Das Edelweiss wächst in hohen Lagen auf kargen Böden in rauem Klima und ist einer grossen UV-Strahlung ausgesetzt. Unter diesen Bedingungen synthetisiert die seltene Blume wie andere Alpenpflanzen besondere Substanzen, die für die Kosmetik-, Pharma-, Heilpflanzen- und Nahrungsmittelbranche interessant sind.

Bereits im 19. Jahrhundert wurde das Edelweiss in der Volksmedizin gegen Bauchweh, Halsschmerzen, Bronchitis, Durchfall und Ruhr verwendet. Schliesslich erforschte die Wissenschaft das Innenleben der "Königin der Alpenblumen" und fand Wirkstoffe wie Phenolsäuren, Lignane, Flavonoide, Sesquiterpene, Cumarine, Benzofuran, Benzopyran, Polyethine und Diterpensäuren.

Dem Edelweiss werden antibakterielle und entzündungshemmende Eigenschaften zugeordnet. Glucoside, Bisabolan-Derivate und Tannine sowie starke antioxidative und radikalfangende Eigenschaften rückten die mythische Blume bei der Kosmetikindustrie als Hautpflege- und Sonnenschutzmittel in den Fokus.

Schweizer Forschung domestiziert das Edelweiss

Als wildes Vorkommen in den Alpen ist die "berühmteste Blume der Welt" streng geschützt. Anfang der 1990er Jahre gelang es jedoch Agroscope Changins-Wädenswil ACW in Conthey (VS) das Edelweiss unter dem Sortennamen "Helvetia" zu domestizieren. Die Nutzpflanze ist der Wildform morphologisch treu geblieben und liefert einen angemessenen Trockensubstanzertrag. Die ersten Edelweiss-Kulturen sind in den Walliser Bergen von einer Bauerngenossenschaft angelegt worden, inzwischen gibt es auch Kulturen im Bündnerland.


Pflanzbetrieb, Verarbeiterin und Vermarkterin unter einem Dach ist die Drogaria Surses in Savognin, die zu den Pionierinnen der Edelweiss-Nutzung gehört. Mit den Kosmetik-Produkten sei man gut im Geschäft, sagt Drogaria-Chef Patrick Thurner. Zu dieser Linie gehören Crèmen für Körper, Hände und Füsse, Feuchtigkeitsmasken, Kälteschutz sowie Produkte für die Gesichtspflege, Hautlotion, Dusch- und Badegel. Aber auch Schaum- und Ölbäder sowie Massageöl seien gefragt. "Wahrscheinlich als weltweit einziges Unternehmen stellen wir auch einen Edelweiss-Schnaps her. Er wird nicht gebrannt, sondern eingelegt", sagt Thurner mit hörbarem Stolz.

Zu den Abnehmern von Edelweiss-Produkten gehören private Kunden, die direkt im Ladengeschäft einkaufen oder über die Homepage bestellen. Ferner gibt es den Zwischenhandel über andere Drogerien und Fachgeschäfte. Ein Teil der Produkte geht direkt ins Ausland.


Ab 1000 Metern gefällts dem Edelweiss

Die ideale Lage für Edelweiss-Kulturen liegt zwischen 1'000 und 1'700 Meter über Meer. Die Standorte müssen trocken und nicht allzu heiss sein. Am besten eignen sich Böschungen und Steilhänge, wo das Wasser rasch abfliesst. Die Edelweiss-Bewirtschaftung ist arbeitsintensiv. Alles geschieht in Handarbeit. Die domestizierten Alpenblumen werden im Frühjahr ausgesät oder als Setzlinge gesteckt. Die Ernte erfolgt in den Sommermonaten im Jahr darauf.

Typisches Nischen-Geschäft

Die Edelweiss-Kulturen der Bündner Drogaria liegen auf 1'900 und 2'000 Meter Höhe auf der Corviglia im Oberengadin. Ein weiteres Feld ist in Savognin, auf 1'600 Meter Höhe. Die gesamte Anbaufläche beträgt etwa eine Hektare. "Je höher angebaut wird, umso stärker werden die Pflanzen", sagt Thurner. "In tieferen Lagen werden die weissen Blüten grünlich.

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Edelweiss-Produkte seien ein typisches Nischen-Geschäft, sagt Thurner. Im Moment würde es kein Wachstum geben, der Markt sei gesättigt. Das könne aber schnell ändern, weil die Nachfrage stark schwanke.

Gleicher Meinung ist Markus Schutz vom Familienunternehmen Alpin Engrosgärtnerei Schutz in Filisur. Die Engrosgärtnerei baut auf drei bis vier Hektaren Edelweiss an und beliefert vor allem die Kosmetikbranche und Handelsgärtnereien. Gefragt sind Edelweisse als Topf-Pflanzen aber auch als Schnittblumen für Blumensträusse, sagt Schutz. Nach mehrjährigen Versuchen ist es der Forschungsanstalt Agroscope nämlich gelungen, die Edelweiss-Sorte "Helvetia" auch in einer langstieligen Version zu züchten.


Reto Raselli, Präsident der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Kräuteranbaus im Berggebiet (ArGe Bergkräuter), sagt: "Rund 150 Bauern bauen im Schweizer Berggebiet auf 90 bis 100 Hektaren Kräuter an. Edelweiss ist ein kleiner Teil. Die Pflanze wird erst seit ein paar Jahren erforscht. Obwohl Edelweiss gewisse Wirkstoffe enthält, hat die Alpenblume aber bei weitem nicht die Bedeutung wie beispielsweise Pfefferminze." Christoph Carlen, Leiter des Forschungsdepartements von Agroscope, meinte auf einem internationalen Symposium zu Medizinal- und Gewürzpflanzen aus dem Berggebiet in Saas-Fee: "Ein grosses Potenzial liegt aber noch brach."

Herzensblume von Kaisern und Königen

Wenn auch die Bedeutung als Nutzpflanze, die in kommerziellen Kulturen drei bis fünf Jahre überdauert, noch nicht klar einzuordnen ist, so ist aber doch der Mythos des Edelweisses ein hehrer Wert. Ab 1870 zieht der Tourismus in die Alpenwelt ein. Wegen seiner Seltenheit wird das Edelweiss schnell zum romantischen Symbol in Gedichten und Erzählungen. Die Blume, so ihr Mythos, wächst nur an Steilwänden, am Rande des ewigen Schnees und wurzelt im tiefen Eis. Die Vorstellung ihrer Unerreichbarkeit beeinflusst noch heute die Wahrnehmung dieser Pflanze.

Romantische Bilder geistern durch Legenden, und es ist von tragischen Unfällen beim Pflücken die Rede. Tatsächlich gab es in diesem Zusammenhang einige tödliche Abstürze.

Die "Königin der Alpenblumen", die einst aus der zentralasiatischen Steppe in unsere Bergwelt einwanderte, ziert den Fünfliber und die Schulterstücke hoher Offiziere der Schweizer Armee und ist als Botschafterin für Tourimus und Folklore unverzichtbar. Früher war sie auch die Blume von Herrscherhäusern. So erklärten Kaiser Franz Joseph von Österreich und seine Gemahlin Sissi sowie der Bayern-König Ludwig II. das Edelweiss zu ihrer Herzensblume.

Harry Rosenbaum, lid