Ein Suppenteller voller vorgequellter Flocken mit Früchtejoghurt und einem Apfel vom eigenen Hof, so sieht das Frühstück eines Spitzensportlers aus. Genaugenommen das Frühstück von Patrik Wägeli. Der 27-Jährige Meisterlandwirt hat sich vorgenommen, 2020 an den Olympischen Spielen in Tokyo für die Schweiz den Marathon zu laufen. Bereits der Weg dorthin erinnert an einen Marathon. Seine Tage sind voll durchgeplant mit Arbeit, Training und Erholung. Am Morgen des Interviewtermins steht er beispielsweise um fünf Uhr auf und fährt mit 80 Tonnen Kartoffeln zu einem Lagerhaus in Frauenfeld TG. Dort werden seine Knollen gelagert, um später in Bischofszell TG zu Rösti und Chips verarbeitet zu werden. Später wird er noch trainieren, dem Lehrling die Arbeiten erklären und sich mit einem Verpächter treffen. 

Vorne dabei sein, auf dem Acker und im Sport

Patrik Wägeli bewirtschaftet seit 2014 in Generationengemeinschaft mit seinen Eltern Thomas und Susanna Wägeli einen gemischten Betrieb in Nussbaumen TG: Milchwirtschaft, Ackerbau und Spezialkulturen; 45 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche insgesamt. Für den athletischen jungen Mann mit strohblondem Haar war von klein auf klar, dass er Landwirt werden wollte. «In diesem Beruf ist jeder Tag anders. Die Arbeit mit der Natur bringt Abwechslung und man muss ad-hoc-Lösungen parat haben», erzählt er mit Begeisterung. Bereits mit 24 Jahren absolvierte er die Meisterprüfung und stieg voll zu Hause ein. Besonders der Ackerbau gefällt ihm. Der Landwirt könnte sich vorstellen, sich darin zu spezialisieren, etwa mit Spezialkulturen, Gemüse oder Beeren. Im Traktor auf der Strasse unterwegs zu sein, macht ihm ebenfalls grossen Spass. Wie der heutige frühmorgendliche Kartoffeltransport oder bald mit den Zuckerrübenfuhren in die nahegelegene Fabrik in Frauenfeld. 

Wenn er von der Saatbeetbereitung und dem Ansäen spricht, gerät Wägeli fast ins Schwärmen. Er will den Boden optimal vorbereiten, die Sämaschine aufs Genauste einstellen und das Feld in schönen Furchen bestellen. «Denn nur so kann ich im Herbst Top-Erträge ernten», erklärt der Bauer leidenschaftlich. Er liebt es, sich in Superlativen auszudrücken. Damit er auf dem Acker vorne dabei sein kann, liest er Fachzeitschriften und tauscht sich mit Berufskollegen aus. Er besucht zudem gezielt Veranstaltungen, wie letzthin die Tagung der Junglandwirte zum überbetrieblichen Maschineneinsatz.

Auf der Weide stehen braune und schwarzweisse Kühe. Wägelis sind keine Züchterfamilie und kaufen Tiere zu. Weil gleichwertige Holsteinkühe manchmal bis zu 500 Franken weniger kosten als die Braunen, wurde die Herde mit der Zeit gemischt. Mit auf der Weide ist ein sehr zutraulicher Stier. Beim Eintreiben in den Stall tätschelt der Junior- Chef den Limousin-Bullen liebevoll auf den Hintern. 

Der Vater war ebenfalls Strassen- und OL-Läufer

«Zurzeit schlafe ich im Höhenzimmer», erwähnt Patrik Wägeli nebenbei. Ein Generator pumpt dünne Luft in sein Schlafzimmer. So wird eine Höhe von 2500 bis 3000 m ü. M. simuliert. Zur Unterstützung hat der Sportler einen Trainer, der mit ihm einen optimalen Trainingsplan zusammenstellt und bei dem er immer wieder Rücksprache nehmen kann. «Mein Glück ist, dass Dan Übersax ebenfalls seinen Background in der Landwirtschaft hat. So kennt er das Spannungsfeld bestens, in dem ich mich bewege.» Wägeli ist ambitioniert und fokussiert, hat aber trotzdem  Humor. Das zeigt sein Video, mit dem er Geld sammelt, beispielsweise für das Höhentraining in Kenia (Anm. der Red.: Zum Ende seiner Sammelaktion hat Wägeli 18 50 Franken zusammengekriegt, 15 00 waren geplant). «Für nächstes Jahr ist mein Ziel, nur noch 40 Prozent auf dem Hof zu arbeiten, um gezielt trainieren zu können.» 

Trainieren tut er nicht nur in seiner Thurgauer Heimat sondern auch  in Iten, einer Stadt im Hochland Kenias, 2400 m ü. M. Täglich treffen sich dort um 6 Uhr an der Tankstelle 50 bis 200 Kenianer, um zu trainieren. Mit dabei auch einige ambitionierte weisse Läufer wie der junge Schweizer. Diesen November und nächsten Januar wird er dort wieder mitlaufen. «Die Kenianer sind schnell, man merkt, dass sie lange Schulwege hatten und sich auch sonst viel bewegen. Bei Bauernkindern ist es ähnlich.» 

