Die Menschen im Weiler Wingreis, der zur Gemeinde Twann-Tüscherz BE gehört, sind besorgt. Darunter auch die Bio-Winzerin Anne-Claire Schott. Denn das Bundesamt für Strassen (Astra) hat ein Infoschreiben verschickt, das die geplanten Baulinien betrifft. Für den Bau des Twanntunnels soll etwa die Baustelleneinrichtung bis Wingreis reichen. Dazu müssten auch Häuser und Rebberge weichen. Die Besitzer der betroffenen Häuser und Landparzellen wurden vor die Wahl gestellt zu verkaufen oder enteignet zu werden. Doch nun formiert sich Widerstand aus der Bevölkerung (siehe Kasten unten). Eine Landenteignung droht auch Winzerin Anne-Claire Schott. Mit der BauernZeitung hat sie über ihre Gefühlslage und darüber, was eine Enteignung für ihren Betrieb bedeuten würde, gesprochen. 

Frau Schott, wie fühlen Sie sich angesichts der angedrohten Enteignung durch das Astra?

Sehr besorgt. Mir persönlich soll zwar nur wenig enteignet werden. Aber weitere Parzellen grenzen an die Baustelle. Dies macht es mir sehr schwierig, während 15 Jahren – solange soll der Bau dauern – Wein nach biodynamischen Richtlinien zu produzieren. Denn durch die Baustelle sind die Rebberge grossen Emissionen ausgesetzt. Durch die Grösse und den Einschnitt in die Landschaft verändert sich auch das Mikroklima. Nicht nur meine Parzellen sind betroffen, diese Baustelle bedeutet eine grosse Entwertung für das Gesamtbild der Region. 

Sie sagen, dass Ihnen persönlich von total 3,5 Hektaren Rebfläche nur wenig Land enteignet werden soll. Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Enteignet würden nur 151 m2. Doch in den Perimeter der Baustelle fällt eine ganze Hektare, die durch die Emissionen beeinträchtigt würde. Ausserdem bin ich Pächterin von 1752 m2, die dem Besitzer ebenfalls enteignet würden und somit auf meinem Betrieb fehlen.

Sie haben den Betrieb vor drei Jahren übernommen, stehen quasi am Anfang Ihrer Karriere. Sollte es wirklich zur Enteignung kommen, was würde das aus wirtschaftlicher Sicht für Ihren Betrieb bedeuten?

Ich bin auf Realersatz angewiesen. Es gibt zwar immer wieder Parzellen, doch es stellt sich jeweils die Frage nach der Qualität. Weiter werde ich zur Baustelle hin zirka zehn Meter Reben ausreissen und eine kleine grüne Barriere gestalten, so dass die Reben zumindest etwas geschützt sind. Doch eine solche Hecke wächst nicht in einem Jahr zur vollen Grösse.

Sie sind sehr mit der Natur verbunden. Was bedeuten die­-se drohenden Veränderungen für Sie persönlich, für Ihr Herz?

Es tut mir extrem weh für die ganze Region. Denn die ist ein schweizerisches Kulturgut. Es ist nicht nur mein persönlicher Verlust, sondern ein Verlust für die ganze Gesellschaft. Hier ist es paradiesisch. Doch bereits der Bau der Bahnlinie hat die Häuser vom See getrennt, dann kam in den 60er-Jahren noch die Strasse dazu. Die Seele der Landschaft wird kaputtgemacht. Die Bauten werden Mehrverkehr bringen und damit Lärm für die Anwohner. Mit dem geplanten Tunnel will man uns lediglich ein «Zückerli» geben, damit wir besänftigt sind. Wir Winzer(innen) arbeiten in der Natur, wo es eigentlich ruhig sein sollte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wer ein Minimum an Gefühlen für die Pflanzen hat, merkt, dass sie unter dem Lärm ebenso leiden.

Sie sind Mitglied des neu gegründeten Widerstand­komitees «N5-Bielersee – so nicht!» Was ist das erklärte Ziel des Komitees?

Das Ziel ist es, mindestens ein Moratorium für den Twanntunnel durchzubringen – zumindest bis der Westast-Dialog in Biel seine Ergebnisse präsentiert. Weiter wollen wir den Ausbau der Strasse stoppen und wenn möglich den Rückbau des Bestehenden erreichen. Es soll nicht an Fehlern festgehalten und diese gar noch wiederholt werden, die bereits in den 60er-Jahren begangen wurden. Heutige Strassen können nicht mit derselben Vision von damals gebaut werden.

Wie soll dieses Ziel erreicht werden?

Wir wollen die Bevölkerung informieren. Das ist ganz wichtig. Wir müssen aufrütteln, so dass nicht jeder nur an sich und sein eigenes Dörfli denkt. Wir wollen klar machen, dass dieses schweizerische Kulturgut, welches auch einen grossen touristischen, wirtschaftlichen und historischen Wert hat, geschützt werden muss.

 

Rechtsstreit um die Linienführung

1991: Sagt der Bundesrat Ja zur Verlängerung der Umfahrung Ligerz (Ligerztunnel) bis nach Twann (Twanntunnel).

2007: Legt der Kanton ein erstes Projekt vor, Variante 1.

2010: Wird diese durch das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) genehmigt.

2011: Heisst das Bundesverwaltungsgericht (BVG) eine Beschwerde der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) und des Berner Heimatschutzes (BHS) gegen die Variante 1 gut. Das BVG verlangt die Realisation der Variante 3b. Sie ist landschaftsverträglicher.

2014: Legt der Kanton erneut die Variante 1 vor, wieder mit Unterstützung des Uvek. SL und BHS gelangen nochmals ans BVG.

2016: Bekommen sie zum zweiten Mal recht. Danach bindet der Kanton SL und BHS  in die Planung ein, eine Kooperation weicht Konfrontation.
Quelle «Bieler Tagblatt»

 

Zudem haben wir auch darüber berichtet, wie sich die Ausgangslage der Strasse am Bielersee präsentiert:
Drohende Enteignung: Die Ausgangslage mit der Strasse am Bielersee entlang