«Steffen!» Laut und resolut hallt der Ruf einer Frau über den Ballenberg. Die Ruferin ist Eisi, die Wirtin des Wirtshauses auf der «Gnepfi», und sie sucht ihren Mann; jedoch vergeblich, denn dieser ist mit seinem Schwager und Trinkkumpan rasant und heimlich an ein Schützenfest gefahren. Steffen wird erst am anderen Morgen in volltrunkenem Zustand wieder auftauchen.
Authentische Kulisse
Diese Szene ist Teil der Freilichtaufführung «Der Geltstag» auf dem Ballenberg. Nach einem feinen und ausgiebigen Znacht am Theater-Buffet sitze ich mit Freunden auf der gedeckten Tribüne. Vor uns steht das Bauernhaus aus dem Jahr 1675 aus Therwil BL. Dieses ist zum Wirtshaus Gnepfi geworden.
Vor der gewaltigen Naturkulisse des Ballenbergs spielen Laien- und Profischauspieler das zeitlose Stück von Jeremias Gotthelf so spannend, dass ich als Zuschauer richtig mitgerissen werde. Ich erlebe, wie das florierende Gasthaus durch Dummheit, Masslosigkeit und Ignoranz des Wirtepaars in den Ruin steuert.
Ein Paar und seine Laster
Steffen spricht immer mehr dem Alkohol zu und versäumt keine «Chlepfete» (Schützenfest), «Cheiglete» (Kegelanlass) oder andere «Hudlete» (liederliches Treiben).
Eisi dagegen erliegt dem Konsumwahn und wird immer beratungsresistenter. Einen besonderen Hass hat sie auf Bäbi, die Wirtin der benachbarten Speisewirtschaft. Mit dem Advokaten versucht Eisi, das Brunnenrecht der Nachbarin am «Südeltrögli» zu annullieren. Als Steffen plötzlich stirbt, steht Eisi mit den Kindern und der Wirtschaft allein da.
Zur damaligen Zeit ist es undenkbar, dass eine Frau den Betrieb allein weiterführen kann. Deshalb wird von der Gemeinde eine Schätzung des Inventars der «Gnepfi» vorgenommen. Weil immer mehr Schulden auftauchen, kommt es schliesslich zum «Geltstag».
Literat mit hehren Absichten
«Der Geltstag» ist eines der letzten und eher unbekannten Stücke des grossen Schweizer Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius (1797 bis 1854), der heute hauptsächlich unter seinem Pseudonym Jeremias Gotthelf bekannt ist. Zunächst als Pfarrer in Lützelflüh im Emmental tätig, setzte sich Gotthelf bald für die Durchsetzung einer allgemeinen Schulpflicht ein, gegen die Ausbeutung von Verdingkindern aus armen Familien und – neben vielem anderen – auch gegen den Alkoholismus.
Zeit seines Lebens engagierte sich Gotthelf im Armenwesen, konnte diese Bestrebungen jedoch nicht auf einer politischen Ebene verfolgen, da ihm als Pfarrer ein politisches Amt verwehrt blieb.
Stattdessen griff Gotthelf zur Feder und wirkte zuerst als Journalist – häufig, ohne seine Texte mit seinem Namen zu versehen. In seinem ersten Roman «Der Bauern-Spiegel», publiziert Mitte der 1830er-Jahre, griff Gotthelf die Verdingkind-Thematik auf.
Aktuelle Themen?
Gotthelfs Romane, darunter die bekannten Werke «Uli der Knecht», «Uli der Pächter», «Elsi, die seltsame Magd» und «Die schwarze Spinne», zeigen das bäuerliche Leben im Emmental und thematisieren häufig Ideale wie Fleiss, Bodenständigkeit und Bescheidenheit, Redlichkeit, Sparsamkeit, Heimatliebe und Gottesfurcht.
Wie es jenen ergeht, die diese Tugenden vergessen und gering schätzen, zeigt auch das Stück «Der Geltstag» mit seinen Hauptfiguren Eisi und Steffen auf. Er trinkt zu viel, verspielt sein Geld und ist unzuverlässig. Sie ist geltungs- und herrschsüchtig, ist eine nachlässige Hausfrau und kann ebenso wenig mit Geld umgehen wie ihr Mann.
Dass das nicht gut ausgehen kann, scheint bald einmal klar. Wie genau dieses Ende naht und was beim «Geltstag» noch alles zum Vorschein kommt, sei hier nicht verraten. Vielmehr sei der Besuch des Theaters vor unvergleichlicher Kulisse am Ballenberg empfohlen.
Website mit allen Informationen zum Stück
Zum Stück
Mit der Geschichte der Wirtsleute Eisi und Steffen übte Jeremias Gotthelf um 1840 Kritik an der unzureichenden Ausbildung der Berufsleute und am Staat Bern wegen dessen allzu grosszügig erteilten Wirtshaus-Konzessionen. Er befürchtete eine Zunahme des Alkoholkonsums und eine Verrohung der guten Sitten.
- «Gnepfi» ist der berndeutsche Ausdruck für «auf Messers Schneide».
- Ein «Geltstag» oder «Gäldstag» bedeutet eine Zwangsversteigerung.
- Das «Südeltrögli» ist beim laufenden Brunnen der kleinere Trog nach dem grossen Tränketrog.