahr 2009 eine eigene Produktion aufgebaut haben.

Auf ihrem Nebenerwerbsbetrieb bieten sie Führungen an, richteten einen Hofladen für den Direktverkauf von verschiedenen Seidenprodukten ein und bewirtschaften zudem eine Haselnuss- und Maulbeerbaumplantage. Die Maulbeerbäume müssen wie Reben jährlich im Winter geschnitten werden. Allfälliger Pilzbefall in der Plantage wird von Hand entfernt, dies habe bisher gut funktioniert, beobachtet Ramseier. Einzig die Mäuse stellten teilweise ein Problem dar.

[IMG 6]

Swiss Silk verkauft Rohseide für 530 Franken pro Kilogramm, dies entspreche etwa dem acht bis zehnfachen des Weltmarktpreises. Die Produkte selbst sind aber erschwinglich, da nur wenig Material im Endprodukt vorhanden ist. «Wir wollen hochwertige Seide produzieren, aber es soll kein Luxusprodukt sein», ist Ramseier überzeugt und ist sich aber auch bewusst, dass diese Preissetzung nur in der Nischenproduktion funktioniert.

Weniger Hemmungen

Was im Jahr 2009 mit einem Versuch begonnen hat, gewann mittlerweile national und international an Bedeutung. «Da Swiss Silk aus einer Gruppe von Bauern besteht, haben interessierte Produzent(innen) aus dem In- und Ausland wohl weniger Hemmungen anzurufen und sich mit uns auszutauschen», vermutet Ueli Ramseier. Daher ist der Verein durch seine Tätigkeit auch grenzübergreifend zu einer Anlaufstelle geworden. Mittlerweile zählt die Vereinigung rund vierzehn Produ­zent(innen) und ist mit dreizehn europäischen Ländern sowie Marokko und Algerien in Kontakt. 

 

Der Verein «Swiss Silk»

Die Vereinigung Schweizer Seidenproduzenten «Swiss Silk» wurde im Jahr 2009 ins Leben gerufen. Der Verein hat das Ziel, die Produktion von Seide in der Schweiz wieder zu beleben und dadurch Nebeneinkommen in der Landwirtschaft zu schaffen. Der Vorstand setzt sich aus Vertretern der ganzen Wertschöpfungskette zusammen, von der Produktion der Maulbeerblätter, über die Aufzucht der Raupen bis zur Verarbeitung der Seide in der Industrie.

Verein zählt 170 Mitglieder

Nebst der Landwirtschaftwird auch die traditionsreiche Schweizer Textilindustrie gestärkt und erhält neue Profilierungsmöglichkeiten. Im Jahr 2009 gegründet, hat der Verein heute 170 Mitglieder, davon 14 produzierende Landwirt(innen) und 3 Indus­triebetriebe. «Swiss Silk» ist eine Initiative von Hans und Ueli Ramseier. Sie geht auf das Jahr 1990 zurück, als die beiden Initianten die Seidenproduktion in den Cevennen (Frankreich) kennenlernten.

Breites Netzwerk aufgebaut

Mittlerweile arbeitet die Vereinigung mit zahlreichen Partner(innen) aus der nationalen und internationalen Textilindustrie zusammen und hat unter anderem ein Handbuch zur Seidenraupenhaltung und Seidenproduktion herausgegeben.

 

Produzenten sind gesucht

Da die Nachfrage nach Schweizer Seide zur Zeit nicht gedeckt werden kann, sucht die Vereinigung neue Produzenten und Produzentinnen. «Die Investitionskosten dieses Betriebszweigs sind gering, aber die Produktion ist saisonal arbeits- und wissensintensiv», erklärt Ueli Ramseier. «Bei der Seidenproduktion achten wir auf die Kreiswirtschaft, es entsteht kein Abfall». So wird zum Beispiel der Raupenkot zu Topfpflanzendünger verarbeitet und die getrocknete Puppe – die einen sehr hohen Rohproteingehalt aufweist – für hochwertiges Hamsterfutter genutzt. Aktuell arbeiten die Fachleute auch an der Entwicklung einer Haut­crème, die Sericin (Seidenleim) enthält.

Hohe Produktionsstandards

Hinsichtlich den Produktionsstandards sind die Swiss Silk-Produzenten unter anderem verpflichtet;

  • ein Hormon- und Antibiotikaverbot einzuhalten,
  • natürliches Licht einzusetzen, 
  • den Tötungsvorgang zu kontrollieren,
  • und Transportlängen zu limitieren.

Trotz ungestillter Nachfrage nach dem hochwertigen Fabrikat wagt der Swiss Silk Präsident keine Langzeitprognose. «Wir wissen noch nicht, ob Schweizer Seide ein Trend ist oder ob sich die Nachfrage tatsächlich auf einem stabilen Niveau halten wird», so Ueli Ramseier.

 

In Zahlen....

5000 Eier des Maulbeerspinners braucht es, um 1 kg Seide zu erzeugen.

180 kg Blätter werden von 5000 Raupen gefressen.

7 kg Blätter liefert ein Maulbeerbaum pro Jahr.

25Bäume braucht es für 180 kg Blätter.

9 kg Kokons entstehen ungefähr aus 5000 Raupen.  

1 kg Rohseide entsteht aus den 9 kg Kokons.

(Quelle Swiss Silk)