Wer im Nationalen Sportzentrum Magglingen trainiert, hat eine grandiose Aussicht auf den glitzernden Bielersee. Dieses Glück hat bisweilen auch Michael Ledermann: Am Montag traf die BauernZeitung ihn dort zum Interview. Der 24-jährige Eidgenosse verbringt gerade seinen Sport-WK an diesem schönen Ort.
Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben?
Ledermann Michael: Äuä als lebhaft … und sehr schön. Ich war eine kleine Wildsau. Wir haben gestern gerade darüber diskutiert, was ich jeweils alles angestellt habe. Meine Eltern haben mir von ein paar Momenten erzählt, in denen sie mir aus der Patsche helfen mussten, weil ich beim Heustock irgendwo heruntergefallen war und nicht mehr herauskam. Ich meinte dann, das seien nur jene Gelegenheiten gewesen, in denen sie mir helfen mussten – es habe aber noch viel mehr solche Fälle gegeben, in denen ich mich selbst befreien konnte.
Was haben Ihre Eltern für einen Hof?
Einen Milchwirtschaftsbetrieb mit 50 Kühen im Anbindestall und etwas Ackerbau. Wir produzieren hauptsächlich Futtergetreide, dazu kommt noch eine Hektare Brotweizen.
Sie haben Landwirt gelernt und sich zum Agrotechniker weitergebildet. Warum?
Landwirt zu lernen, war vom elterlichen Betrieb her naheliegend. Für die Weiterbildung zum Agrotechniker habe ich mich entschieden, weil ich das Gefühl habe, dass die Landwirtschaft in Zukunft sicher nicht einfacher werden wird. Für mich ist diese Ausbildung eine Möglichkeit, mich möglichst gut auf diese Zukunft vorzubereiten.
«Mein Umfeld muss oft hinten anstehen.»
Michael Ledermann ist seiner Familie, Freundin und Freunden dankbar für deren Verständnis.
Sie arbeiten als Stv. Standortleiter in einer Landi. Was gefällt Ihnen daran?
Die Zusammenarbeit mit den Bauern ist cool, wir haben ein super Team, die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, jeder Tag ist anders. Das Gesamtpaket macht es aus.
Eines Tages hat Sie Ihr Onkel als Kind mit in den Schwingkeller genommen. Was ist dann passiert?
Mein Onkel war ein erfolgreicher Kranzschwinger und hat auch beim Schwingclub Schwarzenburg geschwungen. Weil ich ein etwas lebhafter Giu war, meinte er irgendwann: «Chumm, ich nehme dich mal mit zum Schwingen.» Das hat mir so gut gefallen, dass ich fand, ich wolle dort immer hin – etwas zum Leidwesen meiner Mutter, denn es gibt Praktischeres als Sägemehlwäsche (lacht). 2008 habe ich mit sieben Jahren die ersten Trainings absolviert und das erste Fest dann mit acht Jahren.
Was macht den Schwingsport für Sie aus?
Das Schwingen ist mir nie verleidet. Der Kampf Mann gegen Mann im Sägemehl, die Tradition, die Werte des Schwingens. Das Bodenständige, das Faire – dass man sich die Hand reicht und den Rücken abwischt.
Zur Person
Der Landwirt und Agrotechniker (24) aus Mamishaus BE konnte bislang 33 Kränze gewinnen, davon einen eidgenössischen am ESAF 2022 in Pratteln BL. Er schwingt beim Schwingclub Schwarzenburg.
Offensichtlich wollten Sie aber nicht immer voll auf den Sport setzen. Das kam später?
Das stimmt. Während der Lehre lagen meine Prioritäten eher auf dem Beruf. Ich ging ins Welschland, um noch besser Französisch zu lernen. Nebenbei habe ich trainiert. Nun haben sich die Prioritäten eher zum Sport hinverschoben.
Sie sind für Ihren unkonventionellen Schwingstil bekannt. Wie hat sich dieser entwickelt?
Ich war immer gross, aber eher leicht – oder schlaksig. Die Grossen, Starken haben mich dann eher in der Luft herumgewirbelt. Also musste ich Lösungen finden, wie ich nicht gleich auf den Rücken falle oder es dem Gegner unbequem machen konnte. So kam ich etwas in die Flanke herein, liess den Griff los, damit sie mich nicht gleich hochheben konnten – oder wenn doch, dass ich das zu meinem Vorteil nutzen konnte. So entstand das.
Mit 193 cm Körpergrösse und 104 kg auf der Waage würde man Sie heute nicht mehr als schlaksig bezeichnen. Wie haben Sie es zur gängigen Schwingerstatur geschafft?
Eine Rolle spielt sicher die gute Küche meiner Mutter und von anderen Personen in meinem Umfeld (lacht). Nach dem Militär und während der Corona-Zeit war ich bei einer Ernährungsberaterin. Sie meinte, ich würde es schon gut machen, müsse aber einfach noch dreimal so viel essen. Ganz dreimal so viel habe ich vielleicht nicht geschafft, aber im Laufe der Jahre kamen doch einige Kilo dazu.
Ihr Lieblingsschwung ist der Äussere Haken – warum?
