Dass Landfrauenvereine zu weit mehr fähig sind, als Kuchen und Zöpfe zu backen und Messen zu organisieren, haben die Wilchingerinnen Ende letzten Jahres gezeigt.
Zusammen mit dem Pfarramt haben Sie aktive Flüchtlingshilfe betrieben. Und das aus ganz eigenem Antrieb.

Mitte November hörte Maja Tappolet, die Präsidentin der
Wilchinger Landfrauen, von
einer Vorstandskollegin, dass Flüchtlinge in der örtlichen Zivilschutzanlage untergebracht seien. Die Informationen waren aber diffus, man wusste nicht, wie viele und wann sie angekommen waren. Spontan schoss es Maja Tappolet durch den Kopf: Da wird Hilfe gebraucht!

«Als einer der grössten Vereine des Dorfs empfand ich es als selbstverständlich, dass wir unsere Kräfte anbieten», und so meldete sie sich beim Pfarramt und fragte, wo sie unterstützen könnten. Doch da wusste man auch noch nicht mehr, als die Landfrauenpräsidentin. So setzte sich Maja Tappolet mit ihren Frauen zusammen und schmiedete «ziemlich aufs Blaue hinaus», wie sie im Nachhinein sagt, Pläne. Kleider und Spielsachen könnten die Menschen bestimmt gebrauchen, überlegten sie sich, aber auch Strickzeug für die Frauen, damit sie etwas mit den Händen tun könnten. Das Wilchinger Landfrauenteam ahnte damals noch nicht, was auf es zukam.

Von Schlafmangel und Angst gezeichnet

Eine Woche später wurde dann das Pfarramt kontaktiert. Und zwar vom örtlichen Sozialamt. Es würden Personen zur freiwilligen Kinderbetreuung gesucht. Maja Tappolet und eine Vorstandskollegin waren sofort mit im Boot. Und waren schockiert, als sie das Wilchinger Zivilschutzgelände erstmals betraten.

Es waren etwa 70 Personen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, türkische Kurden, Männer, Frauen und Kinder, frisch geborene Babies – direkt aus dem Krieg nach einer mehrwöchigen, strapazenreichen Reise –, die in die unterirdischen Bunker gebracht worden waren. Die Leute hatten nur Flipflops oder Sandalen an den Füssen. Sie waren geschwächt, erschöpft und ausgebrannt. Die Angst sass ihnen noch im Nacken, es mangelte ihnen an Schlaf. Nicht wenige waren krank.

Maja Tappolet und ihre Mitstreiterin sahen, dass es noch viel mehr zu tun gab, als das Kinderprogramm. Im Bunker unten müffelte es nach den Kleidern, die die Flüchtenden schon Tage, wenn nicht Wochen, trugen – sie hatten ja nichts anderes. Und die Landfrauenpräsidentin zeigte Initiative. Sie packte den Telefonhörer und fragte herum. Eine ­lokale Monteurfirma brachte ­ihnen daraufhin eine Waschmaschine und einen Tumbler, die sonst entsorgt worden wären.

Und alle guten Seelen vom Verein und aus dem Bekanntenkreis halfen von nun an, die Kleider der immer wieder wechselnden 70 Leute zu waschen und zu trocknen. Es kamen nämlich immer neue Flüchtlingsgruppen, während andere in die grossen Zentren der Schweiz weiter reisen mussten.

Landfrauen übernahmen die medizinische Betreuung

Die Verständigung war alles andere als einfach. «Nach den ersten Tagen wussten wir jeweils, wer Englisch konnte und kommunizierten hauptsächlich über diese Handvoll Personen», so Tappolet.

Viele fragten nach einem Doktor, die Gemeinde Wilchingen mobilisierte denn auch den Hausarzt. Doch längst nicht alles musste wirklich von einem Doktor behandelt werden. Und so halfen Landfrauen mit medizinischer Ausbildung (Krankenschwestern, Med. Praxisassistentinnen etc.) jeden Morgen und jeden Abend in Form einer Anlaufstelle für Kranke. Sie waren quasi Bindeglied zwischen Geflüchteten und Doktor.

Sie entschieden, welche Menschen tatsächlich von einem Arzt untersucht werden mussten und erklärten mit Händen und Füssen, wie die Medikamente anzuwenden waren und worauf geachtet werden musste.

So arbeiteten neben dem Pfarramt und den Landfrauen viele weitere Freiwillige zusammen und sorgten dafür, dass den Menschen humanitäre Hilfe zuteil wurde. «Die Behörden sorgten mit Dach über dem Kopf und Verpflegung für das Überleben – wir gaben alles, damit sie auch Kraft tanken und sich so gut wie möglich erholen konnten.» Das Pfarramt fragte die Gemeinde  für den Mehrzweckraum an, damit den Flüchtlingen auch ein Raum mit Sonnenlicht zur Verfügung stand. Eine Stillecke wurde darin eingerichtet. Die Landfrauen bewirtschafteten einen Wühltisch mit Kleiderspenden, damit kein unübersichtliches Chaos entstand.

Auch Solidarität 
braucht Koordination

Nach den ersten zwei Wochen, in denen sowohl Zivilschutz, Sozialamt und alle Freiwilligen sehr strampelten und kaum nachkamen mit der vielen Arbeit, hatten alle Beteiligten dann eine Aufgabenteilung gefunden, die funktionierte. Trotzdem darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Landfrauen alle auch Familie zu Hause haben, und manche ihr Engagement gegen den Willen ihrer Männer durchsetzen mussten.

Maja Tappolet ging oft am Abend nochmals vorbei, brachte Kuchen mit und widmete sich einfach den Menschen. «Mütter konnten nicht mehr für Ihre Kinder sorgen, weil sie körperlich und geistig so strapaziert waren», berichtet sie. Besonders in Erinnerung sei ihr ein fünfjähriger Junge, der mit seiner Familie angekommen war. Er konnte seine Augen nicht mehr stillhalten, liess die Pupillen notorisch nach links und nach rechts springen. Er konnte keinem Gegenüber mehr in die Augen schauen. Als gerade dieser Junge sich vor seiner Weiterreise so erholt hatte, dass er wieder einen normalen Blick hatte und Maja Tappolet einen Handschlag gab zum Abschied, sei ihr das Herz aufgegangen.

Nach sechs Wochen, also kurz vor Weihnachten, wurde die letzte Gruppe an 70 Personen dann in die grossen Durchgangszen­tren in der Schweiz gebracht. An Weihnachten war es dann wieder ruhig.

Zum Abschluss ihrer Erzählungen reflektiert Maja Tappolet: «Es war nicht immer leicht, und wir kamen auch an unsere Grenzen. Aber wir konnten gemeinsam viel bewegen, als es nötig war. Und das hat uns Kraft gegeben.»

Nadine Baumgartner