«Für mich ist es eine Frage der Würde eines Lebewesens, aber auch eine Frage des Anstandes.» Deswegen, so die Aargauer grüne Nationalrätin Irène Kälin (31), verlange sie mit ihrer Motion das Enthornungsverbot für Ziegen. Die Islamwissenschaftlerin mit Master-Abschluss und hauptberuflich Präsidentin des kantonalen Arbeitnehmer(innen)-Dachverbandes «Arbeit Aargau», verlangt vom Bundesrat eine Änderung der zutreffenden Verordnung des Tierschutzgesetzes. Diese erlaubt heute ein Enthornen ausdrücklich. Die Anwältinnen der «Stiftung Tier im Recht» sehen im Ausbrennen der Hornansätze «eine krasse Verletzung der Grundsätze des Tierschutzgesetzes.»

Unfallgefahr bei Ziegen geringer

Wie schon bei den Debatten zur Hornkuh-Initiative wird auch bei den Ziegenhörnern von vielen Haltern die Unfallgefahr ins Feld geführt. Irène Kälin relativiert und sagt, es sei wissenschaftlich belegt, dass die Unfallgefahr bei Ziegen wesentlich kleiner ist als bei behornten Kühen. «Es gibt sogar eher Unfälle mit enthornten, als bei behornten Ziegen.»

In der Tat sind im Vergleich zu den Kuhhörnern die Fakten viel eindeutiger. Beispiel Rangkämpfe. Ziegen stellen sich dabei auf die Hinterbeine, lassen sich nach vorne fallen und prallen mit den Köpfen aufeinander. Die Hörner fangen den Aufprall ab.

Dazu Susanne Waiblinger, Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der veterinärmedizinischen Universität Wien: «Wenn Ziegen keine Hörner haben, das zeigten unsere Untersuchungen, gibt es mehr Verletzungen als bei behornten Ziegen – vor allem im Stirnbereich. Die Köpfe sind nicht dazu gemacht, häufig aufeinander zu prallen.» Deshalb, so die Fachtierärztin für Tierhaltung und Tierschutz und für Verhaltensforschung, sei eine Enthornung bei Ziegen abzulehnen.

Enthornung besonders bei Zicklein belastend

Bei Zicklein sei der Eingriff viel belastender als bei Kälbern, sagt Waiblinger. Ziegenschädel seien nämlich sehr dünn, die Hornknospen im Verhältnis zum Kopf sehr gross. Beim Ausbrennen mit dem rund 600 Grad heissen Thermokauter komme man deshalb schnell einmal auf den Knochen bis ins Gehirn. Das könne tödlich enden. Der Schweizer Tierschutz STS fordert deshalb seit Jahren ein Ziegen-Enthornungsverbot.

Selber enthornen und Ziegen quälen

Wenn sie einen vorgeschriebenen Enthornungskurs besucht haben, dürfen Ziegenhaltende heute selber enthornen. Unter der Leitung von Claudia Spadavecchia, Professorin für Veterinäranästhesiologie und Schmerztherapie an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, untersuchte ein Team der Universität Bern im Jahr 2018 die Enthornungspraxis in der Ziegenhaltung. Das Resultat ist erschreckend: Mehr als ein Drittel der Tiere war nicht angemessen betäubt. Ein Grossteil zeigte Schmerz-Reaktionen. Zudem verwendeten die meisten Halter nicht die empfohlene Standard-Anästhesiemischung.

Ziegenverband will kein Enthornungsverbot

Der Schweizerische Ziegenzuchtverband (Szzv) mag sich trotz all diesen Argumenten nicht für ein Ziegenenthornungs-Verbot einsetzen. Der Szzv-Präsident, der Bündner Stefan Geissmann – er vertritt rund 2600 Halterinnen und Halter –, meint: «Die Sache ist komplex und man kann sie nicht in wenigen Worten erklären.» Im Gespräch wird aber klar, dass dem Szzv ein Verbot nicht gefallen würde. «Der Szzv überlässt es den Haltern, ob sie behornte Ziegen halten wollen oder nicht», sagt Geissmann. Er versprich bezüglich der von der Uni Bern aufgedeckten Mängel bei der Enthornung: «Ganz klar, es muss besser werden.» Im Übrigen habe er unter seinen Mitgliedern noch nie von Todesfällen beim Ziegenenthornen gehört.

Irène Kälin setzt sich für die Tiere ein

Kürzlich engagierte sich Irène Kälin politisch schon einmal gegen die Manipulation am Tier. Im November empfahl der Bundesrat ihre Motion für ein Verbot der Zitzenverschliessung bei Milchkühen. Es gibt Bauern, die ihre Tiere aus rein optischen Gründen mit qualvoll prallen Eutern zu Viehschauen bringen, die notabene vom Bund subventioniert sind. Um zu verhindern, dass Milch aus dem Euter tropft, werden verschiedene Manipulationstechniken angewendet. Jetzt hofft Irène Kälin, auch bei den Ziegenhörnern auf die Einsicht von Bundesrat und Parlament.

Peter Jaeggi