Für viele Züchterinnen und Züchter ist es der Höhepunkt des Jahres: die Viehschauen und die Beständeschauen. Obwohl es nicht das Gleiche ist, löst es Emotionen aus. An einer Viehschau werden die Kühe «nur» klassiert, an einer Beständeschau vergibt man ihnen zusätzlich noch Punkte für ihr Exterieur. Vor allem im Kanton Bern haben die Beständeschauen eine lange Tradtition. Viele Vereine können mittlerweile schon das Hundertjährige oder mehr feiern. «Schon als siebenjähriger Bub habe ich mich immer auf den Viehschautag gefreut», meint Roland Zemp aus Ramiswil SO.

Mit Emotionen verbunden

Die von Swissherdbook organisierten Beständeschauen fangen meistens Mitte September an und dauern bis Anfang November. Für viele Züchterinnen und Züchter ist eine Beständeschau so emotional, dass sie vor dem Termin nicht oder nur schlecht schlafen können. Als Belohnung für die Strapazen können sie sich dann über einen Klassensieg oder über eine maximal punktierte Kuh freuen – manchmal mehr als über ihren eigenen Hochzeitstag.

«Schon als Bub freute ich mich auf die Viehschau.»

Roland Zemp, Ramiswil SO.

Eine Bestätigung, in der Zucht nicht alles falsch gemacht zu haben

Als der Schreibende diesen Artikel verfasste und verschiedene Züchter nach ihren Beständeschauen-Erfahrungen fragte, hörte man die Leidenschaft in ihren Stimmen förmlich. Einer musste sogar weinen, als er von seinen Erlebnissen erzählte. «Wenn ich einen 98-pünktige Kuh im Stall habe, ist das für mich eine Bestätigung, dass ich in der Zucht nicht alles falsch gemacht habe», sagt Hanspeter Bigler aus Mamishaus BE.

Ein Punkt bedeutete 1000 Franken

Das Reglement

Bei der Beständeschau werden die vier Positionen Rahmen, Fundament, Euter und Zitzen innerhalb einer Skala von 0 bis 5 Punkten nach der subjektiven Beurteilung des Experten benotet. Zusätzlich erfolgt eine Einordnung in Qualitätsklassen mittels einer Gesamtpunktzahl von 80 bis 98 Punkten, die in Beziehung zu den Positionsnoten steht und im Maximalbereich auch auf einzelne Leistungsmerkmale Rücksicht nimmt. 80 bis 84 Punkte genügend; 85 bis 89 Punkte, gut (keine Note unter 2); 90 bis 94 Punkte, sehr gut (keine Note unter 3); 95 bis 98 Punkte, vorzüglich (keine Note unter 4). Eine Erstlingskuh kann, wenn die Milchleistung stimmt und sie mindestens 30 Tage in Laktation ist, das Maximum von 44 44 90 Punkten erreichen. Erst wenn eine Kuh mindestens drei abgeschlossene Laktationen hat, und sie verschiedene Bestimmungen bezüglich Milch, Inhaltsstoffe, Melkbarkeit erfüllt, kann sie das Maximum von 55 55 98 Punkten erreichen. Zurückpunktiert werden die Tiere nicht.

Vor 50 Jahren hatten die Beständeschauen sicher noch einen viel höheren Stellenwert als heute. Die Viehhändler konnten den Züchtern manch schöne Kuh für «i Eggä» verkaufen – schliesslich bedeute damals ein Klassensieg ein hohes Prestige. Ob bei einer Erstlingskuh 87 oder 88 Punkte geschrieben wurden, bedeutete vor einem halben Jahrhundert noch 1000 Franken mehr oder weniger in der Tasche zu haben. Heute hat das Exterieur an den Auktionen einen viel weniger hohen Stellenwert. Für viele tragen Schauen aber immer noch massgeblich zum Zuchtfortschritt bei.