Zum Laufsport kam Patrik Wägeli durch den Vater. Dieser war Strassen- und OL-Läufer. Mit Orientierungslauf begann auch die Kariere des Sohns. Mehrmals schaffte er es in der Disziplin zum Junioren-Schweizermeister. Im Alter von zwölf Jahren fragte er Dan Übersax an, ob er ihn trainieren wolle. «Mir kommt zu Gute, dass sich mein Trainer zusammen mit mir weiterentwickelte. Er macht heute Beratungen im Bereich Bewegung, Ernährung und Sport.» Nach dem vermeintlichen Karierenende und dem Volleinstieg auf dem Hof fehlten dem Junglandwirt die Wettkämpfe. Wägeli absolvierte deshalb 2015 seinen ersten Marathon und lief mit einer Zeit von 2:27:46 Stunden ins Ziel. Nicht schlecht. «Da sagte ich mir, dass ich im Spitzensport nochmals Gas geben möchte.» 

Noch vier Jahre Spitzensport und viele Ideen für danach

Der Trainingsplan mit ein bis drei Trainings pro Tag läuft unabhängig von den Arbeiten auf dem Betrieb. Für seine Trainingsabwesenheiten organisiert Patrik Wägeli Stellvertretungen. Er kann dabei auf die Zusammenarbeit mit drei anderen Betriebsleitern aus der Region zählen. Bei der Auswahl der Lernenden achtet er darauf, dass diese eine gewisse Selbstständigkeit mitbringen, da er als Chef nicht immer anwesend sein kann. Der Betrieb ist ausserdem gut mechanisiert. «Meine Eltern und meine Freundin Anina Brühwiler  müssen zurzeit aber sehr flexibel sein und sich nach mir und meinem Training richten.» Gewisse Arbeiten sind momentan tabu: solche die viel Staub aufwirbeln und körperlich sehr anstrengend sind, wie zum Beispiel Stroh oder Heukleinballen laden. Für einen Läufer ist Wägeli mit seinen 69 Kilogramm für seine Grösse ungefähr vier Kilogramm zu schwer. «Das sind die zusätzlichen Muskeln aus der Landwirtschaft. Die trage ich mit mir herum, ohne dass sie mir beim Laufen viel helfen. Dafür bin ich wegen diesen Extramuskeln besser gegen Verletzungen geschützt», sagt der laufende Bauer.

Hat ein Patrik Wägeli auch einmal Freizeit, in der er ausgeht und Freunde trifft, wie andere in seinem Alter auch? Der Athlet meint breit grinsend: «Nach einem Marathon, also ein- bis dreimal jährlich, kann ich gut zwei Wochen nichts machen. Dann nehme ich zwei bis drei Kilogramm zu, und in den Ausgang gehe ich dann auch.» Wägeli ist sich bewusst, dass er das hohe Niveau mit Sport und Betrieb vielleicht noch vier Jahre durchziehen kann. Danach wird er den Zenit als Sportler überschritten haben, und der Vater wird pensioniert. An Ideen für die Zeit danach mangelt es ihm nicht. Im Laufsport könnte er sich vorstellen, andere zu trainieren. Auf dem Hof hätte er Zeit, endlich die vielen Ideen zu verwirklichen, die er gegenwärtig etwas zurückstellt. Auch seine Marke «Fastest Farmer» (schnellster Bauer), die dann hoffentlich bekannt ist, will er behalten: «Wie cool ist denn das, wenn man Produkte vom Fastest Farmer kaufen kann», meint Wägeli, und schon ist er weg, nächster Programmpunkt: das Mittagessen.

Esther Thalmann

Persönlich Patrik Wägeli

Geburtsdatum: 1. Januar 1991

Grösse: 1,78 m

Gewicht: 69 kg

Beziehungsstatus: liiert mit Anina Brühwiler

Traktorenmarke: Deutz-Fahr

Ausrüstung und Schuhe: New Balance

Materialverschleiss: 10 bis 12 Paar Laufschuhe pro Jahr

Zurückgelegte Kilometer: zirka 6500 Laufkilometer pro Jahr

Schnellste Zeit im Marathon: 2:17:02 Stunden am Frankfurter Marathon 2017. Dies bedeutete die Qualifikation für die Leichtathletik-EM 2018 in Berlin, wo er 43. wurde.

Betriebsspiegel der Familie Wägeli

Patrik und Thomas Wägeli, Generationengemeinschaft, Nussbaumen TG

Landwirtschaftliche Nutzfläche: 45 ha

Kulturen: 30 ha Ackerbau (Tabak, Kartoffeln, Zuckerrüben, Raps, Winterweizen, Wintergerste, Körnermais, Silomais) sowie 15 ha Wiesland und 126 Hochstammbäume für Mostobst

Tierbestand: 24 Kühe, 20 Mastkälber, 5 Pferde

Arbeitskräfte: Susanna Wägeli, ein Lehrling und drei polnische Saisonmitarbeiter, diese werden zusammen mit einem Kartoffel- und Beerenproduzenten jeweils von Mai bis Oktober angestellt

Ausserdem: Überbetrieblicher Maschineneinsatz mit Cousin und weiteren Betrieben, 5 ha Wald