In der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» stellen Forschende um Yann Vitasse von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die fünf weltweit längsten Zeitreihen zum Frühlingsaustrieb von Bäumen vor. Die Verschiebungen der Pflanzenblüte und des Blattaustriebs im Frühjahr seien beispiellos seit Mitte der 1980er Jahre und stünden im Einklang mit der Beschleunigung der globalen Erwärmung, berichten die Wissenschaftler.

Demnach verschob sich der Blatt- und Blütenaustrieb in den letzten 36 Jahren in China um sechs, in der Schweiz bis zu 30 Tage nach vorne – parallel zum globalen Temperaturanstieg. Bemerkenswert sei, dass die Blüte der Kirschbäume im japanischen Kyoto im Frühjahr 2021 der früheste jemals aufgezeichnete Termin in mehr als 1200 Jahren war.

Zwei Schweizer Zeitreihen einbezogen

Die Blüte der Kirschbäume in Kyoto stellen denn auch die allerlängste phänologische Zeitreihe dar, die weltweit jemals aufgezeichnet wurde. Die Dokumentation in alten Tagebüchern und Chroniken reicht zurück ins Jahr 812 nach Christus. Deutlich weniger lange, aber ebenfalls in den «Top Five» finden sich zwei Zeitreihen aus der Schweiz: Seit 1808 beobachtet der Grand Conseil de la République et canton de Genève eine Rosskastanie. Und seit 1894 überwachen das Landwirtschaftliche Zentrum Ebenrain und MeteoSwiss einen Kirschbaum im Kanton Basel-Landschaft.

Zwar sind die phänologischen Veränderungen in den fünf vorgestellten Zeitreihen äusserst bemerkenswert. Doch liegen sie nicht einmal in jenen Weltregionen, wo sich das Klima bislang am stärksten und um mehr als 2,5 Grad erwärmte. «Dort ist zu erwarten, dass die zeitliche Verschiebung von Ereignissen im Lebenszyklus von Organismen noch extremer ausfällt», liess sich Vitasse in einer Mitteilung der WSL zitieren.

Sensibilisierung für Klimaveränderungen

Solche abrupten Veränderungen in der Phänologie können gemäss den Forschenden vielfältige Auswirkungen auf die Ökosysteme haben, auf die Interaktion zwischen Arten, die Verfügbarkeit von Nahrung und die globale Kohlenstoffbilanz.

Sie argumentieren zudem, dass solche langen Zeitreihen besonders nützlich seien für die Kommunikation, um das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels in der Bevölkerung zu schärfen und die Erderwärmung dringlich einzudämmen.

 

Steigt das Risiko für Schäden durch Spätfrost?
Einerseits sorgt der Klimawandel für höhere Temperaturen, was Frost weniger wahrscheinlich macht. Andererseits treiben Pflanzen damit auch früher im Jahr aus und werden empfindlich gegenüber Minusgraden. Die WSL hat untersucht, ob mit dem Klimawandel in der Bilanz eher mit mehr oder weniger Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen durch Spätfrost zu rechnen ist. Wie die Forschenden in einer Broschüre ausführen, lässt sich die Frage kaum pauschal beantworten. Denn je nach Pflanzenart und Sorte ist der Frühlingsaustrieb neben der Temperatur stark abhängig von der Tageslänge, die wiederum nicht vom Klimawandel beeinflusst wird. Weiter können auch die Wasserverfügbarkeit und Kältereize eine Rolle spielen. Besonders in tieferen Lagen in der Schweiz blieb, so die WSL, das Spätfrostrisiko für Obst- und Waldbaumarten über die letzten Jahrzehnte konstant, während es in höheren Lagen zugenommen habe.