Das ist auch so ein Schwung aus der Flanke. Mit diesem Schwung durfte ich die ersten Kränze gewinnen. Mittlerweile gelingt er mir etwas weniger, aber ich mache ihn trotzdem noch gerne. Es ist ein eher spezieller, seltener Schwung, der nicht gleich von jedem Gegner erwartet wird.
«Pfiffe gehören nicht zum Schwingsport.»
Michael Ledermann findet, Kampfrichterentscheide sollten akzeptiert werden.
Woran arbeiten Sie im Schwingen?
Ich könnte noch an sehr vielem arbeiten. Ich habe versucht, auch die gewöhnlicheren Schwünge etwas mehr zu probieren – letztes Jahr ist es mir anfangs nicht so gut gelungen, aber ich bleibe dran. Ich habe gemerkt, dass ich die Standschwünge auf meine Art machen muss. Ein anderer würde vielleicht sagen, so geht es nicht – aber für mich eben schon. Das Ziel ist, immer etwas unberechenbar zu bleiben für den Gegner.
Stört es Sie, dass das Publikum über Kampfrichterentscheide urteilt?
Ja, schon. Wenn man selbst noch voll Adrenalin ist, kann es natürlich sein, dass man fünf Sekunden lang zweifelt oder es anders sieht. Ein andermal ist man froh, dass es zu den eigenen Gunsten ist. In Schwingerkreisen gilt das Credo, dass man diese Entscheide akzeptiert. Im Lauf einer Karriere wird es sich sowieso immer ausgleichen. Schwingen ist ein fairer Sport, Pfiffe gehören nicht zu uns.
Wie gross ist das Konkurrenzverhalten mit Staudenmann Fabian und Walther Adrian?
Wir haben es sehr gut; sie sind gute Kollegen von mir. Sie sind auch Vorbilder und Gradmesser für mich. Sie stehen sich öfter mal im Schlussgang gegenüber, ich habe eher im Training die Möglichkeit, von ihnen zu profitieren. Wenn ich es schaffe, etwas an ihnen zu rütteln oder sie ins Wanken zu bringen, macht das richtig Freude, und ich merke, dass es gar nicht so schlecht läuft (lacht).
Was sind Ihre Ziele für die kommende Saison und vor allem fürs ESAF?
Es wäre cool, wenn ich etwas vorne mitmischen und die neu gelernten Schwünge anwenden könnte. Und schön wäre es natürlich, wenn ich gesund bleiben dürfte.
Wie wichtig ist die Unterstützung aus dem Umfeld?
Sehr wichtig. Wenn alles in der Familie stimmt und alle hinter dir stehen, sind immer noch ein paar Prozent mehr möglich. Meine Familie, meine Freundin und meine Freunde müssen auf viel verzichten und oft hinten anstehen, weil ich wenig Zeit habe. Umso dankbarer bin ich für ihre Unterstützung. Es ist immer schön, wenn ich sie irgendwo im Publikum sitzen sehe oder weiss, dass sie zu Hause mitfiebern.
Wie sieht die Zukunft aus? Übernehmen Sie den elterlichen Betrieb und Schwingen daneben weiter?
Das ist sicher eine Frage, die wir demnächst zu Hause klären müssen, aber mit der Ausbildung sieht es eigentlich schon danach aus. Was, wie, wo und wann ist aber noch offen.
Kurz gefragt
Wenn Sie Besuch haben, was gibt es zu essen?
Da ich kein besonders guter Koch bin, lade ich den Besuch aufs Dessert ein – und es gibt Güetzi.
Worüber haben Sie sich zuletzt geärgert?
Ich habe Socken falsch zusammengelegt, und dann haben sie nicht zueinander gepasst.
Und worüber gefreut?
Dass mir Berger Löru heute den Kaffee bezahlt hat.
Was ist Ihre Lieblings-Kuhrasse?
Holstein. Ich bin damit aufgewachsen, und es ist eine gute Milchkuh.
Und welches die liebste Traktorenmarke?
Das spielt mir weniger eine Rolle, aber auch das, was wir zu Hause haben: Massey Ferguson.
Mit wem, tot oder lebend, würden Sie gerne mal essen gehen?
Mit Roger Federer.
Liebstes Reiseziel?
Da gibt es zu viele, um nur eins zu nennen.
Was wünschen Sie der Schweizer Landwirtschaft für ihre Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir auf einem guten, gesunden Weg bleiben und dass die Arbeit für den produzierenden Landwirt nicht erschwert wird. Es wäre schön, wenn man sich auch etwas auf die Produktion konzentrieren könnte. Für mich ist Landwirt der wichtigste und schönste Job, den es gibt. Wenn wir alle Hunger haben, funktioniert nichts mehr.
Was ist Ihnen beim Einkaufen und Kochen wichtig?
Selbst einkaufen oder kochen muss ich selten. Bei uns gibt es oft «Versicherungsfleisch». Mein Onkel ist Metzger, also ist klar, dass es Schweizer Fleisch gibt. Ausserdem mag ich IP-Suisse-Produkte. Unser Hof trägt das Label, und IP-Suisse unterstützt mich auch beim Sport. In der Landi haben wir eine Ecke mit Regionalprodukten – da greife ich gerne zu.
Wie feiern Sie Weihnachten?
Ganz klassisch, mit der Familie. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es auf der einen Seite Geschnetzeltes und auf der anderen Seite Pastetli.