LID: Ueli Bracher, Agriviva feierte letztes Jahr das 75-jährige Bestehen. Welches Fazit ziehen Sie zum Jubiläumsjahr?

Ueli Bracher: Ein positives. Zum einen konnten wir die Teilnehmerzahl im Jubiläumsjahr erhöhen - dies hat uns sehr gefreut. Ebenso freuten uns die zahlreichen Gratulations-Videobotschaften, die wir von bekannten Persönlichkeiten entgegennehmen durften – allen voran von Bundespräsident Guy Parmelin. In guter Erinnerung bleibt die lebhafte Jubiläums-Generalversammlung mit den anerkennenden Ausführungen des Präsidenten und der Geschäftsführerin des Bauernverbandes des gastgebenden Kantons Bern sowie den Anekdoten ehemaliger Vereinspräsidenten. Und mit dem eigens für Agriviva komponierten Song «Zäme uf ds Fäud» der Bieler Rockgruppe QL konnten wir einen weiteren Farbtupfer setzen, der über das Jubiläumsjahr hinaus leuchten wird.

Die Anzahl teilnehmender Jugendlicher hat zugenommen, dies trotz Pandemie. Wie erklären Sie sich das?

Wir sehen mehrere Faktoren: ein allgemein gesteigertes Interesse an «grünen» Themen wie Natur, Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Nachhaltigkeit, zum andern haben mehr Schulen mitgemacht als im Vorjahr. Wichtig war, dass die Einsätze trotz Corona regulär durchgeführt werden konnten; dies war bzw. ist möglich, weil jeweils nur ein*e Jugendliche*r gleichzeitig bei der Gastfamilie weilt.

Social Media ist ein täglicher Begleiter der Jugendlichen. Sehen Sie das als Konkurrenz zur Tätigkeit im Landdienst oder kann Agriviva sogar Chancen aus der Nutzung von Instagram und Co. ziehen?

Die sozialen Medien bieten für uns grosse Chancen, um unser Angebot bei der Zielgruppe der Jugendlichen kostengünstig bekannt zu machen. Im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise recht erfolgreich erste Gehversuche auf der bei Jugendlichen boomenden Plattform Snapchat unternommen. Oder die Jugendlichen senden uns über Instagram Fotos aus ihren Einsätzen zu.

«Soziale Medien bieten für uns grosse Chancen»

Daraus entstehen einerseits positive Berührungspunkte mit den Jugendlichen und andererseits erhalten wir authentischen Inhalt für unseren Account. Wenn Sie sich die Bilder unter dem Suchbegriff #Agrivivafoto2021 ansehen, finden Sie Aufnahmen von teilweise beachtlicher Qualität. Und sie zeigen anhand der Motive und Sujets, was die Jugendlichen im Wesentlichen beeindruckt: Natur, Mensch und Tier. Negativ kann sich der Handy-Konsum vor allem während dem Einsatz auf dem Bauernhof auswirken, wenn er die Aufmerksamkeit der Jugendlichen während der Arbeitszeit reduziert.[IMG 2]

In einem Satz: Wieso sollte jede*r Jugendliche einmal im Leben bei Agriviva mitgemacht haben?

Weil dies die Chance und Möglichkeit bietet, wertvolle Erfahrungen rund um Natur, Mensch und Tier zu sammeln, was zu einem besseren Bezug zur anspruchsvollen und aufwändigen Produktion von Lebensmitteln und zu einem differenzierteren Bild der vielseitigen und wichtigen Tätigkeit der Bäuerinnen und Landwirte führt.

Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum. Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten Jahren und was erhoffen Sie sich?

Wir erwarten ein weiterhin hohes Interesse an ökologischen Fragen und Themen wie Nachhaltigkeit, schonende Bewirtschaftung der Ressourcen, Qualitätsstandards etc. – dies könnte sich positiv auf die Nachfrage bei Jugendlichen nach einem Bauernhof-Einsatz auswirken. Auf der anderen Seite nimmt die Anzahl der Bauernbetriebe stetig ab – und somit auch das Angebot an solchen Einsatzmöglichkeiten. Ein hoher Mechanisierungsgrad und die Tatsache, dass auf vielen Betrieben mindestens eine Person einer auswärtigen Erwerbstätigkeit nachgeht und somit weniger Zeit für die Betreuung von Jugendlichen bleibt, wirkt sich ebenfalls dämpfend auf das Platzangebot aus.

«Weniger Bauernbetriebe bedeutet weniger Einsatzmöglichkeiten»

Rückläufig ist zudem die Zahl der Eltern, welche selbst einen Bauernhof-Einsatz erlebt haben und ihrem Nachwuchs ans Herz legen, diese Erfahrung ebenfalls zu machen. Gründe hierfür sind der Wegfall der obligatorischen Landdienst-Schuleinsätze oder der höhere Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Unter diesen Voraussetzungen erhoffen wir uns eine Konsolidierung bzw. leichte Steigerung der Teilnehmerzahlen – und dass wir unsere Brückenbauer-Funktion zwischen Stadt und Land weiterhin mit der nötigen Unterstützung der beteiligten Partner wahrnehmen und dann im Rahmen des 100-Jahre-Jubiläums gebührend feiern können!

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