Konfliktpotenzial gibt es überall: Er will einen neuen Traktor kaufen, sie ist total dagegen. Sie möchte nach der Betriebsübergabe ins Dorf ziehen, er gar nicht. Es sind nicht nur Wünsche, sondern ein festes Wollen, das gegenpolig ist. Wie kommt man da weiter? Gibt es überhaupt einen Weg zu einer Entscheidung, mit der am Ende beide zufrieden sein können? Dazu ein Fallbeispiel aus dem Alltag von Marianne und Robert Stamm und Fachkenntnisse von Beatrice Rinderknecht. Im Konflikt des Ehepaares geht es um einen Wohnungswechsel innerhalb ihres Hauses in Schleitheim SH. Robert möchte in der oberen Wohnung bleiben, Marianne möchte in die Parterrewohnung umziehen.

Roberts Sichtweise

Robert: Ich will nicht! Die Aussicht vom Balkon der Wohnung im Obergeschoss, übers Dorf und über die Felder, ist einmalig. Die Grösse der Wohnung war perfekt zum Aufräumen; die Aufteilung der Zimmer stimmte. Der Zugang zum Estrich gehört dazu. In der Parterrewohnung hingegen müssen wir zum ganzen Umschwung vom Haus schauen. Vorher war der Rasen um diese Wohnung Sache der Mieter. Wir sind viel weg. Die Mieter unten schauten dann zu allem. Wir konnten alles abstellen und einfach gehen. Was ich auch erlebe: wenn unsere Nachbarn weg sind, müssen wir bei ihnen schauen, wenn wir weg sind,  müssen sie bei uns schauen. Es sollte einfacher werden, nicht komplizierter.

Unten fühle ich mich mehr ausgestellt. Ich bin auf dem Hof aufgewachsen, danach lebte ich auf der Farm in Kanada. Ich bin es überhaupt nicht gewohnt, dass alle mir zum Fenster reinschauen können. Warum ich mich umstimmen liess? Das Zusammenleben als Ehepartner ist ein gegenseitiges Nehmen und Geben. In dieser Situation fühlte ich, dass es jetzt an der Zeit ist, auch mal Mariannes lang gehegten Wunsch zu akzeptieren. Aber dennoch war mir klar: Dann müssen wir ran, mit Arbeit und Renovieren, es würde uns einiges kosten.

Die Gespräche mit meinen Geschwistern halfen mir auch sehr dabei, nachzugeben. Für mich machte der Umzug ja schlichtweg keinen Sinn. Aber einer muss in dieser Situation schliesslich nachgeben. Es ist Schwarz und Weiss, es gibt keine Grauzone. Einen Kompromiss zu finden, ist da schwer. Das Umdenken fing für mich mit den Reparaturarbeiten am Balkon in der oberen Wohnung an. Durch die zweimonatige Renovations- und Umzugsphase habe ich mich in die neue Parterrewohnung eingelebt. Ich sehe jetzt auch die Vorzüge davon: zum Beispiel den direkten Eingang von Garage und Autoabstellplatz oder den direkten Ausgang ins Grüne. Auch die neue Küche trägt für mich zum Wohlfühlen bei.

 

Zur Person: Robert Stamm

Robert Stamm, 71, ist pensionierter Landwirt. Von dem Familienbetrieb in Schleitheim SH emigrierte er mit Marianne und zwei Söhnen auf eine Getreidefarm in Alberta, Kanada. Seit dem Rückzug in die Schweiz ist Robert fast jeden Herbst in Kanada auf dem Mähdrescher anzutreffen.

Mariannes Sichtweise

Marianne: Ich will – endlich nach unten! Schon zwei Mal hatten wir einen Mieterwechsel im Erdgeschoss. Beide Male brachte ich das Thema an den Tisch und wurde von Robert überstimmt; zugegeben, mit treffenden Argumenten.

Wäre ich nicht einmal dran? Wie Roberts Schwester ihm entgegenhielt: Bis jetzt sei immer ich ihm gefolgt. Von Kanada auf den Schweizer Familienbetrieb. Dann wieder nach Kanada auf die Getreidefarm. Zurück in der Schweiz fanden wir uns in seiner elterlichen Wohnung wieder. Ich konnte mir zu Anfang nicht vorstellen, allzu lange darin zu wohnen.Warum sollten nicht wir in der grösseren, helleren Wohnung leben, mit dem schönen Sitzplatz, auf dem sich richtig Party machen liess? Oben auf dem kleinen Balkon können nicht mehr als drei Personen gemütlich zusammensitzen. In der unteren Wohnung hätte ich endlich richtig Platz für Gäste zum Übernachten. Schliesslich gehört das Haus ja uns. Ihn einfach dazu zu ‹vergewaltigen› möchte ich aber auf keinen Fall. Dann hätte ich nämlich immer ein schlechtes Gewissen.

