Vor über einem Jahr sorgten Proteste von Landwirten in Deutschland für Schlagzeilen. Das Gute ist: Sie wurden gehört, doch wirkliche Planungssicherheit haben die Landwirtinnen und Landwirte nach wie vor nicht. Im Gegenteil: Die Unsicherheit scheint grösser als zuvor. Der Green Deal – der grosse Umbruch in der europäischen Landwirtschaft – ist im vergangenen Jahr gescheitert. Dafür sind vor allem finanzielle Gründe verantwortlich.

Hehre Ziele wurden gesteckt, aber als es ums Umsetzen ging, wurde klar: Hier fehlt das Geld. Doch was bedeutet das Scheitern des Green Deals für die Zukunft der Landwirtschaft in der EU? Welche neuen Strategien verfolgt die EU-Kommission, und welche Herausforderungen bleiben bestehen? Ein Überblick über die aktuelle Lage aus der Perspektive der deutschen Tierzüchter und Landwirte.

[IMG 2]

Nachhaltigkeit als Leitprinzip

Klar ist bereits zu Beginn: Das Thema Nachhaltigkeit bleibt zentral – nicht nur in Europa, sondern weltweit. Schon 2015 legte der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung mit der Agenda 2030 und ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) einen globalen Rahmen fest. Diese Ziele gelten auch für die Landwirtschaft in Europa. «Nachhaltigkeit ist keine Erfindung der EU», stellt Hans-Peter Schons, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter, anlässlich des Milchrindtages im ostdeutschen Güstrow klar. Dennoch wird sie in der EU besonders ambitioniert verfolgt.

Das Problem: In der politischen Praxis gibt es massive Zielkonflikte. «Man kann nicht alles gleichzeitig haben, etwa kleinstrukturierte, nachhaltige Landwirtschaft, niedrige Emissionen und eine günstige Lebensmittelproduktion – irgendetwas muss weichen», betont Schons.

Er verweist darauf, dass ein kohärenter rechtlicher Rahmen erforderlich ist, der landwirtschaftliche Betriebe nicht überfordert und gleichzeitig langfristige Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht.

Die gescheiterte Strategie

Die «Farm-to-Fork»-Strategie (vom Hof zur Gabel) war das Herzstück des Green Deals für die Landwirtschaft. Sie sollte die Agrarproduktion nachhaltiger machen und die Europäische Union zum weltweiten Vorbild erheben. Doch dieses Vorhaben stiess auf massive Schwierigkeiten. «Ein Vorbild sein zu wollen, ist schön und gut», sagt Hans-Peter Schons, der die Anliegen der deutschen Tierhalter direkt vor Ort im belgischen Brüssel vertritt. «Aber das bedeutet auch, dass man höhere Kosten und eine schlechtere Wettbewerbsposition in Kauf nehmen muss», ergänzt er.

Viele Vorgaben seien für die Betriebe schlicht nicht umsetzbar gewesen, weiss er. «Man kann nicht gleichzeitig Tiere auf der Weide halten und jede Emission exakt überwachen», nennt Schons als Beispiel. Zudem würden verbindliche Massnahmen zur Finanzierung fehlen.

Grosse Projekte wurden nicht umgesetzt, weil das Geld fehlte. Auch die geplante EU-Tierwohlkennzeichnung blieb bislang in der Schwebe.

Die Konsequenz: Der Green Deal ist ins Stocken geraten und schliesslich gescheitert. Aber dennoch sind einige Massnahmen daraus bereits umgesetzt worden und lassen sich nicht mehr rückgängig machen, während andere nie über das Planungsstadium hinausgekommen sind. «Farm to Fork ist eigentlich vorbei, aber irgendwie doch nicht», fasst Hans-Peter Schons die paradoxe Situation zusammen.

Neuer Fahrplan

Nach dem Scheitern des Green Deals hat die EU-Kommission nun eine neue Vision vorgestellt: den Fahrplan für einen florierenden Agrar- und Lebensmittelsektor in der EU. Die Kernpunkte dieses Konzepts lauten:

  • Landwirtschaft und Ernährung als «strategische Sektoren» anerkennen.
  • Die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des Sektors stärken.
  • Langfristiges Wachstum, Innovation und gesellschaftlichen Nutzen sicherstellen (bis 2040).
  • Ein faires Einkommen für Landwirte gewährleisten.
  • Keine systematische Produktion unter Erzeugungskosten zulassen.
  • Ein zentrales Ziel ist eine gerechtere, einfachere und gezieltere Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2027. Dazu gehören:
  • Vereinfachung der «Cross Compliance»-Regelungen, also weniger Vorgaben und mehr Anreize.
  • Strategie für den Generationswechsel (ab 2025).
  • Bioökonomie-Strategie (bis Ende 2025).
  • Ausbau nachhaltiger Finanzierungsinstrumente (z. B. CO2- und Naturschutz-Gutschriften).

Aber auch das Tierwohl bleibt ein wichtiges Thema: Die Vorgaben für Tiertransporte wurden bereits überarbeitet, die neuen Vorschriften für Haltung, Schlachtung und Kennzeichnung sind jedoch noch ausstehend. Die geplante schrittweise Abschaffung der Käfighaltung bleibt bestehen, allerdings mit «artenspezifischen Übergangszeiträumen». Komplex also. Und bis ins Detail auszuarbeiten – und das für alle Nationen, die der EU angehören. So müsse man sich überlegen, dass der Norden von Finnland nicht mit dem Süden von Portugal zu vergleichen sei. «Bei Käfighaltung dürfen wir nicht nur an die Legehennen denken», erinnert Hans-Peter Schons. Hier würden auch die Kastenstände der Sauen wie auch die Einzeliglus der Kälber verboten.

