Seit zwei Jahren sind Sie Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbands (SAV). Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?

Erich von Siebenthal: Ich habe einen motivierten Vorstand, der nahe an der Praxis ist. In diesen Jahren lief die AP 2014–17. Da hat der SAV gute Arbeit geleistet. Der direkte Kontakt ins Bundeshaus hat sich bewährt. Wir haben bei der Verwaltung und der Politik ein gutes Gehör, weil unsere Argumente überzeugen. Der Verband hat gute Arbeit geleistet, bei der Basis sind wir noch gefordert.

Sie sprechen die derzeitige Reorganisation an.

Die Freiburger haben bereits eine eigene Sektion und sind gut organisiert. Ansonsten ist  es eher eine lose Zusammensetzung, da die Einzelmitglieder in den Kantonen direkt beim Dachverband Mitglied waren. Man will die Kantone stärken, daher sollen in den alpwirtschaftsreichen Kantonen Sektionen entstehen.

Wie weit ist die Reorganisation  bereits gediehen?

Die Gründung der Sektionen ist nur das eine, parallel dazu muss auch die Finanzierung aufgebaut werden. Die Kantone haben für beides den Auftrag erhalten. Wir als Dachverband brauchen von den kantonalen Sektionen pro Stoss 30 Rappen. Es gibt Kantone, die 50 Rappen einziehen, damit die Sektionen ihre Arbeit finanzieren können. Durch die AP 14–17 konnte die Sömmerung gestärkt werden, deshalb hoffen wir sehr, dass die Älpler(innen), Alpeigentümer und Kooperationen Mitglied werden und diesen Beitrag auch mittragen. Die zusätzlichen Mittel vom Bund sind nicht einfach Zufall. Der SAV hat dafür gute Arbeit geleistet. Wenn wir diese weiterhin leisten sollen, braucht es dafür diese minimalen Mittel.

Gab es deswegen Kritik?

Es ist klar, niemand wartet darauf, mehr Beiträge zu bezahlen, schliesslich werden bei den Bauern schon überall Beiträge eingezogen. Aber die Alpwirtschaft bewirtschaftet zirka einen Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Schweiz. Deshalb braucht es für sie auch den entsprechenden Einsatz.

Ihr Fazit zur AP 2014–17?

Es war der politische Wille, die Alpwirtschaft zu stärken. Dank dem Kuhbeitrag für die Tiereigentümer werden wieder mehr Tiere gesömmert. Der Sömmerungsbeitrag wurde leicht erhöht. Dazu wurde der Biodiversitätsbeitrag eingeführt. Nun ist die Alpwirtschaft in der Pflicht, mit diesen neuen Mitteln zeitgemässe Löhne zu bezahlen. Sanierungen von Alpgebäuden, Strassen und Wasserversorgungen sind zu prüfen. Wir müssen die Verbuschung stoppen und vernachlässigte Alpen wieder pflegen, damit wir sie in gutem Zustand an die nächste Generation übergeben können. Wenn wir diese Investitionen nicht tätigen, werden diese zusätzlichen Mittel sehr schnell von der Politik und der Bevölkerung in Frage gestellt.

Wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Es gibt in allen Zonen Betriebe, die finanziell oben oder unten aus dem Rahmen fallen. Dies vor allem, weil man die Tierbeiträge aufgehoben hat. Es war kein guter Entscheid, dass die Einkommens- und Vermögensgrenze aufgehoben wurde  und es erst ab 60 Hektaren eine Abstufung gibt. Hier ist eine Feinanpassung notwendig, damit die extremen Gewinner und Verlierer korrigiert werden. Ich habe hierzu letzten Dezember ein Postulat eingereicht, welches vom Bundesrat und Nationalrat bereits angenommen wurde. Ein Bericht dazu wurde in Aussicht gestellt. Ansonsten wird die berechtigte Kritik an diesem System nie aufhören.

Im Moment überschlagen sich die Meldungen zu Bär und Wolf.

Die grossen Verluste und der Mehraufwand der Tierhalter sowie die Finanzen, die dieses Projekt verschlingt, spielen bis heute beim Bafu und Bundesrat keine Rolle. Diesen Frühling haben die Risse wieder zugenommen. Ich habe in der Junisession eine Interpellation namens ‹Zunehmende Aufgabe von Sömmerungsflächen wegen Wolfspräsenz› eingereicht. In aller Deutlichkeit: Es darf nicht sein, dass Alpen wegen Grossraubtieren aufgegeben werden! Momentan sagen vor allem Schafälpler, ‹ich nehme dieses Risiko nicht mehr auf mich›. Für uns ist auch klar, dass der Aufwand für den Herdenschutz den Älplern voll abgegolten werden muss.

Was sind weitere Herausforderungen?

Der Milchpreis macht uns grosse Sorgen. Bleibt er längere Zeit so tief, werden immer mehr Talbetriebe im Berggebiet die Milchproduktion aufgeben.  Diese Betriebe sind in vielen Fällen vernetzt, zum Teil sind es die gleichen Familien, die auch noch z ärg gehen. Wenn die Talbetriebe finanziell nicht mehr durchkommen, dann ist auch die Sömmerung gefährdet. Dann haben wir zunehmend weniger Milchkühe auf unseren Alpen, es wird weniger Käse und andere Spezialitäten produziert. Viele Milchwirtschaftsbetriebe im Berggebiet betreiben auch begeistert Viehzucht. Wenn die Milchproduktion zunehmend nicht mehr möglich ist, geht auch dieser Bereich verloren.

Wen sehen Sie denn in der Pflicht? Die Politik, die Verarbeiter oder die Grossbetriebe, die zuviel melken?

Man müsste eine Mengensteuerung wieder thematisieren. Aktuell haben wir die Situation, dass die einen aufhören, weil es sich nicht mehr rechnet, andere aber stocken auf. Aber auch diese kommen immer mehr an den Punkt, wo Aufwand und Ertrag nicht mehr übereinstimmen. Ausserdem müsste die Lieferung von B- und C-Milch freiwillig sein. Auf Bundesratsebene ist aber aktuell kein Wille da, uns zu helfen. Da kommen zwar sympathische Formulierungen, die der Branche aber überhaupt nicht helfen. Wir müssen dranbleiben und Druck entwickeln.

Wo gibt es sonst noch Handlungsbedarf?

Der Zahlungsrahmen für die Landwirtschaft muss stabil 
bleiben. Ein weiteres wichtiges Thema sind die Kurzzeitalpen. Diese sollen im Direkt
zahlungssystem benachteiligt werden, das ist unakzeptabel.

Der letzte Alpsommer war sehr trocken. Heuer wollte es nun nicht aufhören zu regen.

Die Herausforderung für die Alpwirtschaft nimmt mit diesen extremen Naturgefahren (Krankheit, Unfall, genügend Futter) zu. Ich danke allen Älper(innen) für ihren grossen Einsatz. Ihr seid uns sehr wichtig, eure Produktevielfalt hat einen grossen Stellenwert. Ich wünsche euch einen guten Sommer.  

Interview Jeanne Woodtli