Die Vorteile der biologischen Vielfalt sind bei Gegnern wie Befürwortern der Biodiversitäts-Initiative unbestritten. Angesichts abnehmender Biodiversität und der Verbauung der Landschaft fordere man eine Wende, bevor es zu spät ist, schreiben die Initianten. Sie fordern mehr Geld und Fläche für die Biodiversität. «Statt die Fläche weiter auszudehnen, gilt es zuerst das ökologische Potential der bestehenden Flächen optimal zu nutzen», hält der Schweizer Bauernverband (SBV) dagegen.

Nächste Station ist die Grosse Kammer

BiodiversitätsinitiativeBundesrat will dem Schutz der Biodiversität mehr Platz einräumenFreitag, 4. März 2022 Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Biodiversitäts-Initiative den Handlungsspielraum der Behörden zu stark einschränken würde und nimmt die aus seiner Sicht berechtigten Anliegen daher mit einem indirekten Gegenvorschlag auf. Dieser ist auf Ebene Gesetz angesiedelt, statt wie die Initiative auf die Verfassung abzuzielen und wurde bereits von der Nationalratskommission (Urek-N) überarbeitet. In der laufenden Herbstsession wird die Grosse Kammer darüber beraten. Der SBV rät eindringlich, den indirekten Gegenvorschlag abzulehnen. Er warnt in einem Positionspapier vor dem Verlust von Kulturland und dem Druck, die Biodiversitätsflächen (BFF) auszuweiten.

Den notwendigen Raum sichern

Im indirekten Gegenvorschlag ist vorgesehen, dass eine ausreichende ökologische Infrastruktur bestehend aus Kern- und Vernetzungsgebieten gesichert wird. Als Kerngebiete gelten nationale, regionale und lokale Biotope, zu denen u.a. auch Trockenwiesen und -weiden oder landwirtschaftliche BFF mit hoher Lebensraumqualität zählen sollen. BFF QI und artenreiche Sömmerungsgebiete könnten nicht angerechnet werden – als Kerngebiete in Frage kämen also z. B. allenfalls noch BFF QII. Der Bundesrat wäre für die Festlegung der Flächen verantwortlich.

Bis 2030 soll es in der Schweiz Kerngebiete auf mindestens 17 Prozent der Landesfläche geben. Stand heute würden laut Bundesrat 13,4 Prozent den Kriterien genügen. Somit müsste, wie der SBV vorrechnet, eine Fläche von der Grösse des Kantons Luzern (150'000 ha) zusätzlich ausgeschieden werden. «Die Landwirtschaft wird massiv betroffen sein» so die Schlussfolgerung des SBV.

Nicht mehr Teil der Fruchtfolge

Gegenvorschlag zur BiodiversitätsinitiativeUrek-N will 17 Prozent der Landesfläche für die Biodiversität und Rücksicht auf die VersorgungssicherheitDonnerstag, 1. September 2022 Als weiteres Element der ökologischen Infrastruktur sollen Vernetzungsgebiete die Kerngebiete verbinden und somit als Korridore zwischen den Lebensräumen von hoher Qualität dienen. Geeignet wären laut Bundesrat z. B. stufige Waldränder, landwirtschaftliche Vernetzungsgebiete und Gewässerräume, aber auch naturnah gestaltetes Siedlungsgebiet. Letzteres will der Bund zusätzlich fördern.

Gemäss Bundesrat und Urek-N sollen Kern- und Vernetzungsgebiete in den kantonalen Richtplänen festgelegt werden. «Für die Grundeigentümer und Bewirtschafter der betroffenen Flächen hat dies weitgehend negative Folgen», warnt der SBV. Es sei zu befürchten, dass als ökologische Infrastruktur bestimmte BFF z. B. nicht mehr Teil der Fruchtfolge sein könnten. Eine Standortänderung solcher BFF wäre in der Folge nur noch mit einer Änderung der Richtpläne möglich.

17 oder 30 Prozent Fläche für die Biodiversität?

Welcher Anteil der Landesfläche schlussendlich insgesamt für die Biodiversität gesichert werden soll, ist nicht ganz klar. Zwar spricht der Bundesrat im Zusammenhang mit der Biodiversitäts-Initiative von 17 Prozent für die Kerngebiete, ohne ein konkretes Flächenziel für die Vernetzungsgebiete zu nennen. Anlässlich einer internationalen Konferenz im August 2021 bekannte sich die Regierung aber zu dem klingenden Ziel «30 by 30», also 30 Prozent Biodiversitätsfläche schweizweit bis 2030. Was alles dazu zählen würde, ist unklar. Der SBV schlussfolgert aber, dass somit die Vernetzungsgebiete 13 Prozent der Landesfläche umfassen müssten, um zusammen mit 17 Prozent Kerngebietsfläche auf die angestrebten total 30 Prozent zu kommen. Immerhin könnten – so die Definition des Bundes für Vernetzungsgebiete – dabei auch naturnahe Siedlungsräume eine Rolle spielen.

Die Urek-N bringt eine neue Kategorie ins Spiel

Weiter komplizierend kommt hinzu, dass die Urek-N als weiteres Element zu den Kern- und Vernetzungsgebieten «Biodiversitätsgebiete» anrechnen lassen will. Diese sollen die biologische Vielfalt erhalten und fördern, gleichzeitig aber genutzt werden dürfen. Bei der Festlegung solcher Biodiversitätsgebiete sollen, so die Urek-N, die Interessen der Versorgungssicherheit v.a. im Bereich Ernährung und Energie, berücksichtigt werden.

Neue Aufwände nicht entschädigt

«Die Landwirtschaft leistet derzeit auf einem Fünftel ihrer Flächen Biodiversitätsförderung», betont der SBV in seiner Vernehmlassungsantwort zum indirekten Gegenvorschlag. 78 Prozent der BFF seien vernetzt, so das Positionspapier, hinzukommen zahlreiche Ressourcenprojekte für die Förderung der Artenvielfalt. Diese Bemühungen würden nicht anerkannt. Durch den Aufbau der ökologischen Infrastruktur nach den Plänen des Bundesrats und der Urek-N rechnet der SBV mit einer Schwächung der Nahrungsmittelproduktion, da dafür Fruchtfolgeflächen verloren gingen.

Was die Kosten angeht, so schreibt der Bundesrat, Unterhaltskosten der geschützten Gebiete sollten von der öffentlichen Hand z. B. im Rahmen der Direktzahlungen oder über Programmvereinbarungen getragen werden. Auch ein Nutzungsverzicht sei zu kompensieren. Der SBV bemängelt, dass trotz voraussichtlich höheren Anforderungen an landwirtschaftliche Flächen keine zusätzlichen Mittel vorgeschlagen worden sind. «Es ist nicht akzeptabel, dass die Anforderungen erhöht werden können, ohne dass die damit verbundene Arbeit entschädigt wird».

Nach Meinung des SBV bringen die Vorschläge der Urek-N keinen klaren Mehrwert für die Biodiversität, sondern würden den administrativen Aufwand für die Behörden vergrössern. Immerhin hatte die Kommission die Bestimmungen zur Förderung hoher Baukultur aus dem Gesetzesentwurf des Bundesrats gestrichen. Der SBV sieht solche Vorgaben als möglichen weiteren Kostenfaktor für die Landwirtschaft.