Stefan und seine Frau Bea haben den Hof und die Familie im Griff. Auch nach 20 Ehejahren sehen sie sich als gutes Team. Sie sagen beide: «Langweilig ist’s bei uns noch lange nicht.» Etwas belastet ihre Beziehung jedoch immer wieder: Bei Konflikten schweigt Stefan für längere Zeit, manchmal mehrere Stunden lang. Er bleibt stumm, obwohl er weiss, dass Bea ein Bedürfnis nach Klärung hat und es an ihm wäre, den Faden wieder aufzunehmen. 

Das Schweigen kann er jedoch nicht ablegen. Es ist seine Strategie, mit Konflikten umzugehen. Sein Vater hat es ihm so vorgelebt. Für Bea ist hingegen klar: Sie braucht auch in schwierigen Situationen einen Austausch und will eine Veränderung. Das Verstummen ist für beide schwierig.

Zwei Arten von Schweigen

Der deutsche Psychologe Manfred Sader beschreibt zwei Arten des Schweigens: Das schädliche Schweigen und das klärende Schweigen.

Stefan und Bea sind vom «schädlichen Schweigen» betroffen. Es ist ein Vermeidungs- oder Macht-Schweigen, das das Gegenüber verletzt. Es schafft Distanz und Unsicherheit, verschärft Konflikte und blockiert echte Lösungen.

Stefan und Bea wollen das Thema gemeinsam angehen und das Muster endlich durchbrechen. In der Beratung finden sie Unterstützung. Sie gehen einzeln und auch wieder gemeinsam hin. In Einzelsitzungen geht Stefan seinem Verhalten auf den Grund. Er lernt Alternativen zum Verstummen kennen und probiert sie aus.

Bea entdeckt: «Ich kann Stefans Schweigen nicht kontrollieren, jedoch entscheiden, wie ich damit umgehe.» Sie weiss inzwischen: Nicht jedes Verstummen dreht sich um sie.

Zusammen finden sie heraus, wie Bea als Angeschwiegene reagieren kann.

Dem Schweigen einen Rahmen geben

Wenn Stefan wieder verstummt, spricht sie ruhig und klar das Schweigen an: «Es belastet mich, dass wir gerade nicht reden. Mir ist wichtig, wieder mit dir in Kontakt zu kommen. Können wir heute Abend 20 Minuten reden?» Damit bekommt Stefans Schweigen einen Rahmen und wird zur überschaubaren Pause.

Wenn er nicht reagiert, sorgt Bea für sich selbst (Freunde treffen, ein gutes Buch lesen, Bewegung…). Sie will handlungsfähig bleiben. Manchmal löst sich das Verstummen wie von selbst, wenn sie in der Natur gemeinsam etwas anpacken, zum Beispiel Blacken stechen. Beide spüren dabei, auch im Schweigen lässt sich Nähe spüren, und das gibt Sicherheit.

Das klärende Schweigen

Manfred Sader beschreibt «das klärende Schweigen» als schöpferische Kraft. Im Kontext von Konflikten bedeutet das: Schweigen kann eine Brücke zur Verständigung sein, wenn es bewusst und achtsam eingesetzt wird und nicht als Strafe oder Rückzug. Es kann helfen, sich zu beruhigen und sich zu öffnen für das, was im Anderen vorgeht.

Um das Ziel zu erreichen, die Eskalation zu unterbrechen und das Schweigen als Kraftquelle zu nutzen, können folgende Schritte hilfreich sein:

  1. Stopp-Signal vereinbaren. Ein neutrales Wort (z. B. «Pause») wird genutzt, sobald einer merkt: «Jetzt wird’s zu heftig.»
  2. Bewusstes Schweigen (2 bis 5 Minuten). Beide bleiben still, ohne den Raum zu verlassen. Schweigen bedeutet hier: präsent bleiben, atmen, zur Ruhe kommen.
  3. Fragen an sich selbst: «Was fühle ich wirklich? Was ist mir jetzt wichtig?»
  4. Jede/r sagt einen Satz, beginnend mit «Ich fühle mich …» oder «Mir ist wichtig …». Der andere hört zu.
  5. Wenn beide ihre Sätze ausgesprochen haben, beginnt das Gespräch erneut.

«Das klärende Schweigen» hilft, eigene Gefühle und Bedürfnisse klarer wahrzunehmen, verwandelt Schweigen in eine Ressource und wird zur Brücke für echte Begegnung.

Zur Person
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Doris Brönnimann ist Bäuerin und psychosoziale Beraterin SGfB. Den Landwirtschaftsbetrieb im Kanton Bern übergaben sie und ihr Mann vor einiger Zeit der nächsten Generation. In ihrer Praxis in Köniz BE unterstützt sie Menschen bei persönlichen Schwierigkeiten, Sinnkrisen oder bei zwischenmenschlichen Konflikten. In loser Folge schreibt sie über ihren Beratungsalltag.

www.doris-broennimann.ch