Die Diskussion um die Anzahl der in der Schweiz geborenen Kälber gewinnt an Brisanz. Die aktuellen Geburtenzahlen zeigen einen signifikanten Rückgang, was in der Branche für Besorgnis sorgen dürfte. Insbesondere dann, wenn man an einen erneuten Ausbruch des Blauzungenvirus in der Schweiz glaubt.

Grosse Verluste in Deutschland

So hat die Seuche im Jahr 2024 in unserem nördlichen Nachbarland, das flächendeckend betroffen war, zu erheblichen Verlusten in deutschen Nutztierbeständen geführt. Zwischen Oktober 2023 und Oktober 2024 wurden in Deutschland insgesamt über 13 000 Betriebe mit Ausbrüchen der Blauzungenkrankheit gemeldet. Die genaue Anzahl der betroffenen Tiere ist jedoch nicht bekannt, da nicht alle Tiere innerhalb eines Betriebs untersucht wurden. Was, wenn auch die Schweiz flächendeckend betroffen wird? Und was hiesse das für die Rindviehbestände, die seit Jahren in eine einzige Richtung zeigen – nämlich abwärts?

Geburtenrückgang bestätigt

Laut den neuesten Daten von Identitas ist die Anzahl der Geburten im vierten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 11 000 gesunken, während der Milchkuhbestand zum Jahresende um etwas mehr als 7000 Tiere zurückgegangen ist.

Die Auswirkungen einer solchen Entwicklung sind weitreichend: Ein sinkender Kälberbestand bedeutet langfristig weniger Milchkühe und Masttiere, was sich auf die Selbstversorgung mit Rindfleisch und Milchprodukten auswirken könnte. Zudem stellt sich die Frage, ob vermehrte Importe notwendig werden, um den Bedarf zu decken.

Michel Geinoz, Vorsitzender des Geschäftsausschusses der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Rinderzüchter (ASR), bestätigt auf Anfrage der BauernZeitung, dass die Reduktion des Bestands auf verschiedene agrarwirtschaftliche und agrarpolitische Faktoren zurückzuführen ist. Der Rückgang sei indes kein kurzfristiges Phänomen, sondern ein langfristiger Trend.

Die Verantwortung für die Stabilisierung der Bestände liegt laut Geinoz sowohl bei den Märkten als auch bei der Politik. Die Zuchtorganisationen könnten dabei nur unterstützende Dienstleistungen anbieten, um Wirtschaftlichkeit und Zuchtfortschritt zu fördern. Ein positiver Aspekt: Trotz sinkender Milchviehbestände bleibe die Milchproduktion stabil, da weniger Tiere mehr Milch produzieren. «Dies ist ein Ergebnis, bestehend aus dem Zuchtfortschritt sowie aus einem verbesserten Management. Die Betriebe, die weiterhin Milch produzieren, werden also effizienter und konkurrenzfähiger, auch dank des Einsatzes besserer Genetik», so Michel Geinoz.

Technologische Entwicklungen

Ein weiterer Einflussfaktor ist der vermehrte Einsatz von Sperma-Sexing. Der Anteil der X-Besamungen bei Milchrassen liegt laut Michel Geinoz mittlerweile bei über 50 %. Diese Technologie ermöglicht eine gezieltere Selektion von Zuchttieren und unterstützt den Zuchtfortschritt. Das Prinzip «X on the best, beef on the rest» bedeutet, dass aus weniger geeigneten Zuchtkühen eine bessere Mastremonten-Produktion erzielt werden kann. Dadurch leisten Milchviehbetriebe nicht nur einen Beitrag zur Milchproduktion, sondern auch zur Fleischproduktion.

Gefragt nach den Auswirkungen eines erneuten Ausbruchs der Blauzungenkrankheit, der mögliche Folgen wie Fruchtbarkeitsprobleme und vermehrte Aborte haben könnte und damit das Angebot weiter verringert, sagt Michel Geinoz: «Die ASR unterstützt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) als Begleitgruppe bei der Kommunikation und der Förderung einer flächendeckenden Impfkampagne. Ziel ist es, die Verbreitung der Blauzungenkrankheit einzudämmen und die Tiergesundheit zu sichern.»

Samen-Sexing hilft

Da ein bedeutender Teil der Kälber- und Rindfleischproduktion aus Nebenprodukten der Milchwirtschaft stammt, wirft der Rückgang der Milchkuhbestände Fragen zur Versorgungssicherheit auf. Michel Geinoz sieht hier jedoch auch positive Entwicklungen: Denn die zunehmende Nutzung von X-Besamungen und die gezielte Besamung mit Mastrassen führten dazu, dass aus einer kleineren Anzahl von Tieren weiterhin eine gleichbleibende Menge an Fleischprodukten gewonnen werden könne.

Und dennoch gibt es Herausforderungen: Während die Preise für Mastremonten in den Herbst- und Wintermonaten oft niedrig sind, zeigen die hohen Preise für Schlachtkühe europaweit, dass die Bestandsreduktion diesen Produktionskanal unter Druck setzt. Ein Blick auf die internationalen Märkte zeigt laut Geinoz zudem eine Kombination aus sinkendem Angebot und steigender Nachfrage nach Rindfleisch.

Kommt es zur Kuh-Knappheit?

Besteht also die Gefahr, dass es zu einer Kuh-Knappheit kommt? «Wir haben bereits in den letzten Jahren und insbesondere in den Sommermonaten einen Mangel an Schlachtkühen erlebt – dies könnte auch in den nächsten Jahren vorkommen», erklärt Geinoz, der auch Direktor der beiden Viehzuchtverbände Swissherdbook und Holstein Switzerland ist.

Der Einfluss der Blauzunge ist für ihn schwer einzuschätzen. «Wir sind der Meinung, dass man sich im aktuellen Stadium auf die Impfkampagne konzentrieren sollte.»