Liudmyla Golub, 43 Jahre, ist Leiterin der Bauerngenossenschaft «Avangard». Sie umfasst 57 Mitglieder und liegt im Dorf Ukrainka, Region Mykolaiv, rund 10 Kilometer südlich von Mykolaiv.

Iurii Mykhailov: Liudmyla, was hat Ihre Genossenschaft vor dem Krieg getan?

Liudmyla Golub: Die Genossenschaft beschäftigte sich mit der Milchproduktion. Zu Beginn des Krieges hatten wir 267 Rinder, davon waren 130 Kühe und der Rest waren Jungtiere. Wir bearbeiteten auch 1200 Hektar Land: 450 Hektar Getreide, 300 Hektar Sonnenblumen, 150 Hektar Mais für zur Silage, 100 Hektar Sorghum, 40 Hektar Roggen, 50 Hektar Luzerne und 10 Hektar Wassermelonen. Mais und Luzerne wurden meist als Futter verwendet. Wir haben jeden zweiten Tag 2,5 bis 3 Tonnen Milch an die Firma Lactalis in Mykolaiv geliefert.

«Nach einem Beschuss mussten wir fünf verwundete Kühe für nur 8 Dollar pro Stück verkaufen.»

Liudmyla Golub

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Wie hat sich die russische Invasion auf die Kooperative ausgewirkt?

Die Russen kamen bis auf 300 Meter ans Dorf heran. Wenige Tage nach der russischen Invasion war die gesamte Ernte, mit Ausnahme von 300 Tonnen Sonnenblumenkernen und 100 Tonnen Weizen, durch Beschuss abgebrannt. Als der Krieg begann, waren die Strassen blockiert und vermint, also verkauften wir Milch an Mitglieder der Genossenschaft und Leute aus den Nachbardörfern. Vor Kriegsbeginn konnten wir Sonnenblumen für 1100 Dollar pro Tonne verkaufen, im Herbst 2022 war es noch die Hälfte.

Am 11. März 2022 zerstörten die Russen die Stromleitung und das Dorf wurde vom Strom abgeschnitten. Erst im Januar dieses Jahres wurde sie repariert. Über ein Jahr lang gab es im Dorf keine zentrale Leitungswasserversorgung. Wir kauften ein paar Dieselgeneratoren und versorgten uns mit Strom, mit dem wir auch Brunnenwasserpumpen betreiben konnten. Glücklicherweise hatten wir schon vor dem Krieg Vorräte an Dieselkraftstoff. Im Mai letzten Jahres wurde die Situation unerträglich und fast alle Angestellten gingen. Es blieben nur noch wenige Arbeiter übrig, die sich um die Rinder kümmerten. Aber es war nicht möglich, die Kühe zu melken.

Unsere schlimme Situation wurde von anderen ausgenutzt, die Vieh für Kleingeld kauften. Für eine Kuh, die vor dem Krieg etwa 1500 bis 2000 Dollar wert war, boten sie zehnmal weniger. Nach einem Beschuss mussten wir fünf verwundete Kühe für nur 8 Dollar pro Stück verkaufen.

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Haben die Russen Schäden an anderem Eigentum der Genossenschaft angerichtet?

Wir haben drei Getreideerntemaschinen, Traktoren und zwei Sämaschinen verloren. Aber wir werden eine Erntemaschine und mehrere Traktoren restaurieren, obwohl dies grosse Ausgaben für Ersatzteile und Elektronik erfordert. Die Russen stahlen zudem Batterien aus den Maschinen und entwendeten den Diesel aus den Geräten. Unsere Bewässerungsanlagen wurden zerstört, indem die Russen mit Absicht mit Panzern darüberfuhren. Die Genossenschaft hatte auch eine eigene Bäckerei, in der Brot für alle Genossenschaftsmitglieder gebacken wurde. Im Moment ist die Bäckerei jedoch nicht in Betrieb, weil die Öfen zerstört wurden.

