«Das Beste an meiner Küche ist die Aussicht zum Stall», sagt Selina Schwager. Auch wenn die 36-jährige Agronomin gerne kocht und bäckt, ist es für sie ideal, den Stall und die Tiere im Auge zu haben. Schliesslich hat sie als zuständige Betriebsleiterin die Verantwortung für die rund 50 Aufzuchtrinder, das halbe Dutzend schottische Hochlandrinder und die paar Black Angus-Rinder, die alle im neu erstellten, grossen und modernen Stall stehen.
Schottische Hochlandrinder als Hochzeitsgeschenk
Die Aufzuchtrinder, die während eineinhalb Jahren bei ihnen sind, gehören ihrem Schwager, der in Wängi einen Betrieb führt. Die schottischen Hochlandrinder wurden ihnen von Freunden zur Hochzeit geschenkt. Auch wenn sie ihnen viel Freude machen und die steilsten Weiden sauber abweiden, soll die kleine Herde nicht vergrössert werden. Auch die wenigen Weidebeefs, die sie zur Fleischproduktion halten und das Fleisch ab Hof in Mischpaketen verkaufen, seien im Moment genug Arbeit, erzählt die Bäuerin.
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Ihr Mann Marcel Schwager arbeitet im Aussendienst und in der Geschäftsleitung eines Betriebes für landwirtschaftliche Dienstleistungen. Nicht fehlen dürfen im Stall die Pferde. Zum einen, das sie bereits mitgebracht hat, gesellte sich in der Zwischenzeit ein Pony für die Kinder, und schliesslich kam auch noch ein Pensionspferd dazu.
Von der Landwirtschaft angetan
Selina Schwager wuchs in Menziken (Aargau) auf, aber nicht auf einem Bauernhof, wie sie präzisiert. Sie sei ein Rösselermädchen gewesen. «Ich bin schon früh geritten, mehrmals war ich im Landdienst und wollte ursprünglich Bereiterin werden.» Ihre Eltern waren dagegen.
So begann sie die Diplommittelschule, die sie ein halbes Jahr später schmiss. Erst dann reifte die Idee, Landwirtin zu werden. Bezüglich dieses neuen Berufswunsches standen die Eltern hinter ihr und so absolvierte sie die beiden Lehrjahre auf verschiedenen Betrieben und schloss die Ausbildung mit der Jahresschule ab. Nach der Berufsmaturität begann sie in Zollikofen (Bern) Agronomie mit der Fachrichtung Nutztiere zu studieren.
Sie unterbrach das Studium, arbeitete auf einer Farm in Kanada und reiste später nach Australien, wo sie in einer mobilen Pizzeria aushalf. Zurück in der Schweiz beendete sie ihr Studium erfolgreich. Anschliessend arbeitete sie beim Bauernverband Aargau. In dieser Zeit lernte sie ihren späteren Mann, der mit ihr zusammen in Zollikofen studierte, näher kennen und war auch bereit, zu ihm in die Ostschweiz zu ziehen.
Klassischer Nebenerwerbsbetrieb
Der 16 Hektaren grosse Betrieb liegt in der Bergzone I auf 800 Metern über Meer und ungefähr 4,5 Kilometer oberhalb von Dussnang (Thurgau) und gehörte den Schwiegereltern. Im Jahr 2017 brannte das alte Wohnhaus wegen eines elektrischen Defekts nieder und wurde schliesslich als Zweifamilienhaus neu errichtet.
Das junge Paar entschied sich 2020, den Betrieb aus der Familie zu übernehmen und ihn als klassischen Nebenerwerbs-Betrieb mit Rinderaufzucht zu betreiben. «Das war für mich ein Glücksfall», schildert die Agronomin. «Mein Mann arbeitet weiter auswärts und ich darf seither den Betrieb zu Hause führen.»
Luftiger Freilaufstall
Zugleich habe sie genügend Zeit für ihre beiden Töchter Linnea (4) und Flurina (2). Vor zwei Jahren wurde der alte Stall abgerissen und es entstand ein grosser, luftiger Freilaufstall, ausgestattet mit einem modernen Fütterungs- und Entmistungsroboter. «Auch auf unserem Hof gibt es immer Arbeit», sagt die Betriebsleiterin, «hingegen kann ich mir meine Arbeit dank Automatisierung flexibler einteilen und wenn ich am Morgen im Stall bin, ist mein Mann noch zu Hause und die Kinder schlafen noch». Während der Heuernte kann sich ihr Mann freinehmen und die Mäharbeit lassen sie sich von auswärts erledigen. Eine Besonderheit, für die sie sich entschieden haben, ist die Hoftötung: «Die Tiere haben keinen Stress beim Sterben und die Qualität des Fleisches ist dementsprechend hochwertig», erzählt sie begeistert.
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Der Skilift vor der Haustür
Heute wohnen ihre Eltern aus dem Aargau in der zweiten Wohnung des Hauses. Die junge Frau bezeichnet ihren Vater als verlorenen Bauernsohn. So sei ihnen beiden gedient. Ihr Vater dürfe sich in der Landwirtschaft betätigen, die Mutter übernehme hin und wieder die Kinder oder koche für alle. «Diese Hilfe ist sehr viel wert.» Deshalb fühle sie sich weniger angebunden, die Kinder dürfen auch mal bei den Grosseltern übernachten und es liegen regelmässig Ferien drin.
Einsam fühlt sie sich in der Abgeschiedenheit nicht. Die Frauen von den umliegenden Höfen und Häusern, die «Pirgler Frauen» wie auch die «Schurten Frauen» vom Weiler Schurten, führen Treffen durch, an denen sie gelegentlich teilnimmt. Zudem reitet sie ab und zu mit der Halterin des Pensionspferdes aus und geniesst diese kleine Auszeit sehr.
Auch der kleine Skilift, auf den sie von ihrem Stubenfenster aus blicken kann, ist eine schöne Abwechslung. Beim Skiliftverein Sitzberg macht das Paar aktiv mit und hilft dort, wo man sie braucht. Auf die Frage nach Zufriedenheit und Erfüllung strahlt Selina Schwager: «Ich bin glücklich, die Arbeit in der Natur, mit den Tieren und meiner Familie ist das, was ich mir immer wünschte.» Ihre beruflichen Tätigkeiten in einem Büro liegen weit weg. «Erst hier, inmitten dieser kleinen Welt, die wir gemeinsam gestalten, fühle ich mich geerdet und angekommen.»
Fünf Fragen
Was ist Ihr Lebensmotto?
Weniger ist mehr.
Welches Alltagsritual gehört für Sie dazu?
Vor dem Einschlafen drei schöne Dinge vom Tag aufschreiben.
Welche lebende oder tote Person würden Sie gerne einmal persönlich treffen?
Molly und John Chester von der Apricot Lane Farm («the biggest little farm»).
Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Ehrlichkeit, sich auf den anderen verlassen können, gemeinsam am selben Strick ziehen.
Wohin würden Sie gerne einmal reisen?
Im Winter in den hohen Norden, um die Nordlichter tanzen zu sehen.