Als der Kanton Bern vor rund 40 Jahren einmal Kühe an die Olma in St. Gallen ausstellen durfte, hätte auch ein Züchterkollege aus dem Berner Seeland seine schöne Suprême-Tochter Lindau ausstellen können. Als er dann erfuhr, dass die Olma genau in der gleichen Zeit stattfand, wie die Beständeschau seiner Viehzuchtgenossenschaft Seedorf, sagte er dankend ab. Schliesslich war dem Züchter ein Klassensieg mehr wert, als die Olma-Zeit seiner Kuh.

Neben der Punktierung hat heute auch das «Chüjern», oder Abzüglen der Kühe, einen sehr hohen Stellenwert. Wenn die Tiere blumengeschückt mit Treicheln, Schellen, Klopfern oder Glocken den Heimweg antreten, löst das bei vielen nicht nur Gänsehaut, sondern auch Tränen aus. «Die Strassen sind dann von unzähligen Zuschauern gefüllt», sagt Walter Mock, Präsident des Bauernverbands Appenzell Innerrhoden aus Gontenbad.

Sie standen vor dem Aus

Vor zirka zehn Jahren standen die Beständeschauen aber vor dem Aus: Damals wurde die finanzielle Unterstützung vonseiten Bund wegen vermeintlich mangelnder Wissenschaftlichkeit aus der Tierzuchtförderung gekippt. Der seinerzeit zuständige Bundesrat Johann Schneider-Ammann hatte sich persönlich an einer Viehschau vom Engagement der Bauernfamilien überzeugt. Dem ehemaligen SP-Ständerat Roberto Zanetti und seiner Motion war es damals zu verdanken, dass wieder Gelder geäufnet wurden. 300 000 Franken fliessen seither jährlich aus der Absatzförderung in Richtung Swissherdbook. Dieser Pott der Absatzförderung steht für die Unterstützung der Beständeschauen bis heute bereit.

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Andere Regionen, andere Sitten
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«Kommt gerade nach der Landsgemeinde», sagt Walter Mock, Präsident des Bauernverbands Appenzell Innerrhoden aus Gontenbad, verschmitzt lächelnd und meint damit die Bedeutung der kantonalen Appenzeller Viehschau. Das sei der Bauernsonntag – also ein Festtag.

Das merkt man den Bauernfamilien an. Gross und klein in Festtagstracht ziehen mit ihren Kühen durch Appenzell – auf geht’s durch den geschmückten Triumphbogen hin zum Brauereiplatz. Dort sind jeweils über 580 Kühe, trächtige Rinder und Stiere aufgereiht in Abteilungen zu finden. Die Strassen sind von unzähligen Zuschauern gefüllt, die nach dem Einzug das Innerrhödler Zuchtvieh begutachten und sich in der Festwirtschaft des Innerrhödler Bäuerinnen- und Landfrauenverbands verpflegen lassen.

«Unsere Viehschau ist gelebte Tradition und zeigt die hohe Qualität unseres Braunviehs», sagt Walter Mock. Deren Bedeutung sei sich auch die Kantonsregierung bewusst, die neben dem Bauern- und Zuchtverband jeweils einen ansehnlichen Betrag für die Viehschau aus ihrem Budget beisteure. Nein, seine Kühe seien nicht dabei. «Ich habe gute Kühe, aber mit dem hohen Niveau hier könnten sie nicht mithalten», meint er.


Mit einem 33-Euter kein Spitzenplatz
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«Die Viehschau ist nicht nur für mich, sondern für die ganze Familie ein besonderes Ereignis», sagt Roland Zemp aus Ramiswil SO. Es sei nicht nur eine grosse Leidenschaft, sondern auch ein guter Anhaltspunkt, um festzustellen, wo man in der Viehzucht stehe. «Auf dem Schauplatz kann ich meine Kühe mit den anderen vergleichen. Sehe, wo diese besser sind und wo schlechter», erklärt der Züchter. Dieser Vergleich fehle ihm oft im eigenen Stall. Dadurch entstehe oft eine Betriebsblindheit. «Diesen Herbst hatte ich zum Beispiel weniger schöne Erstlingskühe als sonst», sagt er. Und mit einem 33-Euter brauche man auf dem Passwang keinen Spitzenplatz zu erwarten.