Wie viele Arbeiter gab es in der Genossenschaft vor und nach der Invasion?

Vor dem Krieg arbeiteten 65 Personen in der Genossenschaft, heute sind es nur noch 35. Einige wurden evakuiert, drei Arbeiter wurden von der Armee eingezogen. Leider können wir aufgrund fehlender Finanzmittel nicht gewährleisten, dass die Arbeiter, die vor der russischen Invasion evakuiert wurden, wieder eingestellt werden.

Ihre Kooperative befindet sich im Dorf. Wie sehr haben die Dorfbewohner unter der Invasion gelitten?

Das Dorf wurde jeden Tag beschossen. Die Menschen schliefen in Kellern, die als Schutzräume dienten. Die Dorfbewohner halfen sich gegenseitig, die Feuer in den Häusern zu löschen, aber einige von ihnen, auch meines, wurden völlig zerstört. Sechs Dorfbewohner kamen bei dem Beschuss ums Leben, unter ihnen auch unser Chefingenieur. Die Russen zogen sich erst Mitte April letzten Jahres aus dem Dorf zurück und der Beschuss hörte erst am 10. November 2022 auf, als die Russen von Cherson an das linke Ufer des Dnjepr zogen. Davor gab es mehrere Tage lang ununterbrochenen, ziellosen Beschuss. Und jetzt fliegen iranische Aufklärungs- und Angriffsdrohnen in der Region.

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Was gedenken Sie jetzt nach dem Rückzug der Russen zu tun?

In diesem Frühjahr haben wir es geschafft, 150 Hektar Sonnenblumen, 100 Hektar Weizen und 400 Hektar Gerste sowie Erbsen anzusäen und Düngemittel und Pestizide zu verwenden, die wir vor der russischen Invasion gekauft hatten. Die Firma Corteva lieferte uns Saatgut für 20 Prozent Vorauszahlung und Pflanzenschutzmittel für eine 40-prozentige Vorauszahlung. Wir müssen Saatgut im August und Pestizide im Herbst bezahlen. Die Howard-Buffett-Stiftung stellte uns vorübergehend zwei Sämaschinen für die Frühjahrsaat und einen New-Holland-Harvester für die Ernte zur Verfügung. Wir müssen einfach den Transport und den Diesel bezahlen. Dank der Stiftung können wir mindestens 40’000 Dollar einsparen, im Vergleich dazu, wenn wir die Geräte hätten mieten müssen.

«Wir erhalten keine Kredite, weil die Felder nicht auf Minen abgesucht worden sind.»

Liudmyla Golub

Wie wollen Sie die Geschäfte der Kooperative wieder herstellen?

Vor Kriegsbeginn hatten wir etwa 20’000 Dollar auf dem Bankkonto und der Verkauf von Sonnenblumen und Weizen erlaubte der Genossenschaft, ihre Geschäfte fortzusetzen. Im Moment geht es vor allem darum, das Dach der Getreidespeicher und Kuhställe wiederherzustellen, was angesichts ihrer Fläche sehr kostspielig ist. Aber trotz der grossen Schwierigkeiten sind wir immer noch dabei, vor allem die Schule, den Dorfclub und die Erste-Hilfe-Station wieder herzustellen.

Gegenwärtig verweigern uns die Banken Kredite, weil die Felder nicht auf Minen und Granaten untersucht worden sind. Gleichzeitig haben sich zwei unserer Arbeiter bei einer Minenexplosion auf dem Feld schwere Beinverletzungen zugezogen. Manchmal helfen uns freiwillige Sappeure aus Norwegen bei der Minenräumung, wenn wir Minen und nicht explodierte Granaten auf den Feldern entdecken. Die Minenräumung geht also sehr langsam vonstatten. Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren kann die Wiederherstellung der Genossenschaft ohne staatliche oder internationale Hilfe Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

Weitere Bilder von der Genossenschaftsfarm

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