Seit Jahren ist der Stadt-Land-Graben ein regelmässig bemühtes Thema in den politischen Diskussionen in der Schweiz. Vor allem Abstimmungs- und Wahlergebnisse werden häufig damit erklärt, dass die Bevölkerung auf dem Land eben anders ticke als die Menschen in der Stadt. Und in den letzten beiden Jahren hat sich gezeigt: Stadt und Land scheinen in vielen Fragen tatsächlich zunehmend auseinanderzudriften.

Politisch Kapital aus dem Graben schlagen?

Wie nicht anders zu erwarten, wird diese Tendenz von diversen Politiker(innen) als brachliegendes politisches Potenzial erkannt. In seiner Rede zum 1. August 2021 beschwor etwa der SVP-Präsident Marco Chiesa die Unterschiede zwischen der «freien Schweiz» auf dem Land und den «wohlstandsverwahrlosten linken Städten» herauf. Seine Partei widmet dem Graben gar ein eigenes Positionspapier.

Einmal abgesehen vom verwendeten Vokabular aus der alleruntersten Schublade, für das man sich in der Öffentlichkeit vor noch nicht allzu langer Zeit (zu Recht) hätte schämen müssen, ist das Heraufbeschwören und stetige Anheizen gesellschaftlicher Gräben nicht eben hilfreich. Die Verhältnisse sind schliesslich weitaus komplexer, als sie Chiesa in seiner Rede und die SVP in ihrem Positionspapier darstellen. Die Welt lässt sich selten einfach so in «Hüben und Drüben» einteilen. Aber eben: Viel Drama und viel Lärm könnten ja viele wütende Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bringen. «Hässig gepoltert» und laut «getäubelet» ist für manche halt schon halb politisiert.

Mehr Einigkeit statt Spaltung!

Ein Blick in die USA zeigt, wohin sich gespaltene Gesellschaften mit verhärteten Fronten und tiefen Gräben bewegen. Ist das die Richtung, in die wir hierzulande gehen wollen? Aus meiner Sicht keine gute Idee. Nicht umsonst legte schon Schiller in seinem «Wilhelm Tell» den Gründungsvätern der Eidgenossenschaft den bekannten Spruch «Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr» in die Münder.