Gerade in der Landwirtschaft war die Rolle der mit erziehenden Grossmutter lange Zeit klar vorgegeben: Der Lebensweg einer Frau schien vorgezeichnet – heiraten, Kinder bekommen und später die Enkel mitbetreuen. Viele Frauen freuen sich auch heute noch sehr auf diese Aufgabe. Sie erleben darin eine neue Art von Erfüllung und Lebenssinn.

Auf dem Hof und auf dem Meer

Doch stimmt das für alle so? Für Pia Koch (Jg. 1957 aus Wölflinswil AG) und Yvonne Vögeli (Jg. 1971) sieht das Grossmuttersein sehr unterschiedlich aus. Bäuerin Yvonne Vögeli aus Wildegg AG betreut ihr Grosskind an zwei fixen Tagen pro Woche.

Pia Koch lebt seit 2018 mit ihrem Ehemann Köbi Brem auf der Segelyacht Lupina und umsegelt die Welt. Ihre Enkelinnen sieht sie via Facetime – und bei den seltenen Besuchen in der Schweiz. Auf die Frage, was ihr das Grossmuttersein bedeutet, sagt Koch: «Vor unserer Reise habe ich zwei Jahre lang das erste Enkelkind mindestens einmal pro Woche gehütet. Die enge Verbindung zu diesem Mädchen ist tief in mir verankert. Grossmutter zu sein, ist ein wunderbares Gefühl.»

«Ich wollte meinen Traum nicht aufgeben.»

Weltenbummlerin Pia Koch ist vor der Familiengründung schon gerne gereist.

«Kinder leben ihr eigenes Leben»

Und dennoch entschied sich Pia Koch, ihrem Lebenstraum aus Jugendtagen zu folgen. Schon vor ihrer Ehe und den drei Kindern war sie viel gereist. Als der Nachwuchs erwachsen war, wollte sie diesen Faden wieder aufnehmen. «Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde, als die Enkelkinder dann da waren – aber ich wollte meinen Traum nicht aufgeben.»

Schuldgefühle plagen sie keine. Ihre Kinder hätten keine Erwartungen an sie, sagt sie. «Ich war 20 Jahre lang für sie da, habe sie zu selbständigen Menschen erzogen. Jetzt sind sie flügge geworden und leben ihr eigenes Leben. Ich würde mir nie anmassen, sie in ihrer Freiheit einzuschränken – und umgekehrt gilt für mich das Gleiche.» Ihre Kinder seien glücklich, wenn sie wüssten, dass es ihr gut gehe.

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Die vier bis sechs Wochen pro Jahr, die Pia Koch mit ihren Enkelinnen verbringen kann, nutzt sie intensiv. Sie möchte ihnen ihre Werte weitergeben: Offenheit für andere Menschen und Kulturen, Freude an der Natur und den achtsamen Umgang mit Ressourcen – sowie die Bereitschaft, auch einmal zu verzichten. «Ich glaube, meine Kinder sind auch ein wenig stolz darauf, dass ich den Mut hatte, die Leinen loszulassen und in ein neues Abenteuer aufzubrechen.»

Koch ist sich bewusst, dass sie nie dieselbe tiefe Verbundenheit mit den Enkelkindern haben wird, wie Grossmütter, die wöchentlich präsent sind. Aber sie möchte Mut machen: Frauen dürfen auch mit Kindern und Enkeln Nein sagen – und sollten ihre Träume nicht aufgeben. Denn: «Ich bin als Frau und Mutter niemandem etwas schuldig.»

Zwei Tage pro Woche

Für Yvonne Vögeli war schon immer klar: Wenn sie einmal Grosskinder hat, wird sie für sie da sein. Bereits während der Schwangerschaft ihrer Tochter zeichnete sich ab, dass diese nach dem Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten gehen würde – und dass Yvonne an zwei Tagen pro Woche die Betreuung übernehmen würde.

An den übrigen Tagen arbeitet sie zusätzlich in einer Bäckerei und in einer Kita in der Nähe. «Ich wäre sogar enttäuscht gewesen, wenn es meinen Einsatz nicht gebraucht hätte», sagt Yvonne Vögeli lachend. Gleichzeitig denkt sie an die andere Grossmutter ihrer Enkelin, die im Ausland lebt und ihr Grosskind nie so intensiv kennenlernen kann – keine freiwillige Entscheidung, sondern eine Folge der Lebensumstände.

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Vögeli hingegen geniesst ihre Aufgabe aus tiefstem Herzen. Die Wohnung wurde wieder kindgerecht eingerichtet, neue Möbel angeschafft und ein Kinderzimmer gestaltet – alles in Absprache mit der Kindsmutter. «Das ist ein grosser Unterschied zum Muttersein: Als Grosi schöpfe ich aus meiner langjährigen Erfahrung in der Kindererziehung. Heute sind es meine Tochter und ihr Mann, die eigene Vorstellungen und Methoden haben – und das respektiere ich natürlich.»

«Ich würde mein Grosi-Sein gegen nichts tauschen.»

Yvonne Vögeli will ihre Enkel regelmässig sehen und mitbetreuen.

Geduld gelernt

Etwas, das sie im Laufe ihres Lebens sicher gelernt habe, sei Geduld. «Ich habe auch jetzt ein sehr ausgefülltes Leben. Unterdessen kann ich es viel besser annehmen, einfach nur für die Kleine da zu sein – ohne den Anspruch, nebenbei noch hundert andere Dinge erledigen zu müssen.»

Auch ihr ist es wichtig, Werte weiterzugeben: Bodenständigkeit, Respekt für Natur, Umwelt und Tiere. Geborgenheit in einer Familie, in der man sich gegenseitig unterstützt. «Wieder zu staunen, wie ein Blatt vom Baum fällt – mit den Augen eines Babys – das ist ein grosses Geschenk.»

Yvonne Vögeli könnte sich nie wie Pia Koch entscheiden. «Das wäre mir viel zu schade. Ich würde mein Grossmuttersein gegen nichts in der Welt tauschen», sagt sie überzeugt. «Ich kann alles, was ich mir wünsche, mit meiner Betreuungsfunktion verbinden. Auch längere Ferienaufenthalte im Ausland sind möglich – alles eine Frage der Organisation.»

Beide Frauen leben ihr Grossmuttersein auf ihre ganz eigene Weise – die eine im wöchentlichen Miteinander, die andere mit geografischer Distanz, aber nicht weniger Herz. Was sie verbindet: die Liebe zu ihren Enkelkindern und das Bedürfnis, ihnen etwas mitzugeben fürs Leben.