Meine Älplerkarriere: Ein Sommer als Zusenn und den nächsten auf der gleichen Alp als Hirt. Anschliessend verbrachte ich einen Sommer auf einer anderen Milchkuhalp als Hirt. Und dieses Jahr bin ich den sechsten Sommer auf der Jungviehalp Gadenstett/Farur. Diese ist zweistafflig mit rund 140 Tieren. Das Untersäss Gadenstett ist im Frühling etwa vom 25. Mai für rund fünf Wochen, im Herbst zirka vom 25. September nochmals für etwa fünf Wochen bestos­sen. Es liegt im Schanfigg auf zirka 950 bis 1250 m ü. M. Das Obersäss Farur liegt am Rande des Skigebiets Tschiertschen (Gürgaletsch/Chliin Gürgaletsch) auf zirka 2000 bis 2440 m ü. M. 

Überall gibt es Vorschriften

Meine berufliche Karriere startete ich als Automechaniker, die Einstellung voller Konsum, ­Leistung, Glitzer und Geld. Mittlerweile habe ich in einigen Branchen in verschiedenen Funktionen und Positionen mein Geld verdient. Der erfolgreiche Abschluss zum Landwirt im 2020 hat mich besonders stolz gemacht, da meine letzte Lehrabschlussprüfung rund 18 Jahre her war. Diese Erfahrungen haben meine Einstellung verändert – in meinen Augen zum «Guten». Aktuell ist der Wolf ein Thema und meine Gedanken widmen sich momentan der Entwicklung der Alp-«Wirtschaft». 

Dabei geht es vor allem um Wirtschaft. Glamour und Glitzer tausche ich gegen die tägliche Hoffnung, dass die Torgriffe geschlossen sind. So hat sich meiner Meinung nach die Menschheit entwickelt. Wirtschaftlich soll es sein. Vorschriften, Weisungen, Sicherheitsvorkehrungen, Vereinfachung und dabei noch Bio. Biodiesel, Biomotorenöl, Biosalat, Biohonig. Nichts gegen Bio, aber lieber ein Stück Fleisch von meinen eigenen «Nicht-Bio-Ziegen», als ein sogenanntes Bioprodukt, mit Biozutaten aus Südamerika. Mein Bio ist lokal, egal welches Bundes- oder Coop-Label. 

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Man ist selbst mittendrin im System

Meine Sicherheitsvorkehrungen sind Torgriffe gegen Draht tauschen, Türen von Hütte, WC und Stall schliessen. Denn wenn ich unterwegs beim Vieh bin und beobachte, wie Freizeit-Berggänger sich rund um die Hütte einrichten, Tische versetzen, die Grillstelle benutzen und sogar noch die Frechheit haben, zu schauen, ob denn die Hüttentür vielleicht doch nicht abgeschlossen ist, frage ich mich ernsthaft, wo das hinführt. Klar, es ist nicht immer so. Aber x Jahre später sollte sich dies gebessert haben. So die Hoffnung. Leider nein. Bin ich denn der Einzige, der sich wertschätzender entwickelt hat? Klar, bin ich nicht. 

Trotzdem plagt mich der Widerspruch zwischen etwa der Doku «Das System Milch» und der Tatsache, dass der Konsument weiter lieber mehr Geld für Freizeit als für «Lebensmittel» ausgibt und sich gleichzeitig auch Bauern dem System ausliefern. Ja klar, ich stecke auch mittendrin, im System. Bin ja auch nur ein Angestellter, im System. Ich mache diese Arbeit aber eigentlich sehr gerne und behaupte, dass sie sehr wertvoll ist. Aber das ist Definitionssache. Jemand, der seinen Job als Autoverkäufer kündigt, weil er nicht mehr mitansehen kann, dass ständig neue Autos gekauft werden, obwohl es eigentlich mehr als genug fahrtaugliche Fahrzeuge gibt, der entwickelt sich meiner Meinung nach wertschätzender. Nun macht er allerlei «sinnvolle» Gartenarbeiten. Dahin sollte sich doch die Menschheit entwickeln. Den Willen, die geschenkte Natur zu schützen, einzig lebensechte Sachen machen. Aber dies wird eben schlecht bezahlt, ist nicht lukrativ. Und dazu körperlich (zu) anstrengend. Ich finde, es kann nicht sein, dass in der Schweiz (nur) vier Prozent produzieren und 96 Prozent nur fressen. Und von dem, was vier Prozent produzieren, ist ein Drittel nicht «in einer Norm». Und von den verkauften 60 Prozent wird die Hälfte wiederum weggeworfen. Ja, wo führt das hin?

Es geht nicht alles auf

Noch etwas zum Wolf: Wenn ich meine eigenen Ziegen, die ich zur Fleisch- und Milchproduktion halte, mittlerweile (auch aus Freude an Hunden) mit Herdenschutzhunden, am Rande eines Feriendorfes einzäune, um Landschaft zu pflegen, ist der Erste, der wegen des bellenden Hunds reklamiert, derjenige, der zum Beispiel in Zürich in der neuen Villa wohnt (wegen dem der langjährig ansitzende Nachbars-Schweinebauer den ganzen Betrieb umziehen musste, weil es «stinkt») und pro Wolf abgestimmt hat. Wo führt das hin?

Liebe Leser und Leserinnen, mir ist bewusst, das war viel Negatives, die Aufzählungen sind fast unendlich. Ich bin sehr glücklich auf der Alp. Das «Hier und Jetzt» gefällt mir sehr. Mit der Natur sein.

Tim Gnos hat den sechsten Sommer auf der Jungviehalp Gadenstett/Farur im bündnerischen Schanfigg verbracht.