Immer darauf gefreut
Auf dem Viehschauplatz schlage dann die Stunde der Wahrheit. Das sei für ihn dann genug Motivation, weiter an seinem Zuchtziel zu arbeiten. «Sieben Mitglieder gehen bei uns auf dem Passwang noch an die Viehschau. Dabei gibt es einen harten Kern und einen weniger harten. Doch alle Betriebe führen ihre Tiere schön geschmückt und mit Glocken- und Treichelgeläut auf», sagt Roland Zemp. Die Familie, die ursprünglich aus dem Luzernischen stammt, zügelt ihre Kühe immer mit ihren Innerschweizer-Treicheln auf den Schauplatz. Schon als siebenjähriger Bub habe er sich immer auf den Viehschautag gefreut. «Die Lehrer hatten damals kein Verständnis dafür, dass ich an diesem ereignisreichen Tag immer frei wollte», erinnert er sich.

Strenger beurteilen
Grundsätzlich sei er mit dem heutigen Punktierungssystem zufrieden. Doch man müsse strenger werden, vor allem bei den Erstlingskühen. «Unsere Genossenschaft hat damals geschlossen dafür gestimmt, den Erstlingskühen nur die Maxmalnote 3 statt die 4 zu schreiben», weiss Roland Zemp. Werde einer Erstlaktierenden die Maximalnote von 44 44 90 geschrieben, komme diese oft in der 2. Laktation nicht mehr mit dem gleichen Exterieur daher. Dass in der Genossenschaft ein guter Geist herrsche und jeder jedem den Klassensieg gönne, zeigt sich auch, dass diese nächstes Jahr am 7. Oktober 2026 ihr 100-jähriges Jubiläum feiern darf. «Darauf freuen wir uns alle sehr», so der Landwirt.


Stolz, wenn man eine mit dem Maximum punktierte Kuh hat
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«Mit den Kühen auf den Schauplatz ‹züglen› und wieder nach Hause, das bedeutet mir viel mehr, als ob eine Kuh einen Punkt mehr bekommt oder nicht», sagt Hanspeter Bigler. Der Züchter aus Mamishaus BE brachte diesen Herbst 38 Kühe auf den Schauplatz nach Schwarzenburg BE.

Nicht alles falsch gemacht
«Die Beständeschau ist für mich nicht nur eine schöne Tradition, sondern auch einen guter Vergleich unter den Tieren», ist Hanspeter Bigler überzeugt. Wenn er dann auf dem Weg nach Hause auch noch an der Spitze der «Züglete» laufen könne, bedeutet das für ihn Stolz und Zufriedenheit. Stolz, dass man mit der Zuchtarbeit auch etwas erreicht hat: «Das hat auch mit dem Beständeschauen zu tun», sagt er. Er freut sich besonders, wenn er in der Klasse I die Erste habe, und er die Kuh dann auch noch in der Klasse 8 aufführen darf. «Das ist für mich die Bestätigung, dass ich in der Zucht nicht alles falsch gemacht habe.»

Das «Züglen», bedeutet viel
«Die Konkurrenz ist auf den Schauplatz sicher viel grösser geworden», ist der Züchter überzeugt. Wenn man dann noch eine mit dem Maximum punktierte Kuh habe, bedeute das einem schon sehr viel. «Trotzdem: Wenn ich mit meinen Kühen nicht mehr auf den Schauplatz ‹züglen› kann, werde ich nicht mehr an die Herbstviehschau gehen.»


Eine gesunde Konkurrenz auf dem Viehschauplatz schadet nie
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«Die Punktierung ist nicht nur für mich, sondern auch für unser Zuchtgebiet, das Emmental, sehr wichtig», sagt Christian Bürki aus Eggiwil BE. Sicher habe eine Beständeschau auch mit viel Traditionen zu tun. «Wir verdienen ihnen aber den ganzen Zuchtfortschritt», ist der ehemalige Viehschauexperte überzeugt. Wenn Bürki an die Herbstviehschau geht, gehört das ‹Züglen› für ihn dazu.