Kritische Würdigung

Diese neue Strategie wird in der EU unterschiedlich bewertet. Während einige sie als «ambitionierten Ansatz» loben, kritisieren andere, dass es ihr an klaren Massnahmen fehle.«Die Strategie bleibt deutlich unverbindlicher als Farm to Fork», stellt jedenfalls Hans-Peter Schons fest. Viele Punkte seien lediglich Absichtserklärungen, und zentrale Fragen – insbesondere zur Finanzierung – würden offen bleiben. Auch der verstärkte Dialog mit verschiedenen Interessengruppen sei zwar positiv, dürfe aber nicht zu endlosen Diskussionen ohne konkrete Ergebnisse führen.

Zudem gibt es weiterhin grosse ungelöste Probleme, wie der Fachmann aus Brüssel ausführt.

  • Tierseuchen: Die Tierseuchenbekämpfung wird kaum adressiert, obwohl Krankheiten wie Blauzungenkrankheit (BTV) und Afrikanische Schweinepest (ASP) den Sektor massiv belasten.
  • Import-Export-Strategie: Die EU bleibt Nettoimporteur von Agrarprodukten, will aber gleichzeitig ihre Exporte ausbauen und Tierbestände reduzieren – ein Widerspruch.
  • Tierbeständeabbau: Klimaziele für 2040 bleiben bestehen, doch ohne eine deutliche Verringerung der Tierbestände werden sie schwer erreichbar sein.

«Ohne eine signifikante Verringerung der Tierbestände wird man diese Klimaziele nicht erreichen», erklärt Hans-Peter Schons. Zwar stünden diese Ziele, wie damals im Green Deal, nicht mehr an erster Stelle, aber enthalten seien sie in der Vision weiterhin – und im Grunde auch noch in verstärkter Form. So soll die EU bis 2050 die Klimaneutralität erreichen. Und dafür sei ein Senken der Emissionen unumgänglich. «Das wird nicht ohne Anpassungen in der Tierhaltung gehen», ist Schons sicher. Dieses Ziel sei klar ausgesprochen, doch wie genau diese Anpassungen aussehen sollen, bleibt unklar. Bedeutet das weniger Tiere in Europa oder lediglich effizientere Haltungsformen? Und wenn die Tierbestände tatsächlich reduziert werden – was passiert dann mit der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft? Diese Fragen bleiben bisher unbeantwortet, doch sie werden die Debatte in den kommenden Jahren massgeblich prägen.

Rücksicht auf Regionen

Einige positive Aspekte gibt es seiner Ansicht nach jedoch: Die Strategie zur Tierhaltung soll die Vielfalt der landwirtschaftlichen Betriebe in Europa berücksichtigen und nicht mit einem einheitlichen Ansatz über alle Regionen gestülpt werden. Zudem soll die Agrarreserve für Krisenfälle besser zugänglich gemacht werden. Doch diese Reserven seien gerade in Seuchenzeiten wie der aktuellen sehr rasch einmal aufgebraucht, was wiederum aufzeige, dass die Finanzierung der ganzen Sache alles andere als geregelt sei. Die Agrarpolitik sei immer ein wichtiger Teil der EU-Politik gewesen, aber die Finanzierung der Agrarstrategie hin zu einer nachhaltigeren Produktion ist laut Schons das grosse Thema.

Er zieht daher ein gemischtes Fazit: «Es gibt gute Ansätze, um einen praktikableren Rechtsrahmen für die Tierhaltung zu schaffen, und wirtschaftliche Aspekte spielen eine grössere Rolle als zuvor. Die Sprache ist etwas bauernfreundlicher geworden.» Doch er warnt auch: Noch gebe es keine verbindlichen Vorgaben – alles hänge davon ab, wie die kommenden Gesetze konkret ausgestaltet würden. «Den Status quo einfach beizubehalten, wäre keine Lösung. Aber der breite Dialogprozess birgt die Gefahr, dass am Ende nur ein Kompromiss herauskommt, der wenig verändert und keine klare Linie verfolgt», sagt er.

«Nachhaltigkeit ist keine Erfindung der EU.»

Hans-Peter Schons von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter.

Die grosse Unsicherheit

Während die EU über Strategien debattiert, bleibt die Situation für die Landwirte ungewiss. Die deutschen Bauern sind im Februar 2024 auf die Strasse gegangen, weil sie sie unter anderem Planungssicherheit wollten – bekommen haben sie sie (noch) nicht. Dadurch bleibt auch die zentrale Frage: Wie sollen Landwirte unter diesen Bedingungen langfristig wirtschaften? Investitionen sind riskant, wenn unklar ist, welche Regeln in wenigen Jahren gelten. «Es ist schön und gut, wenn die Politik sagt: ‹Wir hören euch› – aber wenn sich am Ende nichts ändert und vor allem nichts bessert, bringt das niemandem etwas», warnt Schons.

Politik hinter Entwicklung

Der europäische Agrarsektor wird sich weiterentwickeln – doch ob die Politik mitzieht, bleibt offen. Davon ist Hans-Peter Schons überzeugt. Niemand könne mit Sicherheit sagen, wie die Landwirtschaft in 30 Jahren aussehen werde, schon gar nicht die Politik, die ihrer Entwicklung auch in der Landwirtschaft stets hinterherhinkte.

Eines ist sicher: Die europäischen Landwirte rufen mit aller Dringlichkeit nach verlässlichen Rahmenbedingungen, um ihren Betrieb zukunftssicher aufstellen zu können. Solange diese fehlen, bleibt die Unsicherheit gross – in Deutschland und in ganz Europa. Eine Tatsache, die auch den Schweizer Bäuerinnen und Bauern nur allzu gut vertraut ist.