Ich sandte eine Whatsapp-Nachricht mit der Frage «Wie würdet ihr so ein Dilemma lösen?» in den Familienchat. Die Antworten kamen schnell zurück. Der Freund der jüngsten Schwester sorgte sich, dass wir Ehekrach hatten. Die älteste Schwester riet zum Umzug mit dem Argument: «Ihr werdet älter. Vielleicht seid ihr in Zukunft froh, wenn ihr nicht mehr die Treppe steigen müssen.» Roberts Bruder, der im Geschäft viele schwierige Entscheidungen treffen musste, sandte uns eine Entscheidungsmatrix. Die Zeitfrage: «Wie lange wird der Entscheid unser Leben bestimmen?», brachte eine neue Perspektive. Der unterschwellige Wunsch, wieder einmal nach Kanada zurückzuziehen wurde erkannt. Unsere Kinder und Enkel sind in der Schweiz. Also bleiben wir auch hier.

 

Zur Person: Marianne Stamm

Marianne Stamm, 61, wuchs in Kanada auf. Wegen ihrer Liebe zu Robert zog sie in die Schweiz, nach Schleitheim, SH. Nun ist sie pensionierte Bäuerin und schreibt für verschiedene landwirtschaftliche Fachpublikationen, wie z. B. die BauernZeitung.

 

Nachgefragt – mit Paar- und Familientherapeutin Beatrice Rinderknecht-Bär

Frau Rinderknecht-Bär, ist ein Win-Win überhaupt möglich bei sehr polarisierten Standpunkten?

Beatrice Rinderknecht-Bär: Es ist möglich, es braucht aber einen Prozess dazu. Beide müssen bereit sein, auf einander zuzugehen und zuzuhören um herauszufinden, was dem anderen wichtig ist. Sich zeitlich zurückstellen zu können, wenn die Entscheidung noch nicht reif ist.

Wie kann man seine Chance erhöhen, dass der/die andere auf einen hört?

In dem man dem anderen sagt: «Ich möchte eine Lösung zum Guten. Eine, in der wir beide drin sind. Ich weiss, dass wir dazu kommen können, wenn wir einander zuhören. Wir wissen viel, wir haben Kompetenzen.» Das schafft Vertrauen und zeigt die Bereitschaft, dran zu bleiben.

Was raten Sie Frauen?

Frauen haben oft das Gefühl, sie hätten keine Chance. Sie fühlen sich als Opfer. Die Frau soll sich kundig machen über Traktoren, auch wenn sie sich nicht dafür interessiert. Sie muss sich überwinden, nicht in alte Muster a là «Dann mach halt, was du willst» zu verfallen. Es ist auch für die Person die «gewinnt» nicht gut zu wissen, dass der Partner nicht wirklich vom Entscheid überzeugt ist. 

Und wenn man nicht weiterkommt?

Oft braucht es einfach mehr Informationen. Vielleicht entscheiden beide, den Berater der Traktorenfirma erneut zu besuchen. Wichtig ist das Dranbleiben, bis beide sagen können: «Das Problem ist für mich gelöst, ich bin zufrieden damit.» Solche Entscheidungen können ganze Rollenbilder auf den Kopf stellen. Manchmal hilft auch ein Coaching mit einem geleiteten Prozess.Interview Marianne Stamm

 

Fünf Schritte zur Entscheidung

Schritt 1: Klar werden 

Wie kann die Lösung aussehen? Die Entscheidung soll fair sein und den Bedürfnissen von beiden entsprechen. Grundwerte festlegen, einander zuhören und einander verstehen lernen – das schafft Vertrauen.
«Er will mir nichts Böses mit seinem Entscheid, einen Traktor zu kaufen.» 

Schritt 2: Interessen und Bedürfnisse klären

a.Warum will ich keinen Traktor? Über den Hintergrund zum eigenen Standpunkt nachdenken und klären. Wie stelle ich mir den Betrieb vor? Wovor habe ich Angst?

b. Dem Anderen die Gefühle hinter dem eigenen Standpunkt verständlich machen. Das schafft Verständnis. «Aha, darum will er/will sie oder nicht.»

Schritt 3: Optionen sammeln

Eine lange Liste machen, mit den unmöglichsten Lösungen. Alles ist okay. Wichtig dabei: Möglichkeiten aus einer festgefahrenen Situation auffinden und aufzeigen.

Schritt 4: Drei Optionen auswählen

a.Wie würde das aussehen?

b.Was würde das beinhalten?

c.Was kostet es?

Schritt 5: Eine Vereinbarung treffen

a. Weitere Schritte klären: Wer bezahlt was?

b.Die Verbindlichkeiten aus-
machen: Wie erzählen wir das unserer Familie?

c.Schritte MITEINANDER machen – miteinander zur Bank, zur Firma, zu Beratung. (Bei einem Maschinenkauf soll sich auch die Frau interessieren.)