Die Palette von Medikamenten, die bei Nutztieren eingesetzt werden darf, ist an sich schon klein. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es in diesem Bereich aber noch deutlich enger wird – und das bereits in absehbarer Zeit. Das hat unterschiedliche Gründe.

Zum einen hat der Bundesrat an seiner Sitzung vom 12. Januar 2022 die Anpassung von mehreren heilmittelrechtlichen Erlassen verabschiedet. Diese Anpassung tritt bereits am 28. Januar in Kraft. Sie habe zum Ziel, die wichtigsten Differenzen zum EU-Recht auszuräumen und so Handelshemmnisse zu verhindern, heisst es. Denn die Versorgung mit Tierarzneimitteln in der Schweiz erfolgt zum grössten Teil über den europäischen Markt. Und dort stehen ab dem 28. Januar Änderungen 2022 an. Klar ist, die EU wird mit dieser Änderung einige Antibiotika für den Gebrauch bei Nutztieren einschränken. Und die Schweiz wird das übernehmen müssen.

Versorgung gewährleistet

Wie sieht es denn im Bereich der Versorgung mit Tierarzneimitteln für Nutztiere derzeit aus, noch bevor diese Änderung in Kraft tritt? Diese Frage haben wir der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) gestellt. «Die Versorgung ist immer noch gewährleistet, aber mit grösserem Aufwand für die Beschaffung der Medikamente verbunden. Immer wieder gab und gibt es Engpässe, die mittels teils suboptimalen Alternativen oder Importen bis anhin überbrückt werden konnten», erklärt Tierärztin Patrizia Andina-Pfister vom Fachbereich Tierarzneimittel und Tierärztliche Tätigkeiten bei der GST.

Unüberwindbare Hürden beim Import

Sie sagt, dass gerade beim Import unüberwindbare Hürden bestehen. Grundsätzlich müssten Tierärzte in der Schweiz zugelassene Tierarzneimittel verschreiben und anwenden. Was aber, wenn ein Medikament in der Schweiz nicht mehr verfügbar ist, es hierzulande auch keine Alternativen mehr gibt und aus einer beschränkten Anzahl von anderen Ländern unter gewissen Bedingungen Medikamente importiert werden müssen? «Die Suche nach anderen Medikamenten ist für eine Praxis sehr zeitaufwändig. Dabei ist schwer abzuschätzen, wann das ursprüngliche Produkt wieder zur Verfügung stehen wird. Zudem ist der Import eingeschränkt. So können Tierärzte aus zahlreichen Ländern, welche nicht die gleich strengen Vorschriften haben, keine Medikamente für Nutztiere importieren», weiss Andina-Pfister.

Viele Impfstoffe nicht lieferbar

Engpässe gebe es immer, sagt die Tierärztin und nennt einige Beispiele. So ist aktuell das Mittel Dictol nicht lieferbar – ein Impfstoff gegen Lungenwürmer bei Rindern. «Allgemein sind viele Impfstoffe nicht lieferbar», weiss sie. «Auch die Euterinjektoren Mammacillin ad. us. vet. und Monocillin ad. us. vet., die nur Penicillin enthalten. Penicillin ist ein Erstlinien-Antibiotikum. Wenn solche Produkte fehlen, muss der Tierarzt eventuell auf kritische Antibiotika ausweichen, was wiederum problematisch ist wegen der Entstehung von Resistenzen», ergänzt sie.

Regelrechte Handelskriege in Gang

Engpässe haben verschiedenen Ursprung. «Zum Beispiel, weil die Produktionsstätte des Basisprodukts abgebrannt ist, weil eine Charge als verunreinigt deklariert wurde oder weil während der aktuellen Pandemie verschiedene Faktoren mithineinspielen. Manchmal sind auch eigentliche Handelskriege schuld, z.B. zwischen China und den USA. Oft bleiben der Grund für den Engpass sowie der Termin der Wiederverfügbarkeit von Medikamenten unbekannt», so Patrizia Andina-Pfister.

Corona hat zugespitzt

Die Corona-Pandemie hat erwartungsgemäss auch hier einen grossen Einfluss. So habe sie zur Folge, dass es an vielen Stellen entlang der gesamten Lieferkette klemmt. «Wegen der riesigen Produktionsmenge an Impfstoff war z.B. der Verpackungskarton Mangelware, oder es hat an Gläsern oder Gummistopfen gefehlt. Die Kühl-Container für Frachtflugzeuge waren komplett ausgebucht. Viele Medikamente werden in Indien produziert, dort fielen Mitarbeiter(innen) krankheitshalber aus», nennt die Tierärztin einige Beispiele.

Auch wenn die Landwirtinnen und Landwirte derzeit wohl noch wenig von diesem Kampf um die Tierarzneimittel zu spüren bekommen, die Situation könnte sich verschärfen.

Wieder nach Europa holen

Wenn sich die Dinge in gleichbleibendem Tempo verändern, prognostiziert die Tierärztin einen düsteren Blick nach vorne. «Wirkstoff-produzierende Firmen liegen häufig in Fernost, wo die Schweiz keinen Einfluss geltend machen kann. Wenn diese Firmen nicht mehr liefern können, ist der ganze Weltmarkt betroffen», mahnt die Tierärztin und ist sicher, dass es von Vorteil wäre, die Produktion gewisser Wirkstoffe zumindest wieder nach Europa zu holen, jedoch hätte dies Preiserhöhungen mit ungewissen Konsequenzen zur Folge.