Dass sich der Bundesrat, Gewerkschaften, Parteien und Interessengruppen um ein Stück Papier streiten, ist in der Schweizer Politik nicht ungewöhnlich. Von den unzähligen kleineren und grösseren Kämpfen ist der Kampf um das Rahmenabkommen mit der EU aber einer der heftigsten.

Technisch geht es «nur» um ein paar Marktzutrittsregeln und Lohnschutz; politisch jedoch wird mit dem Rahmenabkommen die Identität der Schweiz zu einem guten Teil neu definiert. Kein Wunder, sehen bürgerliche Politiker wie der Bauernverbandspräsident Markus Ritter darin mehr als nur einen halben EU-Beitritt.

Für die Landwirtschaft ist das Rahmenabkommen – der Bund nennt es Institutionelles Abkommen (oder InstA) – trotzdem wichtig. In diesem Artikel beantworten wir die relevantesten Fragen.

Warum ist Institutionelle Abkommen überhaupt relevant?

Die Partnerschaft zwischen der Schweiz und der EU ist nicht von schönen Worten geprägt, sondern von Verträgen: Laut der Direktion für europäischen Angelegenheiten sind es rund 20 zentrale bilaterale Abkommen sowie über 100 weitere Abkommen.

Diese Verträge regeln praktisch alles: vom Marktzugang für Emmentaler, den Nachvollzug von europäischem Lebensmittelrecht bis hin zum Einsatz von Erntehelfern. Weil die Schweiz jeden dritten Franken in der EU verdient – jeden Tag werden Waren im Wert von rund einer Milliarde Franken ausgetauscht – ist der Zugang zum EU-Markt gesamtwirtschaftlich wichtig. Das wenigsten ist die Haltung des Bundesrates. Er will ausserdem in dem Wust an Verträgen und Papieren Ordnung schaffen und den EU-Binnenmarktzugang konsolidieren.

Wie wichtig ist die Landwirtschaft im Institutionellen Abkommen?

Die Landwirtschaft ist nur einer von vielen Bestandteilen im Vertragsentwurf – und wird an sechs Stellen explizit erwähnt:

  1. Im Zusammenhang mit dem Abkommen vom Juni 1999 über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Dieses Abkommen soll in das institutionelle Rahmenabkommen überführt werden.
  2. Im Protokoll zwei “über die Regeln zur Berücksichtigung der Besonderheiten», auf die sich die Vertragsparteien geeinigt haben. So soll aufgrund der Feuerbrandgefahr weiterhin die Einfuhr von Zwergmispeln und Lorbeer-Glanzmispeln  verboten sein. Zudem wird den EU-Staaten nicht gestattet, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Schlachtpferde und Schlachtgeflügel auf der Strasse durch die Schweiz zu transportieren. Ausserdem soll die Schweiz weiterhin Rindfleisch importieren dürfen, das mithilfe von Wachstumshormonen produziert wurde.
  3. In einer Fussnote im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen. So wird klargestellt, dass die explizite Ausnahme für den Handel mit gentechnisch verändertem Saatgut weiterhin bestehen bleibt.
  4. In Bezug auf das 1972 unterzeichnete Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Schweiz. Es war dieses Freihandelsabkommen, das den Handel zwischen der Schweiz und der EU ermöglichte und die Grundlage für die enge Beziehung zwischen der Schweiz und der EU legte. Die damals vereinbarten Handelserleichterungen betreffen auch landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte wie Mehl.

Wie unabhängig bleibt die Schweizer Agrarpolitik?

Mit dem Institutionellen Rahmenabkommen verbunden ist die Angst vor dem Verlust von Souveränität. So befürchtet der Schweizer Bauernverband, dass die helvetische Agrarpolitik nicht mehr in Bern sondern in Brüssel gemacht werden könnte. Tatsächlich legt das Institutionelle Abkommen für die Ausgestaltung von staatlichen Beihilfen – darunter auch Direktzahlungen – lediglich Grundsätze fest.

