Ihre ortsgebundene Lebensweise zwingt Pflanzen zu raffinierten Strategien, um Schädlinge und Krankheitserreger abzuwehren und die Ausbreitung ihrer Nachkommenschaft zu sichern: Sie bedienen sich dabei unter anderem flüchtiger chemischer Signalstoffe. Mit diesen Gerüchen bekämpfen sie Fressfeinde, ködern Bestäuber und halten unliebsame Konkurrenten fern. Mithilfe von Notsignalen locken Pflanzen zum Beispiel räuberische Insekten an, welche ihre Angreifer töten. Sie sind ebenfalls in der Lage, mit ihren Botenstoffen ihre Nachbarn vor Angriffen zu warnen. Nehmen diese einen bestimmten Geruch wahr, schütten sie spezifische Pflanzenhormone aus, um Giftstoffe zu produzieren, die gegen Insekten, Bakterien oder Pilze schützen.

Was aber, wenn es einem Schädling gelingen sollte, diese Geruchssignale zu manipulieren, die Pflanzen zu verwirren und damit ihre Verteidigung zu durchbrechen? Dass genau das geschehen ist, zeigen neuste Forschungen. Unter der Leitung von Professor Ted Turlings, einem chemischen Ökologen an der Universität Neuchâtel, haben Forschungsgruppen in China herausgefunden, dass die Baumwoll-Weisse Fliege Signale stört, die von Pflanzen erzeugt werden.

Wegen des falschen Signals produzieren benachbarte Pflanzen Abwehrstoffe, die gegen Krankheiten, nicht aber gegen Insekten wirken. In der Tat ist es so, dass die Nachbarn anfälliger für Insekten werden - einschließlich der weißen Fliegen. Der Schädling ist winzig, aber enorm zerstörerisch. Die Baumwoll-Weisse Fliege verursacht weltweit Ernteverluste in Milliardenhöhe, meist als Überträger von Viruserkrankungen.

 

 

Die folgenden Fragen wurden von Professor Turlings und/oder der Forschungsanstalt Agroscope beantwortet.

Herr Professor Turlings, die Bemisia tabaci - oder Baumwoll-Weisse Fliege - stammt aus Asien und ist unterdessen auf der ganzen Welt verbreitet. Wie sind Sie dem Schädling auf die Schliche gekommen?

Turlings: Die Studie wurde im Rahmen mehrerer Kooperationen mit chinesischen Forschungsgruppen durchgeführt. Dr. Peng-jun Zhang aus der Gruppe von Prof. Yu (Zhejiang Provincial Key Laboratory of Biometrology and Inspection & Quarantine, College of Life Sciences, China Jiliang University, Hangzhou, China) untersucht seit vielen Jahren Weisse Fliegen. Sie wandten sich vor einigen Jahren an mich, um mich um Rat zu einem Manuskript über die Geruchsinduktion durch Bemisia tabaci zu bitten. Dies hat seitdem zu einer intensiveren Zusammenarbeit geführt. In diesem ersten Manuskript zeigten sie auf, dass die von der Weissen Fliege induzierten flüchtigen Verbindungen für eine bestimmte parasitäre Wespe attraktiv sind, die die Weissen Fliegen parasitiert und tötet. Später kontaktierten sie mich wieder wegen der aktuellen Studie und wir entwarfen die Experimente gemeinsam. Letztes Jahr besuchte ich Hangzhou, um Details zu besprechen.

Wann wurde Ihnen und Ihrem Team klar, dass Sie eine revolutionäre Entdeckung gemacht haben?

Turlings: Die gesamte Arbeit wurde vom Team in China erledigt, hauptsächlich von Dr. Peng-jun Zhang. Ich habe nur eine beratende Rolle gespielt. Als sie mir die ersten Ergebnisse zeigten, war mir schnell klar, dass sie etwas ganz Besonderes entdeckt hatten. Gemeinsam haben wir einige zusätzliche Experimente entwickelt, um schlüssige Beweise für die Manipulation des Geruchssignals zu liefern.

Wo in der Schweiz hat man die Baumwoll-Weisse Fliege bereits beobachtet?

Die mit Agroscope gekennzeichneten Fragen hat das Team um Dr. Reto Neuweiler, Leiter Forschungsgruppe Extension Gemüsebau der Forschungsanstalt, beantwortet.

Agroscope: Bemisia tabaci ist in der Schweiz bislang am häufigsten an Zierpflanzen wie dem Weihnachtsstern, Gerbera etc. aufgetreten. An Gemüsekulturen wurde sie bis jetzt eher selten beobachtet. Bereits 1990 wurde jedoch ein einzelner Fall im Kanton Genf dokumentiert. Seit 2007 tritt dieser Schädling im Kanton Genf regelmässig in Tomatenkulturen auf, die sich in der Nähe von Zierpflanzenkulturen befinden. 2008 wurde ein erster Fall im Kanton Wallis, ebenfalls bei Tomaten, bekannt. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich Bemisia tabaci zu einem ernst zu nehmenden Schädling in Gemüsekulturen unter Glas entwickeln wird.

Welche Schäden richtet sie bei unseren Landwirten an?

