Ich bin einfach kein Morgenmensch. Eigentlich müsste ich mit meinem Schlafrhythmus nachts in einer Bar arbeiten. Wer jedoch als Morgenmuffel Landwirt wird, muss sein Leben lang gegen seine Überzeugung frühmorgens den Körper aus dem Bett zwingen. Heute wird das Ganze verschärft durch die schlaflose Nacht. An die Geräusche im alten Holzhaus, wenn ein Sturm die Balken knarren lässt, werde ich mich nie gewöhnen. So halte ich bei jedem Windstoss den Atem an, als könne ich damit das Dach festhalten. Mit dem Resultat, dass mein Hirn heute noch nicht wach ist, als ich mein Kind an den Bahnhof fahre.

Männer lügen öfter

Und dann erzählen die im Radio, dass wir künftig weniger zum Arzt gehen und stattdessen Instrumente bekommen, um uns selbst zu untersuchen. Und nein, die meinen damit kein Fieberthermometer. Einen Augenblick zweifle ich daran, dass ich es tatsächlich aus dem Bett geschafft habe und nicht träume. Aber dann erzählt eine Psychologin, dass wir täglich duzende Male lügen, und zwar die Männer öfter als die Frauen. Aha, willkommen in der Realität. Gut, da kommen wir schon wieder zu den Krankenkassenprämien und müssen zugeben, dass es für den Mann einfach gesünder ist, zu lügen, wenn Frau fragt: «Schaaatzi, denkst du, dass ich zugenommen habe?» – «Stell dich auf die Kälberwaage, dann weisst du es», und «Ich habe in letzter Zeit nicht auf dein Aussehen geachtet», wären die falschen Antworten.

Die Wahrheit ist kompliziert

Gut, so gesehen machen dann die Selbstuntersuchungsinstrumente Sinn. Denn wo lügen wir öfter, als bei der Frage, wie es uns geht? Wie oft haben wir bei dieser Frage überhaupt die Wahrheit gesagt? Beim Arzt tut uns urplötzlich alles weh und bei Freunden ist es umgekehrt, da geht es uns immer gut – sagen wir. Weil die Wahrheit zu kompliziert wäre und man nicht lamentieren mag. Am Besten schaut man nicht zu genau hin und fragt sich, wie es einem wirklich geht. So ein Nordpolforscher hat sich gar selbst den Blinddarm rausoperiert. Also alles eine Frage des Willens.

Dialog zwischen den Kühen

Nachdem wir in den Läden selbst unseren Einkauf eintippen und die Leistungsausweise unserer Kühe selber ausfüllen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir auch unser Burnout selbst heilen. Aufpassen müssen wir nur, dass wir nicht etwa aus Versehen uns selbst belügen. Es drohen ja auch noch die grossen Lügen. Zweimal die Frau und viermal der Mann tischen im Verlaufe des Tages irgendwem eine dicke Lugi auf. Die Frau stellt aber auch immer so doofe Fragen: «Schaatzii, liebst du mich?» – «Wie am ersten Tag» und «Halt mal den Schwanz vom Blüemli, die schwanzt mir immer ins Gesicht», sind dann passende Antworten, die zwar nicht wahr sind, aber gesund. Wer genau damit belogen ist, dürfte von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Woran man eine Lüge erkennt, höre ich dann leider nicht, weil der Wind mein Radio just in dem Moment rauschen lässt. Aber lassen wir uns nicht gerne belügen, weil es weniger weh tut? Was ich dann wieder höre, sind die beiden, die über ihre Lieblingsstellung reden. Während sie zackig verkündet, sie sei am liebsten oben und der Chef, denke ich, so wie du tönst, macht eh keiner freiwillig mit. Der Gatte, gut belogen, meint: Er möge zwar 69 fast lieber, aber Hauptsache die Frau sei glücklich. Der hat den Beitrag mit den steigenden Krankenkassenprämien also auch gehört. Oder ist Sex wirklich die einzig ehrliche Sache auf der Welt? Vermutlich schon. Zumindest, wenn wir danach nicht darüber reden.