In den letzten Tagen berichteten fast alle Medien im grenznahen Raum, dass man nun endlich wieder nach Deutschland reisen kann, um dort die Einkäufe zu tätigen – und rasch scheint die fast gebetsartig gepredigte Dankbarkeit für die inländische Versorgung während der Krise vergessen zu sein. Ein Augenschein am Morgen des 14. Mai 2021 zeigt, dass die Grenzöffnung wie eine Bombe eingeschlagen hat: Jestetten war nach Monaten der Ruhe erstmals wieder fest in Schweizer Hand. Der Orts- und Durchfahrtsverkehr kam fast zum Erliegen, weil die Schweizer Kunden auf der Suche nach Parkplätzen den übrigen Verkehr ausbremsten. Auf den bereits sehr gut besetzten Parkplätzen der Discounter wie auch der Gemeinde waren mindestens acht von zehn Personenwagen Schweizer Fahrzeuge. Neben Zürcher-, Schaffhauser- und Aargauer-Kennzeichen waren zahlreiche Innerschweizer und Ostschweizer Nummernschilder auszumachen. Teilweise bildeten sich zudem lange Warteschlangen vor den Läden und Paketabholstationen. Nur noch die Maskenpflicht und Zugangsbeschränkungen erinnerten dabei an Corona.
In Luft aufgelöst
Blättern wir ein Jahr zurück. Die Grenzen waren dicht und der Einkauf im Ausland war nicht mehr möglich. Rasch musste in vielen Läden – begleitet von zahlreichen Schutzmassnahmen – die Versorgung mit Nahrungsmitteln hochgefahren werden, um dem Ansturm gerecht zu werden. Mehl, Hefe oder auch Klopapier wurden knapp. In den Medien wurde dabei dem Verkaufspersonal für seinen grossen Einsatz immer wieder gedankt. Doch nun scheint sich diese Dankbarkeit langsam aber sehr effizient in Luft aufzulösen. In vielen Medien konnten die Konsumenten in den letzte Tagen Empfehlungen lesen, wie sie ihren Einkauf ennet der Grenze problemlos tätigen können.
Einschränkungen bleiben unerwähnt
Auffallend ist aber, dass in den vielen Ratschlägen und Empfehlungen nirgends zu lesen war, dass es im kleinen Grenzverkehr eigentlich noch gewisse mengenmässig beschränkte Einfuhrvorgaben gibt. Bei der Butter oder beim Fleisch ist es beispielsweise ein Kilo pro Person. Beim Wein gelten fünf Liter pro Person, bei Spirituosen ist ein Liter erlaubt. Dies kümmert, wie Erfahrungen immer wieder gezeigt haben, aber einen Grossteil der Kunden kaum. Denn bekanntlich dürfen an den Grenzübertritten gemäss dem Schengen-Übereinkommen keine systematischen Kontrollen durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass man im Hinterland von einer Kontrolle der Grenzwache angehalten und erwischt wird, ist sehr klein.
Deutsche Discounter freuen sich
«Gerade der Lebensmittelhandel ist ganz stark auf die Schweizerinnen und Schweizer angewiesen», wird etwa die Jestetter Bürgermeisterin Ira Sattler am Freitagmorgen in einem Zeitungsbericht zitiert. Zudem spricht sie davor, dass dieser Entscheid wieder ein Stück normales Leben nach Jetstetten zurückbringe. Freuen werden sich vor allem die grossen und an der Grenze sehr anzutreffenden Discounter wie Edeka, Aldi, Lidl oder Penny-Markt. Diese mussten während Monaten fast ohne Schweizer Kundschaft auskommen mussten. Viele Schweizer Konsumenten ziehen die oftmals deutlich billigeren Nahrungsmitteln, ungeachtet von Produktion und Herkunft, einheimischen Lebensmittel vor. Dieses Konsumverhalten ist mit Blick auf die anstehenden Agrar-Initiativen zu hinterfragen. «Will man nun eine möglichst pestizidfreie Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz, wofür man auch bereit ist den Mehrpreis zu zahlen und auf einiges zu verzichten – oder will man einfach die Inlandproduktion hinunterfahren, um möglichst viel und günstig einkaufen zu können.» Das ist eine der Kernfragen.
Mehr Geld für Ferien und Freizeit
Während des Lockdowns und der damit verbundenen Grenzschliessung wurden auch die Freizeit- und Ferienmöglichkeiten in der Schweiz massiv heruntergefahren. Entsprechend konnte dafür auch deutlich weniger Geld ausgegeben werden. Dieses wurde unter anderem in den Einkauf im Hofladen und in den Kauf von eher etwas teureren Nahrungsmitteln gesteckt. Jetzt hat sich das Blatt gewendet: Es stehen mehr Möglichkeiten für Freizeitgestaltung und Ferien im Ausland zur Verfügung. Und plötzlich werden die eigenen ökonomischen Vorteile über die Grundsätze von Ökologie und Nachhaltigkeit gestellt. Bei einer immer noch gleich gefüllter Lohntüte gewinnen Freizeit und Ferien an Bedeutung. Das Geld dafür wird mit dem billigeren Einkauf und einer Tankfüllung ennet der Grenze eingespart. Bei alle dem gilt es zudem zu beachten, dass Deutschland Schweizer Einkaufstouristen die Mehrwertsteuer zurückerstattet. Das bringt bei einem grösseren Einkauf von 1'000 Euro noch zusätzliche «Ersparnisse»: Je nach Zusammensetzung des Einkaufes sind es 70 bis 190 Euro.