Zehn Kilometer laufen
«Bis ins Dorf Eggiwil sind es zehn Kilometer, also laufen wir zwei Stunden lang mit den Kühen», so der Züchter. Vielleicht sei das Laufen für die Kühe nicht ganz optimal, oder besser gesagt, für die Punktierung, doch das ‹Chüjern› gehöre für ihn einfach dazu. «Durch das Laufen präsentieren sich die Euter vielleicht an der Schau nicht mehr ganz optimal, denn ein Teil der Milch ist dadurch sicher ‹verjagt›», beobachtet der Züchter. Wenn er seine Kühe mit der Viehbänne führen müsste, wäre das für ihn nicht mehr die gleiche Beständeschau.

Fast alle Kühe werden geschoren
Eine Beständeschau könne man heute nicht mehr mit früher vergleichen. «Früher wurden noch mehr Kühe aufgeführt, im Gegenzug ist die Qualität viel besser geworden», beobachtet Christian Bürki. Dies zeige sich auch auf ihrem Schauplatz in Eggiwil. «Heute werden fast alle Kühe geschoren. Nicht nur die Euter, sondern das ganze Tier», so der Züchter. Wenn man mit der Konkurrenz mithalten will, gehöre das dazu. «Entweder gibt man alles oder nichts», ist seine Devise. Für Bürki ist es immer noch speziell, wenn er einen Klassensieg einfahren kann. «Ich glaube, in unserem Verein mag es jeder jedem gönnen», ist er überzeugt. Es sei wichtig, das in einem Viehzuchtverein eine «gesunde» Konkurrenz herrsche. Bürki hofft, dass es die Beständeschauen auch noch in zehn Jahren geben wird.

Was machen mit der Note 6?
«Viele belächeln sicher unsere Beständeschauen», beobachtet Christian Bürki. Doch man dürfe dabei nicht vergessen, dass viele Betriebe für die Viehzucht leben und nicht zuletzt auch für die Milchproduktion. «Wenn ich dann sehe, wie viele Bauernfamilien ihre Kühe nach der Viehschau blumengeschmückt und mit viel Stolz nach Hause treiben», dürfe man die Punktierung nicht sterben lassen. 

«Als das Thema aufkam, das Punktierungssystem mit der Note 6 zu ergänzen, da hätte ich mir eher gewünscht, bei den Erstlingskühen die Maximalnote 3 statt die 4 zu schreiben», so der Züchter. Denn die Note 4 sei nur eine Note unter dem absoluten Maximum der Note 5. «Was hätten wir gemacht, wenn wir die Note 6 eingeführt hätten? Hätten wir dann allen Kühen, die mit dem Maximum von 55 55 98 punktiert sind, automatisch die Note 6 geschrieben?», fragt sich Bürki.

Eine Tradition

Letztes Jahr punktierte die Schaukomission von Swissherdbook an den Frühlings- und Herbstschauen insgesamt 36 407 Kühe, was ein Rückgang von 679 Stück gegenüber dem Jahr 2023 bedeutet. Vor allem im Kanton Bern haben die Beständeschauen einen hohen Stellenwert. Auf über 250 Schauplätzen werden dort die Kühe im Frühling und im Herbst zur Punktierung aufgeführt. Aber auch in anderen Kantonen, wie Solothurn, Luzern, Freiburg, Wallis, Neuenburg oder im Waadtland, werden noch Kühe punktiert. Die Schaukomission besteht aus knapp 40 Experten. Diese müssen vorgängig eine Prüfung ablegen und werden dann von den Regionalverbänden gewählt. Ein Experte darf im Maximum zwölf Jahre sein Amt ausüben, dann scheidet er aus der Schaukommission aus. Die Anzahl Experten, die ein Regionalverband in der Schaukommission stellen darf, richtet sich nach der Anzahl Tiere im Verband. Aktuell ist Jakob Schenk aus Eggiwil BE Präsident der Schaukommisson.