Agroscope: Noch kommt in der Schweiz und in Nachbarländern wie Deutschland und Österreich sowie in den Niederlanden Bemisia tabaci begrenzt und sehr wahrscheinlich ausschliesslich im Gewächshausbau vor. Sie kann rund 100 Pflanzenviren übertragen. Diese Virusinfektionen führen zu Symptomen wie gelbe Mosaikscheckung der Blätter, Blattadernvergilbung, Blattrollen, Kümmerwuchs oder Adernverdickung. Weltweit sind Insektizidresistenzen von Bemisia tabaci bekannt. Insbesondere in Baumwoll- und Weihnachtssternkulturen ist sie schwerer bekämpfbar. Durch Saugschäden und Virusübertragung bedroht sie die Glashausproduktion in ganz Nordeuropa. Weil die Gefahr besteht, dass mit der Einfuhr von befallenen Wirtspflanzen aus Überseeländern gleichzeitig besonders gefährliche Viren eingeschleppt werden, die auf dem europäischen Kontinent noch unbekannt sind, gelten aussereuropäische Populationen von Bemisia tabaci als Quarantäneschädlinge. Pflanzenmaterialien aus aussereuropäischen Ländern, die bei der Importkontrolle vom Eidgenössischen Pflanzenschutzdienst Befall von Bemisia tabaci aufweisen, werden an der Grenze restlos vernichtet.

Wie geht die Bemisia tabaci vor? Und ist die Erkenntnis, dass dieser Schädling tatsächlich Pflanzen "hacken" kann, nicht auch ein wenig beängstigend?

Turlings: Der genaue Mechanismus ist noch nicht vollständig verstanden. Die Weissen Fliegen veranlassen die Pflanzen, ein Hormon (Salizylsäure) zu produzieren, das der Pflanze normalerweise hilft, sich gegen Krankheiten zu wehren. Das bedeutet, dass ein anderes Hormon (Jasmonsäure) unterdrückt wird. Dieses andere Hormon wird für die Abwehr von Insekten benötigt und daher wird die Pflanze anfälliger für Insekten, einschließlich der Weissen Fliegen. In dieser neuen Studie haben wir festgestellt, dass sich dies auch in den von der befallenen Pflanze freigesetzten flüchtigen Bestandteilen widerspiegelt. Das flüchtige Signal deutet darauf hin, dass die Pflanze von einer Krankheit befallen ist und die Nachbarn, die das Signal wahrnehmen, bereiten sich darauf vor, sich gegen die Krankheit zu wehren, auf Kosten einer Verteidigung gegen Insekten. Dies ist eines von vielen Beispielen dafür, wie spezialisierte Insekten die Abwehrmechanismen von Wirtspflanzen überwinden können. Vielleicht ist das beängstigend, aber auch sehr interessant, und mit diesem neuen Wissen entwickeln wir neue Strategien zur Bekämpfung von Weissen Fliegen.

Was bedeutet die Tatsache, dass es "Hacker" in der Tierwelt gibt?

Turlings: Dies ist vor allem ein Problem in Gewächshäusern. Und das "Hacking" wird den Weissen Fliegen helfen, sich in großer Zahl zu vermehren und sich schnell zu verbreiten.

Agroscope: Damit verstärkt sich eventuell der Trend, den wir wegen der Klimaerwärmung grundsätzlich schon erwarten würden.

Wie haben die Schweizer Bauern bis anhin diese Fliege bekämpft?

Agroscope: Bislang stand die biologische Bekämpfung mit der Schlupfwespe Eretmocerus eremicus und der Raubwanze Macrolophus caliginosus im Vordergrund. Bei starkem, mit Russtaubildung verbundenem Befall, werden auch nützlingsschonende Insektizide eingesetzt.

Wie können die Bauern Ihre wegweisenden Erkenntnisse nutzen - wie kann der Schädling wirksam bekämpft werden? Könnte man zum Beispiel die Baumwoll-Weisse Fliege genetisch so verändern, dass sie keine Lust mehr auf Gemüse hat?

Turlings: Das würde wahrscheinlich nicht funktionieren, aber es könnte möglich sein, Kulturpflanzen genetisch zu manipulieren, damit diese angemessener reagieren und eine Verteidigung mobilisieren, die sehr wirksam gegen Weisse Fliegen ist.

Ist es denkbar, dass noch andere Schädlinge diese Fähigkeit der Manipulation haben - der Mensch jedoch noch nichts davon weiss?

Turlings: Definitiv!

Können sich Schädlinge diese Fähigkeit irgendwie aneignen, also von der Weissen Fliege sozusagen lernen?

Turlings: Schadinsekten könnten sich diese Fähigkeit in evolutionären Zeiträumen aneignen, aber sie können nicht voneinander lernen. Wir können aber etwas davon lernen. Die Arbeit zeigt, dass Pflanzen sehr spezifisch auf ihre Angreifer reagieren. Wir könnten versuchen, Kulturpflanzen durch Selektion oder genetische Modifikation so zu verändern, dass sie eine effektive Reaktion zeigen und sehr resistent gegen Insekten werden.

Was ist der nächste Schritt in der Forschung, mit all dem Wissen, über das Sie jetzt verfügen?

Turlings: Mit der chinesischen Gruppe werden wir diese Wechselwirkung zwischen Weissen Fliegen und Pflanzen weiter untersuchen. Wir sind besonders an Baumwollpflanzen interessiert. In meinem eigenen Labor haben wir ein grosses Projekt gestartet, um Sensoren zu entwickeln, die die induzierten Gerüche im Feld erkennen und die Verursacher, Schadinsekten oder Krankheitserreger, identifizieren können. Das ultimative Ziel ist es, Roboterfahrzeuge mit solchen Sensoren auszustatten und die Landwirte in Echtzeit über den Status ihrer Ernte zu informieren. Dieser nächste Schritt in Richtung Smart Farming wird es den Landwirten ermöglichen, zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zu handeln, lange bevor die Angreifer ihren Ernten schweren Schaden zufügen können.