Nur selten patrouillieren Polizisten vor dem Veranstaltungsort einer Medienkonferenz, wie am Freitagmorgen. Die Zusammenarbeit der grossen Wirtschaftsverbände unter Einschluss des Schweizer Bauernverbands im Hinblick auf die Wahlen 2023 dürfte tatsächlich nicht überall auf Gegenliebe stossen, vor allem im linksgrünen politischen Spektrum.

«Umweltverbände treiben Links-grün vor sich hin»

Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands (SBV) erklärte, dass die Kampagne gut sei, wenn man sich in der linken Ratshälfte bereits Sorgen mache. Gefragt, ob man mit diesem Vorgehen nicht die gemässigten Kräfte namentlich bei den Grünen verärgere, meinte Ritter, dass man mit diesen Leuten im Austausch stehe. «Leider lassen sich aber Grüne, Grünliberale und SP von den Umweltverbänden vor sich hertreiben», sagte Ritter. Die Wege zu konstruktiver Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg sei von diesen gezielt verbaut worden.

Der SBV wird die in der Abstimmung vom 25. September erstmals erprobte Allianz mit den grossen Wirtschaftsverbänden auch deshalb weiterführen. Gemeinsam mit diesen wolle man sich für «verlässliche Rahmenbedingungen und Eigenverantwortung statt Aktivismus und Bürokratie einsetzen», so Ritter an der gemeinsamen Medienkonferenz mit den Präsidenten Valentin Vogt (Schweizerischer Arbeitgeberverband, SAV), Christoph Mäder (Economiesuisse) und Fabio Regazzi (Schweizerischer Gewerbeverband, SGV).

Abstimmung wird als Erfolg gewertet

Das Ja zur AHV-Reform, das knappe Nein zur Verrechnungssteuer-Abschaffung und das klare Nein zur Massentierhaltungs-Initiative werten die Verbände als Erfolg und lancieren deshalb nun eine gemeinsame Kampagne im Hinblick auf die Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023. Diese steht unter dem Motto «Perspektiven statt Wunschdenken – Für eine wirtschafts- und landwirtschaftsfreundliche Politik», zusammengefasst «Perspektive Schweiz».

Der frühe Kampagnen-Start mit mehr als einem Jahr Vorlaufzeit deutet auf die Handschrift des SBV hin, der seit Jahren jede Abstimmung gewinnt, in der er sich engagiert. Anders sieht es bei den Wirtschaftsverbänden aus, die zwar gut gefüllte Kassen haben, aber an der Urne kaum jemals erfolgreich waren in den letzten Jahren. Nicht zuletzt deshalb suchte man die Unterstützung des SBV.

Eine Themenkampagne, keine Wahlempfehlungen

Die «Perspektive Schweiz» ist laut den versammelten Herren eine Themenkampagne, die regelmässig auf wichtige wirtschaftliche Anliegen hinweisen will. Denn, «wir alle sind Wirtschaft», so das Fazit von Fabio Regazzi vom SGV. Die Stimme der Wirtschaft müsse wieder mehr Gewicht erhalten im politischen Diskurs.

Ähnlich äusserte sich Valentin Vogt vom SAV. Nur 5 Prozent der Wählenden hätten etwa 2019 nach wirtschaftlichen Kriterien abgestimmt. Diesen Missstand gelte es auszugleichen: «Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne eine prosperierende Wirtschaft ist alles nichts», fasste er zusammen.

Sechs Hauptthemen für die Kampagen

Die Themen, in denen sich die Kampagne engagieren will, sind laut Valentin Vogt die folgenden:

  • Sicherheit: «Die Wirtschaft sorgt für Stabilität und sichert so den Frieden und Wohlstand in unserem Land.»
  • Soziale Sicherheit: «Nur eine gesunde Wirtschaft garantiert die Stabilität unserer Sozialwerke.»
  • Bildungspolitik: «Unsere Betriebe bilden jährlich weit über 200'000 Jugendliche aus.»
  • Nachhaltigkeit: «Die Zusammenarbeit von Forschung und Landwirtschaft sorgt für echten Klimaschutz.»
  • Versorgungssicherheit: «Unsere Landwirtschaft trägt entscheidend dazu bei, dass immer von allem genug verfügbar ist.»
  • Energieversorgung: «Und zur Versorgungssicherheit gehört selbstverständlich auch die Energie: Mit einer faktenbasierten Energiepolitik sorgen wir dafür, dass die Lichter nicht ausgehen.»

Auffällig ist, dass Vogt auch zweimal die Landwirtschaft positiv erwähnte, das war in früheren Jahren nicht unbedingt eine Stärke bei den Wirtschaftsverbänden.

Die Schaffenskraft der Wirtschaft stellte auch Christoph Mäder von Economiesuisse ins Zentrum seiner Ausführungen. Blockaden und wirtschaftlicher Krebsgang böten keine Lösungen. Es sei wichtig, wirtschaftlichen Anliegen eine Stimme zu geben, das sei das Ziel dieser Kampagne. «Die wirtschaftsfreundlichen und konstruktiven Kräfte müssen in der Politik wieder spürbarer werden», so Mäder.

Im Rahmen der Kampagne sollen aber nicht einzelne Kandidaten oder Parteien empfohlen werden, so der Economiesuisse-Präsident. Das wolle man den kantonalen Sektionen der Verbände überlassen.

Über die Kosten für «Perspektive Schweiz» wollten sich die Präsidenten nicht äussern, laut SBV-Direktor Martin Rufer seien alle vier Verbände mit gleichen Beträgen beteiligt. Der Vorstand des SBV habe kürzlich einen Betrag beschlossen, auch Rufer wollte aber keine Summe nennen.

«Breite Allianzen in Sachen Freihandel nötig»

Im Fragenteil erkundigten sich die Journalisten auch nach konkreten Positionen in Sachen EU und Freihandelsabkommen. Punkto EU äusserte man sich eher zurückhaltend. Zum Freihandel erklärte Markus Ritter, es brauche in diesen Fragen innenpolitisch breit abgestützte Lösungen. Er erwähnte als Beispiel das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das im vergangenen Jahr knapp mit 51,5 Prozent Ja angenommen worden war. Schon hier hätten die (Land-)Wirtschaftsverbände alle zugestimmt, das war nur möglich, weil auch der SBV Konzessionen erhielt, die ein Ja seinerseits opportun machten.

Das Thema Freihandel wird oft als Prüfstand für die Allianz betrachtet, Kritiker gehen davon aus, dass die Wirtschaftsverbände dem SBV hier bei nächster Gelegenheit wieder in den Rücken fallen werden.