Kurz: Die Agrarpolitik der Schweiz und der EU können unabhängig voneinander entwickelt werden; am bisherigen Rahmen ändert sich laut dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) nichts.

Für den Fall, dass die bestehenden Handelsabkommen im Agrarbereich erweitert werden, ist offen, welche Rolle staatliche Beihilfen spielen werden. In jedem Fall wäre das Teil des Verhandlungsmandates. Das EDA jedenfalls ist der Ansicht, dass es in Abwesenheit einer Harmonisierung der Agrarpolitik zwischen der EU und der Schweiz keinen Sinn macht, die Beitragsbestimmungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU auf die Schweizer Agrarpolitik anzuwenden. Selbstredend strebt die Schweiz keine Harmonisierung an.

Und was ist sonst noch von Bedeutung?

Nicht unterschätzt werden darf die Lebensmittelsicherheit. Die Schweiz und die EU streben an, einen gemeinsamen «Lebensmittelsicherheitsraum» zu bilden. Dieser soll die Konsumenten in der Schweiz und in der EU gleichermassen vor schlechten oder gar gefährlichen Lebensmitteln schützen. 

Sofern es gelingt, die seit 2008 laufenden Verhandlungen in diesem Bereich zu einem Abschluss zu bringen, würden mit dem einheitlichen Rechtstraum nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut. Schweizer Firmen könnten dadurch einfacher auf den EU-Markt drängen. Da sich gerade im Lebensmittelhandel die Warenströme in den letzten Jahrzehnten massiv verkompliziert haben, drängt sich eine Vereinheitlichung der Kontrollen und Überwachungssysteme geradezu auf. Nicht zuletzt auch deshalb, um eine effiziente Seuchenbekämpfung zu gewährleisten.

Was ist bisher geschehen?

Im Dezember 2013 hat der Bundesrat ein Verhandlungsmandat für das Institutionelle Rahmenabkommen erteilt. Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 hat die EU 15 bilaterale Dossiers suspendiert; es dauerte bis im April 2017, bis man die Verhandlungen erneut aufnehmen konnte.

Fünf Jahre später war es die EU, die die Verhandlungen am 23. November 2018 für beendet erklärte. Der Bundesrat konnte am 7. Dezember 2018 vom Verhandlungsergebnis Kenntnis nehmen und beauftragte das zuständige Departement, eine Konsultation durchzuführen. Der Bundesrat will, dass die aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments, die Kantone, die politischen Parteien, die Sozialpartner und andere betroffene Kreise ihre Meinung zum Rahmenabkommen äussern können. Im Frühling 2019 will der Bundesrat entscheiden, wie es weitergeht.

Die EU auf der anderen Seite ist derzeit mit dem Brexit beschäftigt und will gleichzeitig den Zugang zu ihrem Binnenmarkt vereinheitlichen. Ziel ist es, dass alle Akteure auf dem EU-Binnenmarkt den gleichen Regeln und Bedingungen unterstehen. Der Bund schreibt, dass dieser Anspruch Raum für gezielte Berücksichtigung nationaler Spezifitäten lasse; «Generelle ausnahmen sind für die EU aber aus Prinzip nicht akzeptabel.» 

Und wie geht es jetzt weiter?

Grundsätzlich hat der Bundesrat vier Handlungsmöglichkeiten: Er kann dem Vertragstext zustimmen und ihn unterzeichnen. Er kann mit der EU weitere politische Gespräche anstreben. Er könnte vorschlagen, den Vertragsabschluss aufzuschieben oder die Verhandlungen ganz abbrechen. Dabei handelt es sich aber nur um die Optionen, die der Bundesrat hat.

Auf Seite der EU ist nämlich klar, dass keine weiteren Verhandlungen geführt werden müssen; für sie ist der Vertrag fertig ausgehandelt. Auch eine Aufschiebung ist für die EU keine Option. Würde die ganze Übung abgebrochen, wie das teilweise gefordert wird, bräuchte es in der Schweiz und in der EU ein neues Verhandlungsmandat – was vor Mitte 2020 nicht zu erreichen wäre.

Hansjürg Jäger